Samstag, 30. Januar 2021

Gramsci und die Aufgabe des Marxismus


Der Italiener Antonio Gramsci war der Gründer der Kommunistischen Partei Italiens und stand für eine dynamische, stets in der Entwicklung befindliche Linke. Gramsci war der Vordenker einer dialektischen, dynamischen Linken, die das Gegenteil von dogmatisch und festgefahren war.

Die Linke war für ihn keine ideale, reine Form, sondern eine plastische, stets im Werden begriffene Kraft. Sein dialektischer Materialismus war weniger dem formalistischen Hegelianismus verpflichtet, als dem Energiefluss des Lebens selbst.

Gramsci entwickelte seine Theorie der Hegemonie. Gramsci formulierte sein Konzept von Hegemonie zunächst anhand von Entwicklungen in der italienischen Geschichte, insbesondere des Risorgimento.

Gramsci bemerkte, dass im Westen die kulturellen Werte der Bourgeoisie mit dem Christentum verknüpft sind. Deshalb richtet sich ein Teil seiner Kritik an der vorherrschenden Kultur auch gegen religiöse Normen und Werte. Er war beeindruckt von der Macht, die die Katholische Kirche über die Gläubigen hat, und er sah, mit welcher Sorgfalt die Kirche verhinderte, dass die Religion der Intellektuellen sich zu stark von der Religion der Ungebildeten entfernen konnte.

Gramsci glaubte, dass es die Aufgabe des Marxismus sei, die in der Renaissance durch den Humanismus geübte Kritik an der Religion mit den wichtigsten Elementen der Reformation zu vereinen. Nach Gramsci kann der Marxismus erst dann die Religion ablösen, wenn er die spirituellen Bedürfnisse der Menschen befriedigen kann, und damit dies der Fall ist, müssen sie ihn als einen Ausdruck ihrer eigenen Erfahrungen wahrnehmen.

Samstag, 9. Januar 2021

»Pandemie!: COVID-19 erschüttert die Welt« von Slavoj Žižek

Pandemie!: COVID-19 erschüttert die Welt


Für Hegel ist Philosophie ihre Zeit, in Gedanken gefasst und so fasst der slowenische Star-Philosoph Slavoj Žižek die heutige Zeit der Pandemie ebenfalls in essayistische Gedanken. Dabei entstanden ist sein Werk »Pandemie!: COVID-19 erschüttert die Welt« - eine Textsammlung von Slavoj Žižek zum Thema der grassierende Pandemie, die längst zum globalen Fluch geworden ist.

Der Planet wurde von einer beispiellosen globalen Pandemie erfasst, eine Erschütterung, welche die globalisierte Welt und die Menschen tief getroffen hat. Wer könnte ihre tiefere Bedeutung besser ergründen, ihre schwindelerregenden Paradoxien besser aufzeigen und über die Folgen und deren Tragweite eindringlicher spekulieren als der einflussreiche slowenische Philosoph Slavoj Žižek – und das auf atemberaubende, schweißtreibende Art und Weise.

Wir leben in einer Zeit, in welcher der größte Ausdruck von Liebe darin besteht, zum Objekt seiner Zuneigung Distanz zu halten; in der Regierungen, die für die rücksichtslose Kürzung öffentlicher Ausgaben bekannt sind, plötzlich wie von Zauberhand Milliarden bereitstellen können; in der Toilettenpapier zu einer Ware wird, die kostbar ist als Diamanten. Interessant ist seine Schlußfolgerung aus der Krise: Es ist eine Zeit, in der, so Žižek, eine neue Form des Kommunismus der einzige Weg sein wird, um den Abstieg in globale Barbarei abzuwenden.

Eine neue Form des Kommunismus der einzige Weg sein wird,
um den Abstieg in globale Barbarei abzuwenden.
Mit seinem lebendigen Schreibstil und Hang zu populärkulturellen Analogien (Quentin Tarantino und H.G. Wells treffen hier auf Hegel und Marx) liefert Žižek eine ebenso scharfsinnige wie provokative Momentaufnahme dieser Krise, die sich mehr und mehr ausbreitet und uns alle erfasst.

Literatur:

Pandemie!: COVID-19 erschüttert die Welt von Slavoj Žižek

Warum brauchen wir die Philosophie?


Sokrates


Philosophen sind auch nur Menschen, wie andere auch, aber sie haben durch ihre Sicht auf die Dinge Besonderes geleistest. Sie vermochten aber auf große, bedrängende Herausforderungen ihres Lebens produktiv zu antworten - sie gaben philosophische Antworten, die den Anspruch stellen, nicht nur eine Lösung für ein beliebiges, nebensächliches Problem zu sein. Groß und bedeutend sind die genannten Philosophen zu nennen, weil sie den Anspruch erheben können, das Wesentliche, den Grund, die Wurzel jedes menschlichen Lebens erkannt und entfaltet zu haben. Philosophie bedeutet gedankliche Bewältigung des Lebens.

Sokrates zum Beispiel war eine recht häßliche Natur. Sein Äußeres brachte ihn dazu, ganz auf seinen Verstand zu setzen. Er verstand sich als jemanden, der andere von der Trägheit im eigenen Denken und Handeln befreien wollte; jeder sollte lernen selbst zu denken und zu urteilen. Die Vernunft war für ihn der alleinige Maßstab der Wahrheit, nicht das gesellschaftlich Sanktionierte. Alle Aussagen und Meinungen, gerade die selbstverständlichen müssen geprüft und auf ihre Wahrheit hin befragt werden.

Der Epikureer dagegen benötigten zum Glück kein Geld, sondern Freundschaft, Freiheit und die Besinnung auf das Notwendige. Der Stoiker Seneca wieder entwickelte eine ganz andere Philosophie: Schraube deine Ansprüche herunter, um nicht enttäuscht zu werden. Wir werden weniger zornig sein, wenn wir weniger erhoffen. "Nichts gibt das Schicksal zu festem Besitz", daher wende dich dir selbst zu. Der Weise ist sich selbst genug.

DescartesDescartische Zweifel ist noch heute eine verbreitete Methode der wissenschaftlichen Erkenntnis.

Montaigne erkannte in seinem Leben wiederum, dass die Rolle der Vernunft maßlos übertrieben wird. Der Mensch besteht eben auch aus einem Leib, der animalisch ist und sein Recht verlangt.

Hegels so ausgreifender wie beweglicher Geist war Widerspruchsgeist. Denn Philosophie war für ihn gelebtes Krisenbewusstsein, Denken eines in Widersprüchen, eine ständig bewegte, in Bewegung gehaltene Reflexion. Hegel betonte ebenso ausdrücklich, daß sich das Denken, etwa nur über das Hier und das Jetzt, oder aber das Sein oder das Werden, die Freiheit und die unveräußerlichen Freiheitsrechte, über Recht, Moral oder Sittlichkeit, Religion oder Ästhetik nicht popularisieren, geschweige denn, wie Ostritsch schreibt, „plattmachen“ ließe.


Kant hatte es vorgemacht, und so war eine der wichtigen unter den eminenten Erkenntnissen Hegels die, daß er das Subjekt in die Verantwortung nahm. Der auf Hegel folgende Marx machte die materiellen Verhältnisse verantwortlich für die Umstände, unter denen sich die Menschen an der Natur und den gesellschaftlichen Verhältnissen abarbeiten. Das Sein, so offenbarte sich ein versimpelter Marxismus immer wieder dogmatisch, bestimme das Bewusstsein.

Bereits Hegel durchdachte die Frage, inwieweit die von Menschenhand geschaffenen Verhältnisse für das Schicksal des Menschen verantwortlich sind. Doch undenkbar dieser Gedanke ohne den Gedanken Hegels, wonach das Wissen von der Welt nicht von den Objekte ausgehe, sondern auf der Seite des Subjekts liege, seines Bewusstseins – mit allen Folgen für den menschlichen Verstand, seine Vernunft.

Fichte brachte es philosophisch auf den Punkt: "Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist; denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen oder abnehmen könnte, sondern ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat."

"Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist; denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen oder abnehmen könnte, sondern ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat."
Johann Gottlob Fichte


Arthur Schopenhauer



Schopenhauer war ein Pessimist, der aus Enttäuschung am Leben zum Philantrophen geworden ist und eine Philosophie des Pessimismus entwickelt hat.Sein Pessimismus war seine Art der Bewältigung des Lebens. Schopenhauer war ein Philantroph. Er begriff die Welt als Wille und Vorstellung und erhob den Willen zum bestimmenden Prinzip des Lebens.


Friedrich Nietzsche

Nietzsche ist inspirierend und wichtig als Kritik und Impuls. Er verstand sich selbst als Experimentalphilosoph, und das ist eine bleibende Leistung, Neuland zu betreten, zu analysieren und vor allem, keine Scheu zu haben vor neuen Vorschlägen.

Das Werk Nietzsches ist ebenfalls aus seinem Leben heraus verstehen. Seine grundlegende Erfahrung lautet: Wir müssen schmerzliche und bittere Erfahrungen machen und Schwierigkeiten überwinden, wenn wir Großes leisten wollen. Nietzsche verarbeitete in seiner Philosophie seine eigenen Krankheiten, seine Enttäuschungen und erlittenen Zurückweisungen, nicht indem er wie Schopenhauer mit Abscheu und pessimistisch auf das Treiben der Menschen blickt.

Vielmehr hielt er an großen Zielen fest und verstand die täglichen Mühen und Schwierigkeiten als notwendige Herausforderungen des Menschen, die ihn immer wieder zu Höchstleistungen antreiben. Das Glück und das Unglück sind zwei Geschwister, die miteinander groß werden und wachsen können. Leistung erwächst nicht auf dem Humus der Behaglichkeit.Von Schopenhauer übernahm der den Willen als bestimmendes Prinzip und deutete ihn um als Willen zur Macht. Für Nietzsche ist alles Leben Wille zur Macht.

Der »Trost der Philosophie« ist auch nur am Rande als Ratgeber zu verstehen - es ist vor allem eine originelle und auf jeder Seite lesenswerte Einführung in philosophisches Denken und Handeln.

Weblink:


Trost der Philosophie: Eine Gebrauchsanweisung
von Alain de Botton

Montag, 4. Januar 2021

Henri Bergson 80. Todestag

Henri Bergson

Henri Bergson starb vor 80 Jahren am 4. Januar 1941 in Paris. Bergson war ein französischer Philosoph und Nobelpreisträger für Literatur 1927. Er gilt neben Friedrich Nietzsche und Wilhelm Dilthey als bedeutendster Vertreter der Lebensphilosophie.

1896 publizierte er seine zweite größere Schrift »Matière et mémoire« (dt. »Materie und Gedächtnis«, 1908), in der er auch die neueste Hirnforschung berücksichtigte. 1897 wurde er als maître de conférences mit Vorlesungen an der »École Normale Supérieure« betraut, wo er kurz darauf zum Professor ernannt wurde.

Im Jahr 1900 wurde er auf den Lehrstuhl für Griechische Philosophie am Collège de France berufen, der prestigereichsten aller französischen Bildungsinstitutionen. 1901 wählte ihn die Académie des sciences morales et politiques zum Mitglied.

Bergson versuchte, eine "positive Metaphysik" zu konstruieren und aus der Philosophie eine Wissenschaft zu machen, die auf Intuition als Methode basiert, deren Ergebnisse aus Erfahrung stammen und die ebenso streng sein würde wie die auf Intelligenz basierenden Wissenschaften wie Mathematik in erster Linie. Im Gegensatz zu Platon und René Descartes, die Geometrie als Modell verwendeten, um Metaphysik zu einer Wissenschaft zu machen, nimmt Bergson als Modell Biologie, Psychologie und Soziologie, aufstrebende Wissenschaften seiner Zeit, die auf Bewegung und nicht auf konzeptueller Fixierung beruhen. und nach Bergson nicht ganz mathematisierbar.

Bergson unterschied zwischen "Intelligenz" und "Intuition". Intelligenz ist auf Materie geregelt, das heißt, sie ermöglicht Wissen, was Frédéric Worms zusammenfasste: „Intelligenz ist […] die Fähigkeit bestimmter Lebewesen (Menschen) durch Werkzeuge auf Materie einzuwirken und bestimmte Objekte durch ihre Beziehungen zu kennen, also vor allem durch den Raum."

Die Intuition hingegen wird im Laufe der Zeit reguliert. „Die Analyse arbeitet mit dem Unbeweglichen, während die Intuition in die Mobilität oder, was dasselbe bedeutet, in die Dauer gestellt wird. Dies ist die sehr klare Grenze zwischen Intuition und Analyse. »Es überschreitet die geschlossenen Rahmenbedingungen, die Intelligenz schafft, um sich die Welt anzueignen, und sucht nach einer Wissensquelle im Leben.

Bergson eröffnete damit den Weg zu einer neuen Metaphysik, indem er bestätigt, dass das Reale in seinem Ursprung erkennbar ist. „In der Erfahrung, sensibel, zeitlich, unmittelbar, muss es Intuition geben oder überhaupt nicht. Wenn jedoch Intuition gegeben ist, liefert sie die Charaktere einer Realität ohne jegliche Relativität aufgrund unserer Sinne oder unseres Wissens und erhält daher eine metaphysische Bedeutung: Das Kriterium der Dauer ist dann die intrinsische Garantie des Bereichs Metaphysik der Intuition.

In diesem Punkt widersetzt sich Bergson Kant, indem er in die "Materie" der "sensiblen Intuition" ihre Form (Zeit) zurückbringt, genau die Konzepte des Verstehens (mit Intuition) Materie, die Intelligenz begründet) und vor allem die großen metaphysischen Erfahrungen des Selbst, der Welt und sogar Gottes, die für den Philosophen als solchen unzugänglich sind, der mystischen Erfahrung.

Henri Bergson bestritt die Rolle der rationalen Erkenntnis und erklärte die voluntative Intuition, die mystische Schau als höchste Stufe der philosophischen Wirklichkeitsaneignung. Auf diesem Wege sei die Wahrheit unmittelbar, jenseits sinnlicher und rationaler Daten erkennbar.

Henri Bergson wurde am 18. Oktober 1859 in Paris geboren.

Henri Bergson

Samstag, 2. Januar 2021

Die gesellschaftliche Bedeutung der Philosophie (E)


Die Philosophie sieht sich in Zeiten einer sich rasant verändernden Welt in der Verantworung, Beiträge für die notwendige Gestaltung der Gesellschaft zu liefern. Es gibt eine Einsicht: Nur ein verantwortungsvoller Umgang mit der Welt kann die Welt noch retten.

Es ist die Aufgabe der Philosophie, durch gedanklich Auseindersetzung mit den relevanten Themen der Zeit Diskurse anzustoßen und gesellschaftliche Debatten zu entfachen

Demokratie braucht die Möglichkeit zur Diskussion, denn dort wo diskutiert wird, können im Wettstreit der Ideen bessere Lösungen gefunden werden. Die Debatte ist die Grundlage für eine Diskussion über relevante Themen. Dort, wo keine Debatte geführt wird, gibt es keine Diskussion über notwendige Veränderungen

Die Philosophie sieht sich nicht in der Verantwortung, notwendige Debatten zur aktuellen Themen wie Klimaschutz, Energiewende, etc. anzustoßen, um einen Konsons für die notwendige Umgestaltung zu finden.

Für eine Debatte ist eine kritische Reflektion der Gesellschaft nötig.

Montag, 21. Dezember 2020

Halkyonische Tage

Die Halkyonische Tage bezeichnen eine stille, melancholische Gemütsstimmung, zurückgehend auf Alkyone und ihr Ehemann Keyx König von Thessalien.

Es ist die Zeit der vierzehn „halkyonischen Tage“ im Dezember um die Wintersonnenwende. Die halkyonischen Tage wurden im antiken Griechenland wegen des in diesem Zeitraum gewöhnlich heiteren Wetters und der Windstille geschätzt. Sie wurden nach der Halkyon, dem Eisvogel, benannt, denn man nahm an, dass das Eisvogelweibchen um diese Zeit nistet und brütet.

Samstag, 12. Dezember 2020

Das intensive Leben ist eine Daseinsform der Moderne

Das intensive Leben: Eine moderne Obsession
Das intensive Leben: Eine moderne Obsession

Das intensive Leben ist eine Daseinsform der Moderne. Die ständige Suche nach Intensität ist allerdings auch anstrengend: Süchtig jagen wir neuen Höhepunkten und Extremen nach, immer unter Strom. Kein Wunder also, dass in unseren »Hochspannungsgesellschaften« das Unbehagen wächst. Die intensive Landwirtschaft zerstört die Natur, das Selbst ist erschöpft, Apathie, Mittelmäßigkeit und Depression signalisieren das Ende des großen Wachstums- und Intensitätsrauschs.


Wie können wir dennoch das Gefühl bewahren, am Leben zu sein? Jenseits von Lebenshilfe und Glücksratgebern, die Weisheit und Seelenheil in einer Rückkehr zu Buddhismus oder Religion versprechen, und mit der E-Gitarre im Gepäck ruft Garcia zum Widerstand auf. Seine Forderung: Wir brauchen eine Ethik der Intensität.

Das intensive Leben: Eine moderne Obsession
Das intensive Leben: Eine moderne Obsession


Intensität ist einfach nur eine andere Sicht auf das - weitgehend von den Vertretern der Wirtschaft - bestimmte Leben. In seinem Buch »Das intensive Leben: Eine moderne Obsession« erläutert der französische Philosoph Tristan Garcia, warum wir dazu neigen, der Intensität nachzujagen, aber dieses ist womöglich ein falsches Ideal, welchem die Menschen gerade in der Weihnachtszeit vergeblich hinterherjagen .

Samstag, 5. Dezember 2020

Plotin 1750. Geburtstag

Plotin

Plotin wurde 204 n. Chr. in Ägypten geboren und starb in Kampanien. Plotin war ein antiker Philosoph, ein Denker und Mystiker. Seine Ausbildung erhielt er in Alexandria bei Ammonios Sakkas, von dem er maßgebliche Impulse empfing.

Plotin ist der Begründer und bedeutendste Vertreter und Denker des Neuplatonismus. Der Denker der späten Antike des 3. Jahrhunderts war ein Rehabilitierender des (neu-)platonischen Systems, das ganz von Idealismus und Transzendenz durchtränkt war. Er prägte die Philosophie der Spätantike und war darüber hinaus von größtem Einfluß auf die gesamte metaphysische Tradition in Mittelalter, Renaissance und Neuzeit.

Platon Plotin aus Alexandria betrachtete sich nicht als Neuerer und Erfinder eines neuartigen Systems. Vielmehr legte er Wert darauf, ein treuer Anhänger der Lehre Platons zu sein. Bei seiner Anknüpfung an Platon stützte er sich vor allem auf dessen Dialog Parmenides. Er war der Überzeugung, seine Philosophie sei konsequent aus Platons Darlegungen abgeleitet, sie sei eine authentische Interpretation und bruchlose Fortsetzung des ursprünglichen Platonismus und er formuliere explizit, was bei Platon auf „unentfaltete“ Weise ausgedrückt sei.

Plotin hatte kein privates Eigentum und lebte rein vegetarisch. In der Antike war Philosophie in erster Linie eine Lebensweise und in zweiter Linie eine wissenschaftliche Disziplin. Plotin lehrte eien dionyische, sinnlich-lustvolle Philosophie.

Er lehrte und schrieb in griechischer Sprache. Seine Schriften waren für den Schülerkreis bestimmt und wurden erst nach seinem Tod einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. In Kreisen der politischen Führungsschicht des Römischen Reichs erlangte er hohes Ansehen.

Plotin betrachtete sich nicht als Entdecker und Verkünder einer neuen Wahrheit, sondern als getreuen Interpreten der Lehre Platons, die nach seiner Überzeugung im Prinzip bereits alle wesentlichen Erkenntnisse enthielt. Sie bedurfte aus seiner Sicht nur einer korrekten Deutung mancher strittiger Einzelheiten und der Darlegung und Begründung bestimmter Konsequenzen aus ihren Aussagen.

Grundlegend war für Plotin die Scheidung der gesamten Vielfalt der Dinge in eine übergeordnete, rein geistige (intelligible) Welt (kósmos noētós) und eine untergeordnete, sinnlich wahrnehmbare Welt (kósmos aisthētós). Das Unterordnungsverhältnis dieser beiden Bereiche ist der markanteste Ausdruck der hierarchisch abgestuften ontologischen Ordnung der Gesamtwirklichkeit. Bei der detaillierten Ausarbeitung dieses Ordnungssystems geht Plotin von einschlägigen Hinweisen Platons aus.

Plotin philosophierte nicht aus Liebe zur Theorie und zum Spiel mit Begriffen Plotin war ein Existenzphilosoph, der ein Leben als Philosoph führte. Er versuchte, seine Philosophie zu leben und sein Leben durch die Philosophie zu verändern.

Wie bei den antiken Philosophen üblich, fasste Plotin die Philosophie nicht als eine unverbindliche Beschäftigung mit gedanklichen Konstrukten auf, sondern als ideale Lebensweise, die im Alltag konsequent zu verwirklichen war. Dazu gehörte für ihn eine asketische Ernährung, wenig Schlaf und unablässige Konzentration auf den eigenen Geist bei allen Tätigkeiten. Das Erkenntnisstreben war bei ihm zugleich ein religiöses Erlösungsstreben. Sein religiöses Leben spielte sich aber nicht im Rahmen gemeinschaftlicher Betätigung nach den traditionellen Gepflogenheiten eines Kults ab, sondern bildete einen strikt privaten Bereich. An den herkömmlichen religiösen Festen, Riten und Opfern beteiligte er sich nicht.

Die schriftstellerische Tätigkeit Plotins setzte erst 253/254 ein und dauerte bis kurz vor seinem Tod. Ursprünglich waren seine Schriften formlose, nur für den Schülerkreis gedachte Aufzeichnungen von Gedankengängen; sie wurden vom Autor nicht einmal mit Titeln versehen. Nachdem Porphyrios 263 in die Schule eingetreten war, intensivierte Plotin auf Bitten von Porphyrios und Amelios seine schriftstellerische Tätigkeit.

Ab 244 lebte er in Rom, wo er eine Philosophenschule gründete, die er bis zu seiner tödlichen Erkrankung leitete.

Der ab 260 als Alleinherrscher regierende, für kulturelle Belange aufgeschlossene Kaiser Gallienus und seine Frau Salonina schätzten und förderten Plotin. Unter dem Eindruck der kaiserlichen Gunst fasste Plotin den Plan der Neubesiedlung einer verlassenen Stadt in Kampanien. Sie sollte nach den von Platon entworfenen Gesetzen regiert werden und Platonopolis heißen. Er selbst wollte mit seinen Schülern dorthin ziehen. Porphyrios berichtet, dieses Vorhaben habe dank Plotins Einfluss beim Kaiser gute Aussicht auf Verwirklichung gehabt, sei aber an Hofintrigen gescheitert.

Plotin begriff das Leben als körperliche und sinnliche Erfahrung. Nur der "mystische Verstand" im Sinne Plotins ermöglichte diese existenzenielle Erfahrung.

Bekannt ist sein programmatischer Ausspruch, er nehme nicht am Gottesdienst teil, denn „jene (die Götter) müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen“.

Literatur:

Plotin und der Neuplatonismus Plotin und der Neuplatonismus von Jens Halfwassen Plotin und der Neuplatonismus Plotin und der Neuplatonismus von Jens Halfwassen

Ausgewählte Schriften Ausgewählte Schriften von Plotin

»Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit« von Nikil Mukerji und Adriano Mannino - Rezension



»Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit« von Nikil Mukerji und Adriano Mannino ist das Buch zur Corona-Krise. Nikil Mukerji ist promovierter Philosoph und arbeitet an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München. Darüber hinaus ist er selbständiger Mitarbeiter am Institut für Argumentation in München.

In den ersten drei Kapiteln wird der Beginn der Corona-Katastrophe in China geschildert und mit philosophischen Fragen konfrontiert. Der Name Li Wenliang (gestorben am 07.02.2020) steht auch in der Widmung.
Im nächsten Abschnitt wird deutlich, dass die Pandemie trotz einiger Andeutungen (Bill Gates) auch in diesem Umfang völlig überraschend kam. Politiker, Ärzte und Wissenschaftler waren trotz allgemeiner Warnungen zu diesem Zeitpunkt unvorbereitet. Am Beispiel der Pandemie wird deutlich, dass die Forschung gerade solche sensiblen Themen wie den Ausbruch eine Pandemie, in der Öffentlichkeit erst in Reaktion auf die praktischen Gegebenheiten aufarbeiten kann.-
Das Buch schildert hier die Ereignisse des Frühjahrs 2020 und nennt auch deren Protagonisten. Auch die Reproduktionszahl und andere Begriffe werden erläutert. Immer wieder wird auch die Rolle der Philosophie als Vermittlerfunktion zwischen Presse, Politik und Öffentlichkeit einerseits und Wissenschaft andererseits dargestellt.
Auch der Umgang mit der Bedeutung und der Funktion der wissenschaftlichen Experten wird reflektiert, und es wird gezeigt, woran auch diese scheitern können. Experten können irren oder haben das Problem, dass ihre Forschungsergebnisse noch hypothetisch sind, während Politik und Öffentlichkeit schon nach sicheren Fakten fragen.
Weiterhin kam es in diesem Zusammenhang auch dazu, dass Experten in verschiedenen Fragen die Position änderten. Dies wird am Beispiel von Christian Drosten und Alexander Kekulé gezeigt, die auch im Moment in der Frage der Schulöffnung wieder angefragt werden. Man sollte aber auch wissen, dass die Themen, in denen sich die Wissenschaftler schon nach einem Tag anders geäußert haben noch am Tag zuvor, keine wissenschaftlichen Fragestellungen waren, sondern Fragen wie Schulöffnung – Schließung, Maskentragen, Handy-APPs und ähnlich eher praktische Themen.
Im Zusammenhang mit der Phase, in der der Shutdown wieder zurückgeführt werden sollte ist von drei Alternativen die Rede, die sich in erster Linie auf die sogenannten Risikopersonen beziehen: Cocooning (Schutz von Risikogruppen), Containment (Eindämmung der Epidemie), Delay (Verhinderung der Infektionen; Die Begriffe sind im Glossar erklärt, d. Rez.).
Die Pragmatik dieses philosophischen Ansatzes, der auch Kants kategorischen Imperativ einbezieht, soll ein kurzes Zitat verdeutlichen: „Erwägungen in Bezug auf Risikoabsicherung sind im Bereich der Entscheidungstheorie und der Risikoethik zu verorten. Das Kernthema dieser philosophischen Disziplinen bildet die Frage nach der rationalen und ethisch vertretbaren Entscheidung unter Unsicherheit.“ (S. 15)
So aufregend und aufwühlend auch die sorgfältig recherchierte Pandemiegeschichte ist, so kompliziert sind die philosophischen Gedankengänge zum Teil. So ist wohl eine „Philosophie in Echtzeit.“
Das Buch endet mit einem Abschnitt überschrieben mit: „Über Philosophie in Echtzeit“, der 10 These zu diesem Thema enthält: Die Notwendigkeit in Echtzeit philosophieren zu müssen, wird quasi von der Zeitgeschichte aufgedrängt. „Drohende und aktuelle Katastrophen stellen typische Kontexte dar. In denen Philosophie in Echtzeit gefragt ist.“ (S. 106) Gerade der Druck dieser Aktualität macht diese Art zu Philosophieren problematisch und für Fehler anfällig. Die Autoren empfehlen, die Problem im Voraus zu sehen und so quasi auf Vorrat zu bearbeiten. Die in der Situation geforderte Praxisorientierung muss hingegen kein Nachteil sein. Die kommenden Katastrophen voraus zu sehen und zu bearbeiten, schließt bewusst andere Szenarien ein.

Dies wurde schon im vorletzten Abschnitt angedeutet und bearbeitet, denn hier werden die Themen „Fleischproduktion“ (Hier: Zoonosen), Klimawandel und Künstliche Intelligenz behandelt. Der Ausdruck „Zoonosen“ bezieht sich auf den Ausbruch der Pandemie, wob ei auch schon im Ablauf eine besondere Anfälligkeit der Schlachthöfe deutlich wurde. Dieser Schlussabschnitt zeigt am Ende der Reflexion über die Corona-Pandemie, dass diese die Klimadebatte keinesfalls verdrängt haben kann, da sie selbst Teil dieser Katastrophe ist. Der Virus muss ein Symbol des menschlichen Missbrauchs der natürlichen Umwelt sein. Das Virus Corona ist von einem Tier auf den Menschen übergegangen. Es ist ein unheimlich schnelles Virus, das dann auch schnell weitergegeben werden kann, schon früh auch von Menschen zu Menschen.

Literatur:

Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit von Nikil Mukerji und Adriano Mannino

Samstag, 28. November 2020

Friedrich Engels 200. Geburtstag

Friedrich Engels

Friedrich Engels wurde vor 200 Jahren am 28. November 1820 in Barmen in der preußischen Provinz Jülich-Kleve-Berg als Sohn eines erfolgreichen Baumwollfabrikanten geboren. Friedrich Engels war ein deutscher Philosoph, Gesellschaftstheoretiker, Historiker, Journalist und kommunistischer Revolutionär. Darüber hinaus war er ein erfolgreicher Unternehmer in der Textilindustrie. Er entwickelte gemeinsam mit Karl Marx die heute als Marxismus bezeichnete Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie.

Trotz seiner Herkunft aus einer Unternehmerfamilie, entschied er sich, für eine andere Gesellschaft zu kämpfen, in welcher der Mensch von der Ausbeutung befreit ist. Gemeinsam mit seinem jahrelangen Freund und Genossen Karl Marx entwickelte er die marxistische Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie. Als Mitverfasser vom »Kommunistischen Manifest« und Autor zahlreicher revolutionärer Schriften leistete er eine enorme Arbeit für den Sozialismus und verurteilte bis zu seinem Lebensende die kapitalistische Gesellschaft.

Engels beschäftigte sich schon vor Marx mit der Kritik der politischen Ökonomie. Die 1844 erschienenen Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie wurden für Marx zum Ausgangspunkt seiner eigenen Arbeiten. Bereits 1845 erschien die gemeinsame Schrift Die heilige Familie, mit der Engels und Marx begannen, ihr Theorieverständnis zu formulieren. Im Jahr 1848 verfassten sie im Auftrag des Bundes der Kommunisten das »Kommunistische Manifest«.


Mit seiner einflussreichen Untersuchung »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« (1845) gehörte Engels zu den Pionieren der empirischen Soziologie. Seine publizistische Tätigkeit trug wesentlich zur Verbreitung des Marxismus bei. Neben dem »Anti-Dühring« (1877) erfuhr vor allem die Kurzfassung »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« (1880) starke Resonanz.

Karl Marx

Nach dem Tod von Marx übernahm Engels die führende Rolle in der internationalen Arbeiterbewegung. Nach Marx’ Tod 1883 gab Engels den zweiten und den dritten Band von dessen Hauptwerk, »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie«, heraus. Darüber hinaus setzte er die Arbeit an der theoretischen Ausformung ihrer gemeinsamen Weltanschauung fort, unter anderem in »Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats« (1884) und »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie« (1888).

Neben seinen ökonomischen und philosophischen Studien befasste sich Engels auch intensiv mit der Entwicklung der Naturwissenschaften und der Mathematik und schuf damit den Grundstein für den späteren dialektischen Materialismus. Engels leistete eine enorme Arbeit für den Sozialismus und verurteilte bis zu seinem Lebensende die kapitalistische Gesellschaft.

Die Gefahr eines Weltkriegs in Europa sah er deutlich voraus und versuchte noch 1893 mit einer Artikelserie im Vorwärts einen Anstoß zur Reduzierung der stehenden Heere zu geben. Friedrich Engels starb am 5. August 1895 in London.

Videos:

Friedrich Engels - Der vergessene Wuppertaler - YouTube

Friedrich Engels. Grundsätze des Kommunismus. 1847 - Youtube


Samstag, 21. November 2020

Der alte dogmatische Glaube ist tot


Der alte bekannte überlieferte und eingeprägte Gott der Christen, etwa die Trinität, Jesus als Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinweg nimmt, nicht mehr lebendig ist und nicht mehr innerlich verehrt und akzeptiert wird. Darüber gibt es eigentlich keine Diskussion, das ist auch empirisch erwiesen: Der alte dogmatische Glaube, der zum Dogma erstarrte Glaube, ist tot. Dogmen sind bei den Menschen nicht mehr gefragt. Jeder macht sich seine persönliche „Glaubensmelange“.

Man werfe heute nur ein Blick in die Kirchen am Sonntag: der Gottesdienst-Besuch lässt in ganz Europa ständig nach. In manchen Ländern geht er gegen Null. Die dort verbreiteten Gotteslehren und oft auch in eins mit Morallehren sind nicht mehr nachvollziehbar. Das Mönchleben und die Orden sterben aus. Große Begeisterung, Pfarrer zu werden, ist kaum zu spüren, viele theologische Fakultäten stehen etwa in Deutschland vor der Schließung.

In früheren christlichen Zeiten galt ein ohne Glaube geführtes Leben als sinnlos und ohne Gott als Sünde. Heute ist Gott in den Herzen der Menschen nicht mehr lebendig.

Alle Religionen, die es nicht mehr gibt, wurden von den guten Religionen , entweder missioniert oder massakriert. z.B. im Fall von den Maya wurden sie von den Christen massakriert oder missioniert , weil der christliche Gott natürlich besser ist. Das ist das Grundmerkmal einer guten Religion, daß der liebe Gott nicht nur barmherzig , sondern auch besser bewaffnet ist.

Woran kann man überhaupt noch glauben? Wir brauchen den Glauben weil er uns tröstet, im Angesicht unserer Sterblichkeit und weil die Welt schlecht ist. Das ist ja für viele die höchste göttlich Wahrheit. Das stimmt nicht. Das ist ein Irrglaube. Dieser Irrglaube hat die größte Glaubensgemeinschaft in Deutschland. Der Orden der Jammerlappen.

Die Welt ist besser als wir glauben, aber wir kriegen das nicht mit, weil sich unser Glauben nicht an Fakten orientiert sondern an dem was man so erzählt. Deshalb sind wir so empfindlich wenn jemand an unserem Glauben zweifelt, weil damit unser Weltbild zerstört wird. Was Nietzsche empört hatte war, dass alle so weiter machen und weiter leben wie bisher, als sei dieser Gott gerade nicht tot. Sie flüchten in den Schein und den Selbstbetrug.

Aber dieser verstorbene Gott war früher sozusagen der oberste Garant einer Werte – Ordnung: „Für Gott und Vaterland“, man erinnert sich an den Spruch; Gott ist die oberste Wahrheit; alles Erkennen geschieht in göttlichem Licht; Gott ist der Schöpfer der Welt usw.

Wenn dieser Gott der obersten Werte und vertrauten Weltbilder tot ist, dann bricht eine Welt zusammen. Dann wird den Menschen der Boden entzogen. Der antike Philosoph Plotin lehrte, daß die Welt nicht verachtet werden darf, weil Gott in ihr wohnt.

Weblink:

Nietzsche - gefährlich anregend. Ein Vortrag im religionsphilosophischen Salon - Religionsphilosophischen Salon

Dienstag, 17. November 2020

Arthur Schopenhauer Denken

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer Denken wurde stark geprägt zum einen von Platon, insbesondere von dem sogenannten "Höhlen-Gleichnis". Dort zeigt sich für ihn eben das "Erkennen", das zugleich ein "anderes Sein" bedeutet. Es ging für Schopenhauer nicht mehr darum die Gegenstände besser zu sehen, sondern in der Sonne zu sein.

Für Schopenhauer ist der Wille das oberste Weltprinzip, das alles Seiende durchdringt. Die Welt „an sich“ sei Wille, in unserer Wahrnehmung aber Vorstellung, weil der Erkenntnisakt stets der Bezug eines Subjekts auf ein Objekt sei. Da sich das Subjekt auch selbst erfahren könne, sei es zugleich sein eigenes Objekt, so dass beides zusammen gedacht werden müsse.

»Es ist wirklich unglaublich, wie nichtssagend und bedeutungsleer, von außen gesehn, und wie dumpf und besinnungslos, von innen empfunden, das Leben der allermeisten Menschen dahinfließt. Es ist ein mattes Sehnen und Quälen, ein träumerisches Taumeln durch die vier Lebensalter hindurch zum Tode, unter Begleitung einer Reihe trivialer Gedanken.«

Arthur Schopenhauer (1788 - 1860), deutscher Philosoph

Innerhalb von Raum, Zeit und Kausalität sei der Wille dem Individuationsprinzip unterworfen und entfalte sich in den Einzeldingen der Welt als Wille zum Leben, so dass auch der Leib die materialisierte Erscheinung des Willens darstelle. Der Wille als „Ding an sich“ sei die Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft und Metaphysik, da er sich auch auf empirischem Wege in den Erscheinungen der Natur nachweisen lasse. Der Wille als Lebensprinzip bewirke, dass das Leben zum Drang und zum Leiden werde:

Wie Schopenhauer pessimistisch anführt „Deutlich genug spricht aus dem ganzen menschlichen Daseyn das Leiden als die wahre Bestimmung desselben. Das Leben ist tief darin eingesenkt und kann ihm nicht entgehn: unser Eintritt in dasselbe geschieht unter Thränen, sein Verlauf ist im Grunde immer tragisch, und noch mehr sein Ausgang.“

Dem blinden, vernunftlosen Drängen und Streben des Willens, der ob seiner Unersättlichkeit
notwendig unerfüllt bleibe und somit die Quelle allen Leids darstelle, sei nur zu entkommen,
wenn es gelinge, den Willen zu verneinen.

Leben heißt Leiden, und unsere Welt ist die schlechteste aller Welten. Dieser tiefe Pessimismus wurzelt in Schopenhauers Weltanschauung.

In Arthur Schopenhauers Philosophie ist der Pessimismus tief verwurzelt.


Literatur:

Die Welt als Wille und Vorstellung
Die Welt als Wille und Vorstellung
von Arthur Schopenhauer


Weblink:

»Die Welt als Wille und Vorstellung« von Arthur Schopenhauer

Samstag, 14. November 2020

Nietzsche - Gott ist tot

Friedrich Nietzsche



»Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwahrend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts! ... Gott ist tot!««

In Nietzsches »Die fröhliche Wissenschaft« verkündet der „tolle Mensch“ im Jahr 1882: „Gott ist todt! … Wir haben ihn getödtet!“ Hundert Seiten weiter heißt es dann, freilich erst ab 1887 in der zweiten Auflage: „Der Horizont ist wieder frei… jedes Wagnis des Erkennenden ist wieder erlaubt.“ Jetzt spricht nicht mehr der tolle Mensch, sondern ein freier Geist, selbstbewusst und zuversichtlich. Während sich Nietzsche in seinem Buch »Morgenröthe« noch 1881 „Am Sterbebett des Christentums“ gesehen hatte, geht 1887 die Fahrt nach dem Tode Gottes hinaus in die Morgenröte und aufs offene Meer.

Gott ist tot! - Nietzsche hat mit seiner Ausssage das Wesen der Religion zu erfassen gesucht und - überspitzt formuliert - auf einen kurzen Nenner gebracht. Es handelt sich hier um eine absichtsvolle metaphysische Entlarvung des Pfarrerssohnes aus Röcken.

Nietzsche wollte die Menschen dazu bringen, von der Zwei-Welten-Phantasie wegzukommen. - von der Diesseits-Jenseits-Vorstellung. Er wollte erreichen, dass die Menschen nicht in das Imaginäre transzendieren, sondern dass sie immanent transzendieren sollten, - sich selbst überwinden sollten über ihren jetzigen Zustand hinaus zum besseren hin, zum so genannten Übermenschen.

Er kam ja aus einem religiösen Elternhaus und wusste, wovon er sprach. Einerseits hatte er zu akzeptieren, das der Mensch ein transzendentes Wesen ist. Andererseits hatte er erkannt, dass der Mensch sich nur autonom entwickeln konnte, wenn er sich vom Religiösen befreite.

Das "An-einen-imaginären-Gott-glauben" war für ihn gleichbedeutend mit der Unfreiheit des Menschen und dessen Behinderung, sich frei zu entfalten und die Möglichkeiten auszuleben.
Wissenschaftlich könnte man sagen, den Menschen anthropologisch statt metaphysisch zu betrachten und zu bewerten.

Gott war früher sozusagen der oberste Garant einer Werte – Ordnung: „Für Gott und Vaterland“, man erinnert sich an den Spruch; Gott ist die oberste Wahrheit; alles Erkennen geschieht in göttlichem Licht; Gott ist der Schöpfer der Welt usw.

Wenn dieser Gott der obersten Werte und vertrauten Weltbilder tot ist: Dann bricht eine Welt zusammen. Dann wird den Menschen der Boden entzogen.
Es darf bezweifelt werden, dass Nietzsche Recht damit hat, dass Gott tot ist. Dazu muss man nur mal die Welt ansehen - Religion spielt fast überall auf der Welt noch eine sehr wichtige Rolle. Gott ist nicht tot. Aber die Zeiten, in denen sich ein wissenschaftlich kaum begründbarer Absolutheitsanspruch nicht weiter rechtfertigen musste, sind vorbei.


Und verschiedene Ausformungen des Glaubens, allzumenschliche (Titel eines seiner Werke!) Gottesbilder, die Bigotterien aller Art hervorbringen, werden von Nietzsche in eindrucksvoller Weise entlarvt. Nietzsche mag es damit auf Glaube an sich abgesehen haben, aber meiner Meinung nach ist er dort am stärksten, wo er nicht das Göttliche anprangert, sondern das rein "menschliche, allzumenschliche" Bedürfnis

Es gibt durchaus gute Antworten, die die Gläubigen dieser Herausforderung entgegensetzen können: Ja, es gibt ein metaphysisches Bedürfnis. Ja, Ethik und Moral sind nicht grundsätzlich veraltet und der Übermensch ist nicht unbedingt ein wünschenswerter Zustand für Gesellschaft und Menschheit. Religion kann viele wichtige Rollen sowohl für den Einzelnen, als auch die Gesellschaft annehmen.

»Der erste Mensch« - Von einem, der auszog seinen Vater zu suchen

Der erste Mensch



Der erste Mensch

»Der erste Mensch« (»Le premier Homme«) ist der letzte Roman von Albert Camus, in dem sein eigenes Leben imaginiert wird. Er erzählt von einem, der auszog seinen Vater zu suchen. »Der erste Mensch«, der Titel antwortet auf Nietzsches »Der letzte Mensch«, den Camus der Epoche des Nihilismus zurechnet. Das autobiografische Werk ist der Mutter, der "Witwe Camus" gewidmet. Es wurde kurz vor seinem Tode geschrieben und war lange Zeit ein unveröffentlichtes Manusript.

Kurz vor seinem Tod sprach Albert Camus gegenüber Freunden von einem Roman mit dem Titel »Der erste Mensch«, den er bereits früher in seinen Aufzeichnungen erwähnt hatte. Das Manuskript wurde in der Mappe gefunden, die Albert Camus mit sich führte, als am 4. Januar 1960 Michel Gallimards Wagen bei geschätzten hundertfünfzig Stundenkilometern aus nie geklärten Gründen von der schnurgeraden Straße abkam und gegen einen Baum prallte.

Camus läßt in dem Werk sein Leben Revue passieren. Erzählt wird darin die autobiografische Geschichte der Kindheit Albert Camus’ in einer kargen, von Armut geprägten Welt in Algerien. Auf der Suche nach seinem Vater, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist und den er nie kennengelernt hat, beginnt der Erzähler eine Reise zurück in die Kindheit.

An seinem Anfang steht Albert Camus' eigene Geburt. Ein junges Paar ist aus Frankreich gekommen. Von Algier reist es in das kleine Dorf, in dessen Nähe der Mann die Verwaltung eines Hofes übernehmen soll. Der arabische Kutscher peitscht die Pferde durch die regnerische Novembernacht. Die Frau ist hochschwanger. Gleich nach der Ankunft, noch bevor der Arzt eintrifft, kommt das Kind zur Welt.

Das Stück taucht gleich zu Beginn des Monologs in die die Hitze Algiers, die Armut, die Unschuld, die Einfachheit ein, die Camus in seiner Kindheit erlebte – in die Welt der „natürlichen Schönheit“, die dann dem technischen Fortschritt geopfert wurde. Diese Welt will er als Erwachsener in Nordafrika wiederfinden. Er erinnert sich an die freie Schwerelosigkeit am Strand, in der Sonne, im Meer. An eine liebende Mutter, eine strenge, doch zukunftsorientierten Großmutter – und einen Lehrer, der das Potenzial seines Schülers erkennt. So entwickelt sich der Erzähler zu dem weltweit gefeierten Autor und Philosophen, der Camus später war.

Albert Camus nennt sich Jacques Cormery. Die biographischen Eckdaten und existentiellen Stationen seiner literarischen Figur entsprechen bis in Details der Vita des am 7. November 1913 geborenen Dichters, der hier seine algerische Kindheit erzählt. Von ihr war nur wenig bekannt und Cormery übrigens der Name seines Großvaters mütterlicherseits.

Literatur:

Der erste Mensch
Der erste Mensch
von Albert Camus

»Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit« von Nikil Mukerji und Adriano Mannino



»Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit« von Nikil Mukerji und Adriano Mannino ist das Buch zur Corona-Krise. Wir sind mitten in der Pandemie, viele Fragen sind nach wie vor ungeklärt. Das Buch gibt sowohl eine Momentaufnahme zur Situation als auch eine philosophische Einordnung insbesondere zur Frage 'Entscheidung unter Unsicherheit'. Die Rolle der Wissenschaft wird in der aktuellen Krise neu justiert, das Essay ist ein guter Beitrag dazu.

Das Buch ist Mitte Mai erschienen, wurde also wahrscheinlich im April geschrieben. Die Situation ist inzwischen eine andere, aber die Fragen sind berechtigt und bleiben: "Wieso wurde zu Beginn der Pandemie nicht deutlich konsequenter gehandelt, obwohl uns aus Wuhan schon Horrormeldungen erreichten?"

Bislang suchte man vergeblich nach einem substanziellen Beitrag, der die Corona-Krise aus einer philosophischen Perspektive beleuchtet. Nikil Mukerji und Adriano Mannino haben nun ein Buch über "Philosophie in Echtzeit" vorgelegt, das Aufklärung im besten Sinne leistet. Sie zeigen konkrete Handlungsmöglichkeiten auf, wie ein rationaler, faktenbasierter und verantwortungsvoller Umgang mit der Pandemie aussehen könnte.

Endlich eine Ontologie der Vorgänge, die wir gerade live erleben. Gratulation an den Autor, dass er angesichts der Dynamik der Ereignisse ein Buch geschafft hat, was zwar in Teilen überarbeitet werden müsste, aber trotzdem wesentliche Beiträge zur Debatte liefert, was Gutes und richtiges Handeln ist. Jeder von uns muss ja jeden Tag die Aussagen von Virologen, Politikern und der vielen Menschen auf der Straße bewerten, ohne dass uns a posteriori– Analysen zur Verfügung stehen. Und dabei werden wir stark von unseren Überzeugungen und auch Vorurteile gesteuert.

Wer Wissenschaftler für Wirrköpfe hält, wird deren Revisionen ihrer Erkenntnisse negativ bewerten. Wer sich grundsätzlich als Opfer von „denen da oben“ sieht, hat jetzt genug Anlass für Verschwörungstheorien. Gut, dass die Philosophie einen Beitrag dazu liefern kann, das, was da gerade passiert, zu bewerten oder zumindest zu analysieren. Vielleicht sollte der Autor mit gewissem Abstand eine neue Auflage in Erwägung ziehen und dort Die neueren Erkenntnisse einfließen lassen.

Sehr lesenswert, wenn man verstehen will, warum sich die Wissenschaft so schwer tut wenn sie auf Glauben, falschen Überzeugungen, Überschätzung und Überheblichkeit trifft. Nicht mehr ganz aktuell und an einigen Stellen überraschend unpräzise 'Wir müssen als Gesellschaft klären, wie wir mit der Krise mittel- und langfristig umgehen wollen.' (Wer ist wir? Wer ist die Gesellschaft? Was wäre Klarheit?, Was ist mittel/langfristig etc), dennoch gelungenes Essay.

Was tun, wenn existenzielle Entscheidungen ohne sichere Datengrundlage und in größter Eile zu treffen sind? Auch Experten sind vor Denkfehlern nicht gefeit. Hier kann »Philosophie in Echtzeit« helfen. Denn Erkenntnistheorie, Risikoethik und Entscheidungstheorie können beim Ausloten des Ungewissen Klarheit und Orientierung bieten. Am Fall der Corona-Pandemie zeigen die Autoren mit einem Ausblick auf Klima- und KI-Risiken: Was können wir vor, während und nach der Katastrophe wissen – und wie können wir strategisch handeln.

Literatur:

Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit Covid-19: Was in der Krise zählt. Über Philosophie in Echtzeit von Nikil Mukerji und Adriano Mannino

Voltaire - ein moderner Denker

Voltaires Texte regen zum Nachdenken an, seine Fragen sind hochaktuell. Was ist Fortschritt? Welche Rolle spielen Philosophien in der Gesellschaft? Dürfen sie sich an eine politische Macht binden, oder sollten sie sich auf kritischer Distanz halten? Philosoph und Moderator Raphaël Enthoven diskutiert mit dem Philosophen Alain Sager.

Voltaire gehört zu den bekanntesten Vertretern der französischen Aufklärung. Seine Werke sind Pflichtlektüre am Gymnasium, seine Polemiken gelten bis heute als exemplarisch und seine "Abhandlung über die Toleranz" fand nach den Terroranschlägen in Paris plötzlich wieder reißenden Absatz. Wer Voltaire las, setzte dem religiösen Fanatismus die Toleranz entgegen. Aber verdammte Voltaire in seinem Kampf gegen Aberglauben und Fanatismus nicht auch alles, was irgendwie die Vernunft verstieß?

Der Aufklärer glaubte an Gott als "Baumeister aller Welten" und ging von der Überlegung aus, dass die Natur zu perfekt sei, um zufällig entstanden sein zu können. Alles, was diesen rationalen Rahmen überstieg - Dogmen, Riten, Heiligkeit der Texte, Gotteslästerung - konnte seine Philosophie nicht dulden.

Voltaires Texte regen zum Nachdenken an. Was ist Fortschritt? Welche Rolle spielen Philosophien in der Gesellschaft? Dürfen sie sich an eine politische Macht binden, oder sollten sie sich auf kritischer Distanz halten?

Diese Fragen, mit denen sich schon Voltaire auseinandersetzte, sind wieder höchst aktuell. Der Aufklärer kann dabei helfen, sie noch genauer zu formulieren: Kann man gewalttätig und tolerant zugleich sein? Wie soll man die Realität wahrnehmen? Und glaubte Voltaire selbst an Gott?

Donnerstag, 12. November 2020

Kants Gedanken zur Erziehung des Menschen

Gedanken zur Erziehung des Menschen

"Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung."
"Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß." Kant

Samstag, 7. November 2020

Albert Camus und die Revolte

Albert Camus

Seinem »Mensch in der Revolte« setzte Albert Camus ein Zitat aus Hölderlins »Tod des Empedokles« voraus. Wie Camus war auch Hölderlin ein Licht- und Südensehnsüchtiger.

Empedokles hat sich in den Ätna gestürzt. Camus jedoch, von Algier nach Paris gewechselt, mit den Erfahrungen des Weltkriegs, der Résistance, des Faschismus und des Stalinismus, er setzt in so entzauberter Zeit auf die Revolte. Gegen den Selbstmord als mögliche Flucht. Gegen den (Massen-)Mord als tödliche Frucht der Ismen, der Religionen und Ideologien. Das macht diesen Camus so radikal gegenwärtig. Er ist der philosophische Dichter am Ende nicht der Geschichte, aber am Ende der Ideologien.

Im berühmten »Mythos von Sisyphos«, der wie »Der Fremde« 1942 erschien, war es die Revolte des Einzelnen, die selbst dem nie endenden Bergaufrollen des Sisyphos-Felsen die Würde des Absurden gibt. Die Verbindung von Verzweiflung und Glück. Wobei das Absurde nicht das Sinnlose ist.

In seinem Buch »Der Mensch in der Revolte« wandte sich Camus gegen alle Spielarten eines totalitären Sozialismus – und gegen Sartre, der Stalins Gulag als notwendiges Übel ansah, um die Ideale des Kommunismus zu verwirklichen. Camus entgegnete dem, «dass die menschliche Person über dem Staat steht», und rief gegen ein instrumentelles Denken und Handeln zur Revolte der Humanität auf. Deshalb engagierte er sich in der Résistance, deshalb prangerte er den Terror Stalins an. Und deshalb forderte er nur einen Tag nach den Nürnberger Prozessen 1949 die weltweite Abschaffung der Todesstrafe, während allerorten Blut mit Blut vergolten wurde. In seiner Nobelpreisrede betonte Camus 1957: »Jede Generation sieht zweifelsohne ihre Aufgabe darin, die Welt neu zu erbauen. Meine Generation jedoch weiss, dass sie sie nicht neu erbauen wird. Aber vielleicht fällt ihr eine noch grössere Aufgabe zu. Sie besteht darin, den Zerfall der Welt zu verhindern.«

Womit auch ein Klima- und Eisbärschützer am Rande der Arktis oder ein afrikanischer Brunnenbohrer, der heute scheinbar hoffnungslos gegen die Gletscherschmelze oder die Saheldürre ankämpft, seine existenzielle, tätige Würde erhält. Den Heroismus des Einzelnen aber mit der Gemeinschaft zu verbinden, dafür steht die „Revolte“. Doch ihr Wert legitimiert keinen Terror.

Weblink:

Im Licht des Mittags - www.tagesspiegel.de/kultur

Albert Camus - Welt ohne tieferen Sinn



Der Philosoph als Wegweiser? Es wäre schön, wenn immer alle Wege frei wären. So wie wir gerade Stürme in der Natur erlebt haben, so vergleichbar können auch die Stürme des Lebens sein .Wichtig bleibt jedoch für alle Menschen immer , die Freiheit mittels der Literatur und des Wortes ausdrücken zu dürfen.

Camus Philosophie ist Ausdruck der Existenz des Absurden. Für ihn ist die Absurdität das Schicksal des Menschen. Um im Absurden zu überleben, muss der Mensch dem Leben allerdings einen Sinn verleihen.

Camus Philosophie ist das, was Nietzsche aktiven Nihilismus genannt hat. Der Mensch weiß, daß das Leben sinnlos ist und versucht, dem Leben einen Sinn zu geben.

"Ich glaube weiterhin, dass unserer Welt kein tieferer Sinn innewohnt. Aber ich weiß, dass etwas in ihr Sinn hat, und das ist der Mensch, denn er ist das einzige Wesen, das Sinn fordert. Und unsere Aufgabe besteht darin, ihm seine Gründe gegen das Schicksal in die Hand zu geben."

Es ist ein Pathos des Trotzdem, das sich hier artikuliert und uns Mut zur Gegenwart gibt. Es ist zugleich eine tiefe rettende Beklemmung,

Und gewiss ist es kein Zufall, dass der Verfasser dieser Zeilen alles andere war als ein Griesgram: Albert Camus, dessen mittelmeerische Klarheit sehr wohl um den Zauber wusste, der in der rettenden Benennung liegt.

Weblink:

Mehr als Rhetorik – Pathos ist ein Quell der Kraft - www.welt.de

Samstag, 31. Oktober 2020

Das schnelle Pferd des Gedankens




Prof. Dr. Wang-Hui in Peking gilt als der "chinesische Habermas". Sein besonderes Interesse widmet er der Rekonstruktion und Verankerung der Phänomene des 21. Jahrhunderts in der 4.000-jährigen Tradition Chinas. Auf dem Hintergrund dieser Vielfalt zeigt sich die Differenz zwischen europäischem und chinesischem Denken, wobei die Worte und Begriffe, auch wenn sie ähnlich oder gleich klingen, etwas höchst Verschiedenes bezeichnen können. Akzeptiert man aber diese Verschiedenheit, entsteht Verständigung.

"Begriffe sind Lebewesen" - In dem Gespräch mit Prof. Dr. Wang-Hui geht es um die Phänomene „Masse“, „Staat“, „Liebe“, „Gemeinwesen“ und „Sprache“. Schon die Namen großer europäischer Philosophen erhalten in der chinesischen Sprache eine interessante Bedeutung. So heißt Karl Marx wörtlich übersetzt „das schnelle Pferd des Gedankens“, Immanuel Kant heißt „der große und körperlich robuste Tugendhafte“, Hegel kann man mit „das tiefe Meer“ übersetzen.

Weblink:

Das schnelle Pferd des Gedankens - www.dctp.tv

Mittwoch, 28. Oktober 2020

Vor 75 Jahren: Sartres neue Definition des Humanismus


Es war der 28. Oktober 1945, als Sartre im »Salle des Centraux« seinen legendären Vortrag über die Klarstellung des Existentialismus hielt. Eine gewaltige Menschenmenge strömte herbei, in der Erwartung, die herbeigesehnten Erklärungen wie allgemeingültige Gesetze verkündet zu bekommen. Die Kasse wurde überrannt, Stühle brachen und eine unvorstellbare Hitze erfüllte den Saal, als Sartre sich nach 15 Minuten den Weg zum Pult gebahnt hatte und mit den Händen in den Hosentaschen seinen Vortrag begann. Die Intention, die dieser Rede zugrunde lag, war die Frage nach dem Wert des Humanismus zu beantworten, dessen Bestimmung aufgrund der grauenhaften Geschehnisse, wie sie durch den zweiten Weltkrieg verursacht wurden, fraglich geworden war.

Jean-Paul Sartre

Sartre hielt es nach dem Krieg für angebracht, den zerbrechlichen Humanismus zu rehabilitieren bzw. neu zu definieren. Des Weiteren galt es umfangreiche Fehlinterpretationen, die über den Existentialismus in Umlauf gekommen waren, klarzustellen und seine negative Konnotation, die im Zusammenhang mit den Begriffen Pessimismus, Quietismus und Verzweiflung stand, zu korrigieren.

Das Sein und das Nichts

Da sein erstes großes Hauptwerk »Das Sein und das Nichts«, in dem er auf 1.000 Seiten seine Philosophie formulierte, zu terminologisch und abstrakt für die Popularisierung seiner Existenzphilosophie war, schraubte er das Niveau in seinem Vortrag so weit herunter, das er einprägsame Sätze wie „Die Existenz geht der Essenz voraus“ oder „Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht“, salonfähig machen konnte. Später bezeichnete er diese Absicht als Fehler, da viele Aspekte, seiner Ansicht nach als zu vereinfacht dargestellt wurden.

Der geschichtliche Augenblick den Sartre wählte, um den Status humanistischer Werte zu bestimmen, da diese sich als äußerst zerbrechlich herausgestellt hatten, war zwar angebracht, jedoch rehabilitierte er diese nicht neu, sondern beseitigte gleich deren Existenz und verkündete, dass es sie nie gegeben habe. Wertvorstellungen wie Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit, stellen Sartre zufolge keine a priori feststehenden Bedingungen dar, sondern hängen von der subjektiven Realisierung ab, durch die wir sie in jeder Situation von neuem verwirklichen. Da Gott als Werteproduzent weggefallen ist, liege es am Menschen die Werte neu zu erfinden bzw. auch über deren Gültigkeit zu entscheiden, so Sartre. Moralische Normen bestehen nicht als kollektive Gegebenheiten, sondern obliegen dem einzelnen Menschen, der erst durch seine Handlungen erkennen lässt, welche Werte in der Welt bestehen sollen.

Der Mensch muss jedoch nicht nur die Werte erfinden, sondern auch sich und seinen Lebensentwurf. Als in die Welt geworfenes Lebewesen, muss der Mensch unentwegt darüber entscheiden, wer er sein möchte und sieht sich daher ständig in einer Situation, in der er über sich wählen muss. Der Mensch besitzt die Fähigkeit zur Transzendenz, also die Möglichkeit sich unablässig zu überschreiten und neu zu definieren. Sartre spricht auch von einem Riss im Sein, der es verhindert, dass wir eben nicht wie ein Stein von einer fertigen Wirklichkeit erfüllt werden, sondern immer wieder aus uns herausgetrieben werden, um uns zu bestimmen. Wir leben in einer ständigen Distanz zu uns selber, die es verhindert, unser Selbst gänzlich zu erreichen und stattdessen uns immer wieder von uns losreißt, wie es Sartre in dem Werk »Das Sein und das Nichts« aufgezeigt hat. Es gibt kein auffindbares „Sich“, das dem Menschen seinen Persönlichkeitskern aufzeigen und ihm ein Kellner-Sein, ein Arzt-Sein oder dergleichen offenbaren könnte. Wir können nur durch unsere Freiheit danach streben uns dieser sich kontinuierlich entfernenden Idealität immer wieder anzugleichen. Eine Übereinstimmung kann uns jedoch nie gelingen. Sartre spricht hierbei von „Unaufrichtigkeit“, um zu verdeutlichen, dass der Mensch ständig in der Verpflichtung ist, sich ein Sein zu verleihen, nur um es im nächsten Augenblick wieder zu verlieren.


Die Existenz geht also der Essenz voraus, eine Klarstellung, die lange Zeit in der Geschichte als unmöglich gehalten wurde. Was einstmals Gott festlegte, liegt nun in den „zur Freiheit verurteilten Menschen“, Doch verträgt der Mensch überhaupt so viel Macht und fühlt er sich nicht vielmehr hoffnungslos überfordert? Bedarf es eine Theorie, die den Menschen als Angst, Verlassenheit und Einsamkeit definiert? Nach Sartre verbleibt dem Menschen keine andere Wahl, da mit dem Ausschalten der Hypothese Gottes auch die hoffnungsverleihende Sinngebung beseitigt wurde. Gabriel Marcel, ein Vertreter des christlichen Existentialismus war diese Ansicht zu radikal und wollte der Autonomie des einzelnen Menschen, durch die Liebe und dem menschlichen Miteinander mehr Hoffnung verleihen.

Philosophisch betrachtet erfährt der Mensch dabei folgende Rechtfertigung:

"Der Mensch ist für sich, sein Tun und Lassen selber verantwortlich. Es gibt oder braucht keine Rechtfertigung ausserhalb des Menschen. Deshalb ist der Existenzialismus ein Humanismus."


Der Existenzialismus entsprach einem Lebensgefühl, das von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, des politischen Widerstands in der Résistance und des Zerfalls traditioneller Wertordnungen und Orientierungen geprägt ist. Es findet seinen Ausdruck in einer besonderen Sensibilität für die Absurdität der menschlichen Existenz, die für diese Generation von Philosophen charakteristisch ist. Sie entspringt dem Gegensatz zwischen dem selbstbewussten, von Hoffnungen erfüllten und in Handlungen sich entäußernden menschlichen Geist und der ihm gegenüberliegenden undurchdringlichen, immanenten Welt, an der sein Streben immer wieder scheitert. Diese Absurditätserfahrung wirft die Frage nach Sinn und Wert des menschlichen Lebens auf.

Doch warum ist der Existentialismus ein Humanismus? Sartre geht es um den Umstand, das das menschliche Sein etwas fortlaufend zu erschaffendes sei. Als alleiniger Gesetzgeber kann der Mensch sich nur dadurch zur Existenz erheben, indem er sich durch die Verwirklichung von Handlungen realisiert. Der Mensch kann demnach nicht als ein Endzweck betrachtet werden, da er sich durch zweckorientiertes Handeln in jeder Situation wieder hervorbringen muss. Weiterhin trägt der Mensch nicht nur für seine Handlungen die Verantwortung, sondern darüberhinaus muss er sich bewusst sein, dass er durch seine getroffene Wahl die Menschheit mitengagiert.

Neu waren Sartres Ansichten nicht. Schon Sören Kierkegaard machte die Angst als eine Grundbefindlichkeit des Menschen aus und auch Martin Heidegger stellte den Menschen als ein kontingentes Lebewesen dar, das sich der Angst geschickt zu verbergen gelernt hat, indem er sich an die Strukturen der Welt verliert. Auch sollte Heidegger mit seinem berühmten »Brief über den Humanismus« sich indirekt wenige Jahre später auf Sartre und seine Ansichten beziehen. Faszinierend wird Sartres Konzept des Existentialismus auch weiterhin bleiben und auch die vielen Missverständnisse werden wohl weiterhin präsent bleiben, da sich der Universitätsbetrieb mittlerweile von den existentiellen Grundfragen weitestgehend verabschiedet hat.

Literatur:

Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943 - 1948
Der Existentialismus ist ein Humanismus
von Jean-Paul Sartre

Weblink:

Jean-Paul Sartre - www.jean-paul-sartre.de

Samstag, 24. Oktober 2020

Ethik des Utilitarismus

Der Utilitarismus (lat. utilitas, Nutzen, Vorteil) ist eine Form der zweckorientierten (teleologischen) Ethik, die in verschiedenen Varianten auftritt. Mit dem Utilitarismus verbindet sich das Glück der großen Zahl. Auf eine klassische Grundformel reduziert besagt diese Ethik, dass eine Handlung genau dann moralisch richtig ist, wenn sie den aggregierten Gesamtnutzen, d.h. die Summe des Wohlergehens aller Betroffenen, maximiert. Neben der Ethik ist der Utilitarismus auch in der Sozialphilosophie und den Wirtschaftswissenschaften von Bedeutung.

Der Utilitarismus war theoriegeschichtlich der Rivale der Theorie des Gesellschaftsvertrages und hatte diese im Laufe des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet der politischen Philosophie in den angelsächsischen Ländern weitgehend verdrängt. Während die Vertragstheorie eine politische Ordnung danach beurteilt, ob diese Ordnung aus einer freien Überreinkunft rationaler Individuen hätte hervorgehen können, ist für den Utilitarismus entscheidend, ob eine politische Ordnung dem Wohlergehen der Menschen möglichst förderlich ist. »Das größte Glück (der größten Zahl)!« war das populäre Motto der Utilitaristen.


Der Utilitarismus fordert das Glück der größten Zahl.


Gemeinsam ist beiden Theorien die nicht-religiöse, säkulare Orientierung. Es wird nicht vom Willen übermenschlicher Wesenheiten oder Autoritäten wie Gott, Natur oder Geschichte ausgegangen, die den Menschen die soziale Ordnung vorschreiben, sondern die Rechtfertigung und Kritik politischer Ordnungen wird allein auf menschliche Vernunft gegründet. Außerdem sind beide Ansätze insofern individualistisch, als der Wille bzw. das Wohlergehen der Individuen Bezugspunkt ist und nicht das Schicksal überindividueller Wesenheiten wie Rasse, Volk, Staat oder soziale Klasse.

Philosophiehistorisch wurde der utilitaristische Ansatz erstmals durch Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873) systematisch entwickelt und auf konkrete Fragen angewandt. Heute noch ist der Utilitarismus vor allem im englischsprachigen Raum beheimatet. Dabei sah Mill schon die Gefahr, dass der Ausdruck „Utilitarismus“ und seine ursprüngliche Ableitung von dem zentralen Begriff „utility“ leicht den Eindruck erwecken könnten, der Utilitarismus sei an sich kaltherzig und materialistisch. Um derartige Missverständnisse zu vermeiden, wird heute zumeist von „Glück“ oder „individuellem Wohl“ gesprochen.

„Mit dem Prinzip des Nutzens ist jenes Prinzip gemeint, das jede beliebige Handlung gutheißt oder missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Glück derjenigen Gruppe zu vermehren oder zu vermindern, um deren Interessen es geht […] Mit ‚Nutzen‘ ist diejenige Eigenschaft an einem Objekt gemeint, wodurch es dazu neigt, Wohlergehen, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück zu schaffen.“
Jeremy Bentham, »Introduction to the Principles of Morals and Legislation«
Der Utilitarismus ist eine bedeutende Strömung innerhalb der praktischen Philosophie. Utilitaristische Argumente werden häufig angebracht, um Fragen der Sozialphilosophie und insbesondere auch der Ethik nach Generationengerechtigkeit, Abtreibungsrecht und Sterbehilfe zu erörtern. Auch in Zweigen der Wirtschaftswissenschaften und in der sozialen Bewegung des Effektiven Altruismus wird sich auf den Utilitarismus berufen.

Utilitarismus begründet eine Ethik, bei der das Glück der größten Zahl zugrunde liegt. Dem Utillitarismus entgegengesetzt ist die »Ethik der Pflicht« Kants, bei der es nicht auf die Folgen des Tuns ankommt, sondern daß die Taten gut sind und dem moralischen Gesetz sowie dem »Kategorischen Imperativ« entsprechen.


Weblinks:

Utilitarismus - www.philoclopedia.de

Utilitarismus als Begründung der Demokratie - www.ethik-werkstatt.de

Alles über der Utilitarismus - Utilitarismus-Portal - utilitarismus.com


Literatur:

Utilitarianism / Der Utilitarismus
Utilitarianism /Der Utilitarismus
von John Stuart Mill und Dieter Birnbacher

Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische Texte
Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische Texte
von Otfried Höffe

Im Namen der Freiheit

Michel Onfray

Michel Onfrays Werk »Im Namen der Freiheit: Leben und Philosophie des Albert Camus«

2013 erschien bei Knaus ein knapp 600 Seiten dickes Buch des französischen Philosophen Michel Onfray zu Leben und Philosophie des Albert Camus mit dem Titel »Im Namen der Freiheit: Leben und Philosophie des Albert Camus«. Onfray zeigt auf darin, dass und inwiefern Camus Nietzscheaner ist, Sozialist jenseits der verschlafenen Sozialdemokratie, Kommunist jenseits aller Orthodoxie, Freund und Gegner von Sartre (der zumindest ein Stück weit mit den Nazis kollaborierte). Vor allem aber sei Camus ein Mensch aus den ärmsten Schichten Algeriens gewesen, der das Leben, die Frauen, die Menschen und die Natur liebte, die Düfte, das Mittelmeer und das Salz und die Sonne.

Die Legende. Camus ist weder Philosoph noch Romancier, ein "Second-Hand-Autor", ein "socialiste très rose", ein Kalter Krieger und ein "kleiner weißer Kolonisator". Dagegen stellt Onfray auf über 500 Seiten seine Geschichte des "wahren Camus". Es ist eine Pro-Camus und eine Anti-Sartre-Geschichte. Von Sartre unterscheide sich Camus vor allem durch eine quasi organische Intoleranz gegenüber jeder Ungerechtigkeit. Onfray stellt ziemlich überzeugend und mithilfe kaum ertragbarer Kriegsfotos die Genealogie dieser "Viszeralität" dar: Camus' Kindheit als Halbwaise in einem Armenviertel Algers, die körperliche Rebellion des im Ersten Weltkrieg gefallenen Vaters gegen blutige Gewalt (Kolonialkriege, öffentliche Hinrichtungen), den dulderischen Habitus der analphabeten Mutter, die prügelnde Großmutter, die Geißel Tuberkulose - und die Befreiung durch die republikanische Schule.

Fast genüßlich erinnert Onfray an die bekannte überbehütete bourgeoise Kindheit des kleinen "Poulou" Sartre, dem zufliegt, was Camus sich hart erarbeiten muss, ohne das "Niveau" Sartres je erreichen zu können. Camus verdankt fast alles zwei Lehrern (die sich als Bildungs- und nicht als Kompetenzvermittler sahen, en passant gesagt): seinem Grundschullehrer Germain und seinem Philosophielehrer Grenier. Grenier eröffnet ihm Nietzsche - und Onfray die Möglichkeit einer linksnietzscheanischen Interpretation der frühen Erzählung "Noces à Tipasa". Angesichts des "heidnischen" Paysage von Tipasa (römische Ruinen, überwuchert von duftendem Rosmarin, Strand, Meer, Sonne) entwickelt Camus einen "Discours de la méthode dionyséenne". Es gibt keinen Gott, nur DAS Leben, den Körper, die (freie) Liebe. Man schreibt sein Leben in den puren Augenblick ein, ohne ihn zu verderben durch die Nostalgie des Vergangenen oder die Angst vor dem Kommenden, beschreibt Onfray einen bei Sartre unvorstellbaren Habitus.

Camus entwickelt eine Art "mediterranen Gramscismus", zu dessen Genese auch die (negative) Erfahrung einer fast zweijährigen Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei gehört, mit der ein Camus zwangsläufig brechen muss. Zu stark sind die "mediterranen Lektionen": Gastfreundschaft, Generosität, Vitalität, Mut und Loyalität. Das intransigente Verhalten der Kommunisten im spanischen Bürgerkrieg (Camus Mutter ist spanischen Ursprungs) und in der Kolonialfrage (für algerische Kommunisten gilt er als "Trotzkist") verstärkt die Sympathien mit dem Anarchosyndikalismus. "Der Fremde" und "Der Mythos des Sisyphos", Bücher, die Camus' Ruhm begründen, werden von Onfray als Werke des Übergangs interpretiert: vom "Ja zum Leben" in Richtung "Nein zum Tod".

Ähnlich wie Foucault war Camus einige Zeit Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs, die er als nicht orthodoxer linker Anarcho-Marxist alsbald wieder verließ. Onfray charakterisiert ihn als jemanden. „der sich nicht nur mit Meer, Sonne und Licht vereinen wollte, sondern auch mit der strahlenden Zukunft des Proletariats“ (129), der also nicht orthodoxer Nietzscheaner war, der sich weigerte, irgendeinen Philosophen nachzubeten oder gar anzubeten, der selbst denken wollte und konnte und dessen Denken von Nietzsches Erkenntnis „Gott ist tot!“ fasziniert war.

Nietzsche, der deutsche Philosoph, der sich nicht in erster Linie als Mensch sah, sondern als Dynamit, der das gesamte abendländische Denken ansteckte, dem begeistert zugestimmt wurde, der aber auch wütend abgelehnt wurde. Denn fast alle abendländischen Intellektuellen nach ihm bezogen sich auf Nietzsches Werke, seine philosophischen („Die Fröhliche Wissenschaft“, „Jenseits von Gut und Böse“) und seine literarischen Arbeiten („Also sprach Zarathustra“) sowie Aphorismen. Gleichviel ob sie sturzkonservative BürgerInnen waren, Völkische Nationalisten (Arthur Möller van den Bruck, Georges Sorel), Faschisten/Nationalsozialisten (Bennito Mussolini, Adolf Hitler, Alfred Rosenberg, Martin Heidegger, Ernst Bertram, Ernst Jünger), Anthroposophen (Georg Steiner), Anarchisten (Gustav Landauer, Michael Bakunin, Peter Kropotkin, John Moore) Marxisten (Hegelianer) (Walter Benjamin, Jürgen Habermas, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Georg Lukacs, Ernst Bloch), Literaten (wie Thomas Mann, Gottfried Benn, Stefan George), freie Linke (wie etwa Jacques Derrida, Michel Foucault, Gilles Deleuze, Felix Guattari, u.a.) oder Bratkartoffel Philosophen (Peter Sloterdijk) oder Feministinnen (Lily Braun) und Künstler (Tommaso Marinettis futuristisches Manifest), sie alle  wurden von Nietzsche angeregt. Und dies in unterschiedlichster und oft in ambivalenter oder gar gegensätzlichster Weise.

Den Hintergrund für diesen Boom bildete natürlich die europäische Aufklärung, die man allerdings nicht auf das Ereignis von 1789 reduzieren sollte, sondern die bereits einige Jahrhunderte davor als sich langsam strukturierender Prozess begann und natürlich auch im 19. Jahrhundert und bis in die Gegenwart andauert. Nietzsche wurde so etwas wie das Sprachrohr sich verdichtender Aufklärung, und seine Rezeption war deshalb so breit und widersprüchlich gestreut, weil Nietzsches Ideen so vielseitig und vielschichtig waren und oft so punktgenau Säkularisierung einforderten, dass sie sich den herrschenden Denksystemen oftmals leicht amalgamieren lassen konnten. Gegen Nietzsches „Tod Gottes“ und die Säkularisierung allgemein erhob sich jedoch ein riesiger Widerstand, der selbst noch in solchen Denksystemen zu hausen begann, die sich gegen die alten Werte des Christentums und gegen die sie vertretenden BürgerInnen wandten, was sogar auch noch bei Nietzsche selbst zu beobachten ist: Sein Tod Gottes hat auch ihm Angst gemacht und seine Akzeptanz dieser Einsicht hat ihn möglicherweise in den Wahnsinn getrieben. Dafür spricht, dass Nietzsche in einer orthodox protestantischen Pfarrersfamilie aufgewachsen war, in der das Wort Gottes Gesetz und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod Gewissheit waren.

Der Philosoph Oliver Flügel-Martinsen hat nachgewiesen, wie selbst bei philosophischen Heroen wie Kant und Hegel der Abschied vom Metaphysischen trotz allen Bemühens scheiterte und ihre Schriften im Kern Zuflucht dazu suchten und diese zu begründen versuchten. Nietzsche und Derrida dagegen gingen von der Ungewissheit des Wissens aus und halten daran auch fest, doch sie befassen sich mit der Frage, wie damit umzugehen sei. Die Antwort lautet:  mit vorsichtigem Philosophieren und, verbunden damit: behutsamen Befragungen. Michel Foucault steuert in eine ähnliche Richtung, indem er die absolute Erkenntnis (Wahrheit) zwar bestreitet, aber nicht die Wahrheiten, die er allerdings als historisch kontingent und  nur als jeweilig und in ständiger historischer und räumlicher Veränderung begriffen sieht.

Das hat dramatische Folgen: Natürlich kann man weiterhin versuchen, in den Glauben zu springen (Kierkegaard); aber Zweifel sind auch dann angebracht, wie zumindest fortschrittliche Kenner der heiligen Schriften wissen. Aber sicher ist: Alle Orthodoxien stehen auf tönernen Füßen, die christliche und die anderer Glaubensrichtungen, also auch die marxistische. Keine(r) kann sicher sein.

Erst wenn der letzte Mensch frei atmen kann, ist das Freiheitsideal erreicht. Das jedenfalls ist die Meinung von Albert Camus.


Weblinks:

Albert Camus - theoretisch libertär, pragmatisch sozialdemokratisch? - www.freitag.de

Im Namen der Freiheit - www.diss-duisburg.de

Michel Onfray - Wikipedia.org

Literatur:

Namen der Freiheit: Leben und Philosophie des Albert Camus
Im Namen der Freiheit: Leben und Philosophie des Albert Camus
von Michel Onfray

Samstag, 17. Oktober 2020

Arthur Schopenhauers Pessimismus

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer Denken wurde stark geprägt zum einen von Platon, insbesondere von dem sogenannten "Höhlen-Gleichnis". Dort zeigt sich für ihn eben das "Erkennen", das zugleich ein "anderes Sein" bedeutet. Es ging für Schopenhauer nicht mehr darum die Gegenstände besser zu sehen, sondern in der Sonne zu sein.

Arthur Schopenhauer war Pessimist und er war auch Misanthrop, beiden Einstellung sollten sein Leben prägen und seine Philosophie beeinflussen. Der Pessimismus war eine Schlussfolgerung, die Schopenhauer aus seiner Philosophie, die sehr tiefgründig und weitreichend ist, und durchaus nicht wissenschaftlichen Beweisen entbehrt, wie manche etwa behaupten mögen, gezogen hat, und bloß eine von vielen "möglichen" Schlussfolgerungen.

Was ist denn eigentlich Pessimismus? Der Pessimismus besagt ja bloß: "Der Mensch ist ein nach Glück und Freude strebendes Wesen. Er kann aber Glück und Freude nicht erreichen, weil beides bloß Illusionen sind. Das Böse und das Leid prägt unser aller Existenz, nichts ist gewisser als das Leiden. Daher steht uns von diesem Lebens nichts zu erwarten. Wir müssen uns vom Leben, von jeder Möglichkeit des Lebens befreien."

Diese Aussage gleicht auch der von Buddha, der einst gesagt hat: "Alles ist Leiden. Geburt ist Leiden, Leben ist Leiden, Alter ist Leiden, Tod ist Leiden. Das nicht bekommen, was man will, ist Leiden; dass einem das, was man vermeiden möchte, zuteil wird, ist Leiden. Von Liebendem getrennt sein ist Leiden, usw."

Es ist nichtalles Pessimismus, war trübe ercheint. Als Ausweg aus dem Leid der Menschen sah Schopenhauer, die Kunst, die Musik und Muße an.br />