Samstag, 28. März 2020

Arthur Schopenhauer als Philosoph in der Krise







Arthur Schopenhauer


In der Krise haben Denker und Philosophen mit ihren »Philosophischen Tagebüchern« gerade Konjunktur, da jede Krise gedanklich bewältigt und überwunden werden will und in der Krise besonders Ratschläge und Meinungen gefragt sind, welche die Menschen als Hilfe, Ratgeber und Anweisungen verstehen können.

In dieser Situation sind diejenigen Philosophen besonders hilfreich, welche selber leidhafte Erfahrungen gemacht oder Leid in der Welt erfahren haben und aus dieser Grunderfahrung heraus das Leid gedanklich und innerlilch verarbeitet und zu einer eigenen Philosophie ausgebaut haben.

So ist Arthur Schopenhauer ein begabter Denker, dessen Philosophie durch die Erfahrung von Leid in der Welt geprägt worden ist. Für Schopenhauer gibt es vor allem Unglück auf Erden, Verzweiflung, Krankheit, Ungerechtigkeit. Der Einwand, daß es auch Glück auf Erden gibt, sticht bei ihm nicht. Denn Glück, Lust oder Befriedigung sind nichts als eine Täuschung. Schopenhauer sieht in der Welt einen blinden, furchtbaren Universalwillen am Werk.



Die Erfahrung von Leid hat Schopenhauer zu einem pessimistischen Philosophen werden lassen. Schopenhauer gilt als Vertreter des Pessimismus, der das Leben als Leiden definiert hat. "Die Welt ist die Äußerung einer unvernünftigen und blinden Kraft; in ihr zu leben heißt leiden."

Der Mensch wiederum erhofft sich nur noch dann etwas von dieser Welt, solange sein Willen (noch) nicht ausgelöscht ist. Eine Erlösung aus all dem Unglück dieser Welt sieht er in der Weltverneinung. Der lebenskluge Schopenhauer empfiehlt den Menschen, sich Zeit zur Muße nehmen und sich in einsamen Stunden unter Anwdung seines Willens zur Interesselosigkeit, zur Askese durchringen und so leben, wie es die Heiligen oder die indischen Yogis tun. Diese erhoffen sich nichts mehr vom Dasein, der Wille ist in ihnen ausgelöscht.

Und im sanften Schlummer des Nirvana ist alles Leid der Welt schnell vergessen. Somit ist das Leben auch keine missliche Sache mehr. Schopenhauerisch gewendet ist die Krise nur noch eine willentlich zu überwindende Erfahrung von Leid.


Weblink:

Arthur Schopenhauer Biografie -


Samstag, 21. März 2020

Mit Kant unter Gebrauch der Vernunft gegen die Ausbreitung der Pandemie













Immanuel Kant



Seit Kant und Hegel ist die Philosophie von der Vernunft bestimmt. So ist in der derzeitigen Krise zu fragen: »Wie wäre der Königsberger Philosoph, welcher Zeit seines Lebens seine Heimatstadt bekanntlich nie verlassen hat, wie wäre Immanuel Kant einer Pandemie begegnet?«

Vernunft ist für Kant nach Wahrnehmung und Verstand die oberste menschliche Erkenntnisfähigkeit. Sie kontrolliere den Verstandesgebrauch und sei dazu in der Lage, nach höchsten allgemeinsten Grundsätzen für das theoretische Erkennen wie für das praktische Handeln zu suchen.

Als Teil des menschlichen Erkenntnisapparates wird Vernunft seit Kant nach Wahrnehmung und Verstand als die oberste menschliche Erkenntnisinstanz angesehen.

Als praktische Vernunft bezeichnet man die Fähigkeit zu zweckmäßigem Handeln. Aber auch in der Tradition Kants die Fähigkeit zu einem Handeln, dass mit den Sittengesetzen übereinstimmt. (Ethik) Die reine praktische Vernunft ist nach Kant das Vermögen, aus Gründen zu handeln, die nicht auf interessegeleiteten Motiven beruhen und ohne Bezug auf die Erfahrung erhoben werden.

Kant hätte sich der Vernunft und seiner Kategorien zur profunden Wahrnehmung der Krise bedient und andere entschieden zum Gebrauch der Vernunft angehalten und der grassierenden Unwissenheit über die Möglichkeiten und Gefahren der Infektion seinen Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, entschieden entgegengesetzt.




Johns Hopkins University

Johns Hopkins University

Vor Corona schützen Sie sich durch praktische Vernunft am besten durch umsichtiges und vorsichtiges Verhalten, in dem Sie Abstand wahren, ihre Sozialkontakte einschränken, sich regelmäßig die Hände waschen und beim Einkaufen Handschuhe und ggf. Mundschutz tragen.

Doch nicht immer ist die Welt so von Vernunft bestimmt, wie Kant und Hegel glauben machen wollten und es geht vernünftig zu auf dieser Welt, häufig waltet die Unvernunft sowie das Nicht-Rationale, welches das Handeln der Menschen bestimmt. Im Hintergrund lauert hier immer dessen dunkler Bruder: die Unvernunft, mit der sich dann Nietzsche philosophisch auseinandergesetzt hat.

»Die Unvernünftigkeit einer Sache ist kein Argument gegen ihre Existenz,
sondern eher eine Voraussetzung dafür.«


Friedrich Nietzsche

Der Gebrauch des Verstandes setzt beim Menschen kognitive Fähigkeiten voraus: Wo keine Kognition stattfindet, wird auch der Verstand schwerlich etwas bewirken können. Das zweite Problem ist, etwas begreifen zu wollen. Viele Menschen nehmen die Pandemie nicht Ernst ernst - oder ernst genug. Freiwilligkeit ist gut, funktioniert aber hier nicht.

Das nächste Problenmfeld ist das Handeln zur rechten Zeit und mit den angemessenen Mitteln. Die Frage ist aber, inwieweit Vernunft zu Erkenntnis und wiederum zu vernünftigem Handeln führen können. Wenn der Mensch eine drohende Gefahr erkennt und vernünftig handelt, wird er sich zu schützen wissen und entsprechend praktisch durch Vorbeuge und Schutzmaßnehmen präventiv handeln.

In der Krise sind gerade Weitsicht und Vernunft gefragt, dessen Anleitung - wenn Menschen sich nicht freiwillig vernünftig verhalten - durch den Staat zu erfolgen hat, welcher klare Regeln für die Krise und deren Bewältigung aufzustellen hat.

Wenn es die Aufgabe der Philosophie ist, zum Gebrauch der Vernunft anhalten, so ist es die Aufgabe der Vernunft, Menschen zu vernünftigem Verhalten anzuleiten. Der Staat will die Menschen zur Vernunft bringen, indem man sie dazu anleitet, soziale Kontakte strikt zu vermeiden, denn nichts ist tödlicher als ein grassierender Mangel an Vernunft, welcher auch den Corona-Virus - diesen »Virus des Absurden« - erst hat entstehen lassen.

Die Krise wird bewältigt, wenn Vernunft auf Augenmaß trifft. Es scheint angeraten, sich in der Krise gerade von der Vernunft leiten zu lassen, denn andere Kategorien der Wahrnehmnung oder gar Gefühle sind keine guten Ratgeber. Hierzu gehört auch die Einhaltung des »Kategorischen Imperativs«, welchse Kant folgendermaßen formuliert hat:


Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.

Dazu gehört, sich vor dem Virus weitgehend und bestmöglich gegen die Übertragung zu schützen, das soziale Verhalten einzuschränken, Menschenansammlungen zu meiden und Informationen über Verlauf und Verbreitung der Pandemie sorgsam auf die darin enthaltene und verbreitete Wahrheit oder Unwahrheit zu prüfen. - Und mit Kant lässt es sich es gut die durch die Krise kommen!

Bleibt noch die Kommunikation einer Krise. Das Erklären der Wirkungsweise einer Pandemie stellt für Kant eine Form der kommunikativen Vernunft dar. Im Notfall ist das Sozialverhalten massiv einzuschränken und in der guten Stube zu bleiben. Das passt wirklich gut zu Kant, denn der Philosoph aus Königsberg war ein geradezu begnadeter Stubenhocker.

Weblinks:

Immanuel Kant - www.famousphilosophers.org


Johns Hopkins University

Johns Hopkins University


Vernunft-Zitate - Grosser Zitatenschatz




Freitag, 20. März 2020

Der Philosoph Friedrich Hölderlin 250. Geburtstag


Vor 250 Jahren, am 20. März 1770, in Lauffen am Neckar geboren, wuchs Hölderin in einem pietistisch geprägten Umfeld auf. Während des Theologiestudium am Tübinger Stift schloss er Freundschaft mit Hegel und Schelling und bildete mit ihnen einen intellektuellen Bund. Angesteckt vom Geist der Französischen Revolution träumten sie vom Aufbruch in eine neue Epoche. "Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister!" heißt es in dem gemeinsam verfassten Text als einem frühen Geistesfunken, der als "das älteste Systemprogramm deutschen Idealismus" in die Philosophiegeschichte einging.

Die Kreise der drei begabten Studenten trennten sich Abschluß des Theologiestudium am Tübinger Stift und sollten sich später an anderer Stelle wiederfinden. Von November 1794 bis Mai/Juni 1795 hielt sich Hölderlin in Jena auf, wo er Fichtes Vorlesungen hörte. Die Auseinandersetzung mit Fichtes Denken mündete in eine grundsatzphilosophische Skizze, die in der Großen Stuttgarter Hölderlin Ausgabe den Titel »Urteil und Sein« trägt.

Für Kant und Fichte galt der Primat der praktischen Philosophie, der Ethik, für Hölderlin ist die Ästhetik die Königsdisziplin der Philosophie. Bei den Vorbereitungen zu einer literarischen Zeitschrift (das Projekt scheiterte) entfaltet Hölderlin seine Ästhetik und Poetologie in mehreren Manuskripten in systematischer Form. Diese sog. Homburger Fragmente entstanden im Jahre 1799. Grundlegend für diese Fragmente war Hölderlins Lehre vom Wechsel der Töne. Hölderlin scheint dabei Schillers Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung weiterentwickeln zu wollen.

In dem Fragment »Über den Unterschied der Dichtarten« legte Hölderlin seine Auffassung von der Tragödie als höchster Gattung dar. Der Text »Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes« stellte das umfangreichste der Fragmente Hölderlins dar; es ist nicht nur ein poetologischer, sondern auch ein metaphysisch-spekulativer Text, der das Thema der notwendigen Vereinigung von Subjekt und Objekt im Sein variiert und zum Ausgangspunkt einer differenzierten Ästhetik und Poetik macht.

Hölderlin hat kein einziges seiner philosophischen Manuskripte ausgearbeitet und veröffentlicht. Dennoch übte er einen großen Einfluss auf seine Studienfreunde Schelling und Hegel aus. Von beiden war er als philosophischer Gesprächspartner anerkannt. Von 1797 bis 1800 war er Hegels philosophischer Mentor. So war seine Vereinigungsphilosophie war von großer Bedeutung für die Dialektik Hegels.



Weblink:

Hölderlin-Matinee - "Ach! Der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt." - www.mdr.de

Samstag, 14. März 2020

Ein Virus, die Angst und die Freiheit








Corona Virus

Eine Krise verunsichert Menschen und läßt deren Bedarf in Informationen über diesen Zustand steigen, weil die Menschen informiert sein wollen. Mit jeder neuen Meldung über die sich ausbreitende Pandemie dringt auch etwas ein in unser tieferes kollektives Bewusstsein. Etwas, das rational schwer steuerbar erscheint. Vorbei ist es mit der „Eudaimonia“, das „gute Leben“ des Aristoteles.

Keine Panik, denn allgemeine Hysterie ist der schlechteste Ratgeber - auch jetzt - in der Abwehr des medial schon allgegenwärtigen Corona-Virus. Doch mischt sich die notwendige Vorsorge inzwischen nicht nur mit der vernünftigen Sorge.

Das Virus aus dem längst nicht mehr Fernen Osten hält schneller und heftiger als geahnt auch die westliche Welt in Atem. Niemand hätte sich eben noch vorstellen können, dass über die Möglichkeit einer Abriegelung von Millionenstädten wie Mailand oder Berlin überhaupt ernsthaft nachgedacht werden könnte.

Die Angst oder mindestens Sorge, so sie nicht zur kopflosen Panik gerät, ist ein strenger Lehrmeister nicht nur des medizinischen Fortschritts. Anders als beim Klimawandel geht es beim Corona-Virus nicht um das Überleben des Planeten. Aber die Begegnung mit Seuchen berührt die Urängste vor dem Unsichtbaren, Unreinen, Unheimlichen. Macht den Infizierten potenziell auch zum Aussätzigen.

Der Staat ist gezwungen, zu reagieren und begegnet der weiteren Ausbreitung des Virus mit massiven Einschränkungen des sozialen Lebens, z.B. mit dem Verbot von Veranstaltungen. Die weitgehendste Einschränkung ist die Anordnung einer Quarantäne für infizierte Personen, die damit vom sozialen Leben ausgeschlossen werden.



Die Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt. Die Menschen können sich nicht mehr uneingeschränkt fortbewegen. Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen, dem es schwerfällt, soziale Distanz zu wahren und soziale Distanzierung vorzunehmen. Der Mensch lebt immer schon in Gemeinschaft.

John Locke hatte in seinem »Essay on Toleration« erst einmal den Gedanken gefasst , daß Toleranz ein Regierungssystem besser stabilisiert als der Wille zur strikten Kontrolle. Es stellt sich auch die Frage nach dem Zusammenhang von Freiheit und Ordnung. Nach Hegel sind wir dann frei, wenn wir der sittlichen Idee des Staates Folge tragen. Denn der Staat hat keinen Zweck außer sich. In ihm verwirklicht sich der Mensch selbst, aber ist das auch in der Krise so?.

Nach Thomas Hobbes ist das Ziel des Staates nicht das Erreichen eines höchsten Guts (summum bonum), sondern nur das Vermeiden des größten Übels (summum malum). Allerdings geht Hobbes davon aus, dass durch die Sicherung von Leib und Leben die Verfolgung anderer Bedürfnisse (Anerkennung, Güter) überhaupt erst rational wird.

Die Corona-Krise engt - leider - auch die Willensfreiheit der Menschen - erheblichem Maße ein. In der Krise wirkt der Mensch nicht mehr selbst- sondern eher fremdbestimmt. - Willensfreiheit beruht nach John Locke erstens auf der Fähigkeit, vor dem Handeln innezuhalten und zu überlegen, was man in der jeweiligen Situation tun sollte, welche Gründe für die eine oder andere Alternative sprechen. Zweitens setzt Willensfreiheit aber auch voraus, dass wir nach dem Überlegen dem Ergebnis der Überlegung gemäß entscheiden (und handeln) können.

Locke

Gemäß John Locke ist es sogar keine Einschränkung der Freiheit, wenn sich unsere Entscheidungen und Handlungen mit kausaler Notwendigkeit aus dem Ergebnis unserer Überlegungen ergeben. Im Gegenteil: Wenn es anders wäre, wäre unserer Wille gar nicht durch uns selbst bestimmt: "Deshalb unterliegt jeder Mensch kraft seiner Eigenart als vernunftbegabtes Wesen der Notwendigkeit, sich beim Wollen durch seine eigenen Gedanken und durch sein Urteil über das, was für ihn das beste ist, bestimmen zu lassen; sonst wäre er der Entscheidung eines andern als ihm selbst unterworfen, was ein Fehlen der Freiheit bedeuten würde."


In Zeiten der Bedrohung wirken die Menschen verunsichert, wobei der Eindruck entstanden ist, daß es so manchem Bürger auch wieder nicht recht ist, nachdem sehr deutliche Maßnahmen ergriffen wurden. Es wurde von einigen Politikern deutlich empfohlen, sich auf nur ganz wenige Sozialkontakte selbst zu begrenzen. Jetzt können sehr viele zeigen, wie sie es mit der sozialen Verantwortung so halten, auf möglichst viele Kontakte verzichten, für ein besseres Miteinander und Füreinander.

Klares Denken beginnt mit einer kritischen Auseinandersetzung mit Fakten. Dazu gibt es in unserer komplexen Welt Experten. Denn nur sie beschäftigen sich tagtäglich ihr ganzes Leben lang mit denjenigen Themen, für die sie eben Experten sind. Wer diese Experten einfach ignoriert und stattdessen blind auf zweifelhafte Informationsquellen vertraut, kann, mit Verlaub, nicht ernsthaft behaupten, er würde klar denken.


Das Leben in der Krise ist oft eine recht mißliche Sache, begleitet von einem häufigen Lavieren zwischen Optimismus und Pessimismus. Der Optimist Hegel, der in Berlin blieb, starb an der Cholera. Der Pessimist Schopenhauer, der vor ihr aus Berlin nach Frankfurt floh, blieb unangesteckt und überlebte.

Weblink:

John Locke - www.philosophieverstaendlich.de




»Der Staat« von Platon

Der Staat
Der Staat

In seinem Werk »Der Staat«, »Politeia«, entwirft Platon (427 bis 347 v. Chr.) die Idee eines gerechten Staates. »Der Staat« von Platon ist eine Staatsutopie - eine ideele Vorstellung also. Die »Politeia« ist auch ein Grundbuch abendländischer Metaphysik. Die im Zentrum des Werkes stehenden drei Gleichnisse: Das Sonnen-, Höhlen- und Liniengleichnis, in denen Platon seine Ideenlehre, Wissenschaftstheorie und Ethik darstellt, gehören nicht nur zu den literarisch eindrucksvollsten Zeugnissen des antiken Denkens.

Platons Verfassungsmodell

Der Staat als die Gemeinschaft der Bürger wird in ein isomorphes Verhältnis zu einer geordneten und vernunftgeleiteten Seele gebracht und in beiden spiegelt sich eine kosmische Ordnung. Um die Frage zu beantworten, was Gerechtigkeit in der Seele des Menschen ist, entwirft Platon das Muster einer guten Polis, in der drei Stände (Bauern, Handwerker, Kaufleute etc. - Wächter - Philosophen) jeweils durch ihr spezifisches Tun zum Gelingen des Gemeinwesens beitragen.

In seiner »Politeia« ausformulierten Gedanken zu einem Philosophenstaat sah er sich laut eigenen Aussagen gezwungen, nur noch „die wahre Philosophie anzuerkennen und festzustellen, daß man allein von ihr vollständig erkennen könne, worin Gerechtigkeit im Staat und Privatleben bestehe“ und hielt nur das Szenario, dass „ein Schlag wahrer und echter Philosophen an die Staatsverwaltung gelangt, oder […] die regierenden Kreise in den Städten durch ein göttliches Wunder ernsthaft zu philosophieren begännen“, für die Lösung der von ihm aufgezählten Probleme.

Wenn man Platons Schilderungen im Siebten Brief Glauben schenken mag, war die politische Situation in der wiederhergestellten attischen Demokratie äußerst krisenhaft. Zumindest für die Zeit kurz nach dem Sturz der Dreißig mag das zutreffend gewesen sein. Denn der vorausgehende, viele Jahre anhaltende Krieg, die bittere Niederlage gegen Sparta und die darauf folgende Oligarchenherrschaft waren einschneidende Ereignisse für Athen gewesen, die noch lange Zeit nachwirkten.

Platons Modell ist geradezu kulturrevolutionär mit seinen Paradoxien, den Anweisungen, die gegen den zeitgenössischen gesunden Menschenverstand der Athener verstossen. Frauen und Männer sollen gleich sein; der Wächter- und Philosophenstand soll über kein Privateigentum verfügen und auch Frauen und Kinder sollen ihnen gemeinsam sein; schliesslich sollen die Philosophen regieren.

Den Grund dafür veranschaulicht Platon im Höhlengleichnis. Die Philosophen, aufgestiegen aus der Höhle der Unwissenheit zur Erkenntnis der Idee des Guten, haben die Pflicht, wieder zu den Mitmenschen hinabzusteigen und deren Seelen aus der gewöhnlichen Verirrung zum Wahren umzulenken.

Seine »Politeia« hielt jedoch der Erprobung in der Realität nicht statt. Platon musste schon Jahrtausende zuvor die Erfahrung des Scheiterns als Politiker machen, nämlich beim Versuch, die in seinem großangelegten Dialog »Politeia«, »Der Staat«, dargestellten staatspolitischen Idealforderungen in die Realität umzusetzen.

Platon ist ein Gegner der Volksherrschaft. Die Grundfehler der Demokratie liegen für ihn in einem Übermaß an individueller Freiheit zu Lasten des Gemeinwesens und in der politischen Teilhabe unvernünftiger, eigennütziger Personen. Seine Staatstheorie verrät deutlich Züge eines bevormundenden Geistes, der das Individuum zu einem Glück zwingen will, dessen Sinn ihm verborgen ist und wohl auch verborgen bleiben wird (Andreas Graeser: Die Philosophie der Antike 2, 1993, S. 198).

Gegenstand seiner Staatstheorie ist die konsensuale Grundordnung eines Stadtstaats (polis). Dabei spricht sich Platon zumindest teilweise, nämlich beim Stand der Wächter, für die Aufhebung der Privatsphäre, die Auflösung der Familie und die Abschaffung des Privateigentums aus. Seine Befürwortung der Euthanasie, die noble Lüge als legitimes Mittel der Politik (Platon, Politeia 389b) sowie die Lebensweise des Wächterstands wirken autokratisch, ebenso das generelle Verbot der überlieferten Dichtung und das Verbot der verweichlichenden oder enthemmenden Musik. Platon gehört zu den Vordenkern einer biologistischen Eugenik.

Er plädiert ausdrücklich dafür, bestimmte wünschenswerte Eigenschaften von Menschen durch gezielte Kombination elterlicher Merkmale zu züchten (Platon, Politeia 458c-461e). Die Staatstheorie Platons ist deshalb im 20. Jahrhundert massiv kritisiert worden.

Platons Ablehnung der attischen Demokratie und seine Bevorzugung eines autoritären Regimes sogenannter „Philosophenkönige“, die nichts mehr mit dem sokratischen Philosophen zu tun haben und explizit Lügenpropaganda verwenden dürfen, versucht Popper mit vielen Textstellen zu belegen. Platon sei damit der erste und wichtigste Theoretiker einer geschlossenen Gesellschaft gewesen, in der es keine gewaltlose Veränderung geben kann und Eliten diktatorisch herrschen. Popper sah in Platon „den ersten großen politischen Ideologen, der in Klassen und Rassen dachte und Konzentrationslager vorschlug.“

Alle Staatsphilosophien lassen sich auf Platons »Politeia« zurückführen. Nicht zuletzt wegen dieser Staatsutopie mit ihren ebenso spektakulären revolutionären Forderungen - man denke an die Abschaffung des Privatbesitzes oder die Gleichstellung von Mann und Frau - ist Platon von Karl Popper einer vehementen Kritik unterzogen worden: Die Idee, Philosophen mögen über das Staatswesen herrschen, gehört nach Popper zu den Kernstücken, antiliberalen und autoritären Denkens.

Seit Platons „Politeia“ herrscht die Idee vor, daß der Staatsmann ein guter Steuermann sein sollte.

Platon hat seine Bücher über den Staat siebenmal umgearbeitet.

Weblink:

Platons Staatstheorie

Literatur:

Der Staat
Der Staat
von Platon

Platon
Platon
von Michael Erler

Samstag, 7. März 2020

Das Gespenst des Populismus geht in Europa um





Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Populismus - so könnte man frei nach Karl Marx im Jahr 2020 formulieren. Das Gespenst bewegt sich immer weiter fort in Europa und in den Ländern, in denen es auftaucht, verbreitet es Angst und Schrecken.

Der Populismus ist der etwas vornehmere Bruder der Demagogie und ein augenzwinkerndes Stiefkind der Politik - von der Politik immer etwas stiefmütterlich behandelt. Populismus und Demagogie - derzeit in vieler Munde - sind Lehnwörter aus den klassischen Sprachen. Das eine leitet sich von dem lateinischen Begriff für Volk, populus, ab, das andere ist ein Gräzismus für das, was Volksführer – oder eben auch Volksverführer tun. Als Prototypen der - demagogischen - Populisten gelten die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus, deren Politik am Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts die römische Republik erschütterte.

Das Wort Populismus leitet sich von populus, dem Begriff für Volk, ab. Der populus Romanus war die Gesamtheit der römischen Bürger, die sich in unterschiedlichen Gliederungen zur Volksversammlung auf dem Forum traf. Dort wurden Magistrate gewählt und Gesetze beschlossen. Politische Debatten indes fanden nicht auf dem Forum statt, sondern hinter den verschlossenen Türen des Senates – ganz anders als etwa in Athen, wo die Agora ein Ort hitziger Diskussion war. Dass die römische Führungsschicht, die Nobilität, den populus aus der politischen Entscheidungsfindung heraushalten wollte, hatte seinen guten Grund: Die Politisierung der Volksversammlung würde das Ende des Grundkonsenses bedeuten, der die oligarchische Elite an der Macht hielt.

Als "populistisch" werden vor allem zwei Positionen bezeichnet, die immer zugleich eingenommen werden: Einerseits eine Haltung, die gegen das Establishment und gegen das Elitäre auftritt, und andererseits wird der Anspruch erhoben, daß nur die Populisten allein das wahre Volk repräsentieren würden. Letzteres wird nicht als eine empirische Aussage behauptet, sondern wird als ein moralischer Auftrag vom „Volk“ verstanden.

Populismus ist die Neigung der Politik, bei Unzufriedenheit in Abgrenzung zu den bestehenden Parteien vereinfachende Lösungen anzubieten, welche bei großen Teilen der Bevölkerung allgemeine Akzeptanz finden. Steigt die Anzahl der Wähler populistischer Parteien, dann steigt deren Einfluß und mit ihm der politische Gestaltungsspielraum und somit der Druck auf die etablierten Parteien, sich in ihrer Politik nebst dringend erforderlichen Debatten (!) inhaltlich-programmtisch wieder dem Volk zuzuwenden und Politik für das Volk zu machen, um den Populismus einzudämmen. Das Gespenst des Populismus läßt sich somit auf politischem Wege durchaus zum Verschwinden bringen.

Mehrere Entwicklungen der vergangenen Jahre haben das Phänomen des Populismus befördert: der drohende Zerfall Europas, die mangelnde Integrationsfähigkeit Europas, die mangelnde Solidarität der Länder Europas untereinander (!), die Demokratie-Müdigkeit, die eine neue Form des Populismus hervorgebracht hat und die Frage der Menschenrechte und der Hospitalität, welche Flucht und Migration stellen.

Den Populismus philosophisch zu betrachten und zu verstehen, heißt, diesen als gesellschaftliches Phänomen wahrzunehmen und diesen in eine Phänomenologie einzuordnen, denn mit dem Populismus gehen weitere Phänomene einher wie die Kritik an den Eliten und den Medien, Verschwörungsparanoia, das Misstrauen in staatliche Institutionen, Klientelismus. Die Erklärung des Populismus ist dagegen spektakulär ungespenstisch.

So verstanden zeichnet sich Populismus als Phänomen durch folgende Merkmale aus: Berufung auf den common sense, Anti-Elitarismus, Anti-Intellektualismus, Antipolitik, Institutionenfeindlichkeit sowie Moralisierung, Polarisierung und Personalisierung der Politik. Das Grundaxiom ist die Berufung auf den common sense.

Aus populistischer Sicht ist der "gesunde Menschenverstand" dem Reflexionswissen von Intellektuellen nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen, weil er auf konkreter, lebensweltlicher Erfahrung beruhe, noch nicht vom Virus des modernen Skeptizismus infiziert sei und daher noch einen unverfälschten, "gesunden" Zugang zu Recht und Wahrheit habe.

Die Zeit und das, was Menschen durchlebten, kann man mit Kleist gut durchleben. Er ergriff das, was ihm in seinem Leben begegnet so entschieden, dass man durch ihn verstehen kann, was die Dinge einmal bedeutet haben. Kleist ließ sich von Ereignissen, Begegnungen und Erlebnissen regelrecht entzünden.

"Jede große und umfassende Gefahr gibt, wenn ihr wohl begegnet wird,
dem Staat, für den Augenblick, ein demokratisches Ansehen."


Heinrich Kleist


Literatur:

Was ist Populismus?: Ein Essay
Was ist Populismus?: Ein Essay
von Jan-Werner Müller




Populismus-Essay-suhrkamp/dp/3518075225