Der Staat
In seinem Werk »Der Staat«, »Politeia«, entwirft Platon (427 bis 347 v. Chr.) die Idee eines gerechten Staates. »Der Staat« von Platon ist eine Staatsutopie - eine ideele Vorstellung also. Die »Politeia« ist auch ein Grundbuch abendländischer Metaphysik. Die im Zentrum des Werkes stehenden drei Gleichnisse: Das Sonnen-, Höhlen- und Liniengleichnis, in denen Platon seine Ideenlehre, Wissenschaftstheorie und Ethik darstellt, gehören nicht nur zu den literarisch eindrucksvollsten Zeugnissen des antiken Denkens.
Der Staat als die Gemeinschaft der Bürger wird in ein isomorphes Verhältnis zu einer geordneten und vernunftgeleiteten Seele gebracht und in beiden spiegelt sich eine kosmische Ordnung. Um die Frage zu beantworten, was Gerechtigkeit in der Seele des Menschen ist, entwirft Platon das Muster einer guten Polis, in der drei Stände (Bauern, Handwerker, Kaufleute etc. - Wächter - Philosophen) jeweils durch ihr spezifisches Tun zum Gelingen des Gemeinwesens beitragen.
In seiner »Politeia« ausformulierten Gedanken zu einem Philosophenstaat sah er sich laut eigenen Aussagen gezwungen, nur noch „die wahre Philosophie anzuerkennen und festzustellen, daß man allein von ihr vollständig erkennen könne, worin Gerechtigkeit im Staat und Privatleben bestehe“ und hielt nur das Szenario, dass „ein Schlag wahrer und echter Philosophen an die Staatsverwaltung gelangt, oder […] die regierenden Kreise in den Städten durch ein göttliches Wunder ernsthaft zu philosophieren begännen“, für die Lösung der von ihm aufgezählten Probleme.
Wenn man Platons Schilderungen im Siebten Brief Glauben schenken mag, war die politische Situation in der wiederhergestellten attischen Demokratie äußerst krisenhaft. Zumindest für die Zeit kurz nach dem Sturz der Dreißig mag das zutreffend gewesen sein. Denn der vorausgehende, viele Jahre anhaltende Krieg, die bittere Niederlage gegen Sparta und die darauf folgende Oligarchenherrschaft waren einschneidende Ereignisse für Athen gewesen, die noch lange Zeit nachwirkten.
Platons Modell ist geradezu kulturrevolutionär mit seinen Paradoxien, den Anweisungen, die gegen den zeitgenössischen gesunden Menschenverstand der Athener verstossen. Frauen und Männer sollen gleich sein; der Wächter- und Philosophenstand soll über kein Privateigentum verfügen und auch Frauen und Kinder sollen ihnen gemeinsam sein; schliesslich sollen die Philosophen regieren.
Den Grund dafür veranschaulicht Platon im Höhlengleichnis. Die Philosophen, aufgestiegen aus der Höhle der Unwissenheit zur Erkenntnis der Idee des Guten, haben die Pflicht, wieder zu den Mitmenschen hinabzusteigen und deren Seelen aus der gewöhnlichen Verirrung zum Wahren umzulenken.
Seine »Politeia« hielt jedoch der Erprobung in der Realität nicht statt. Platon musste schon Jahrtausende zuvor die Erfahrung des Scheiterns als Politiker machen, nämlich beim Versuch, die in seinem großangelegten Dialog »Politeia«, »Der Staat«, dargestellten staatspolitischen Idealforderungen in die Realität umzusetzen.
Platon ist ein Gegner der Volksherrschaft. Die Grundfehler der Demokratie liegen für ihn in einem Übermaß an individueller Freiheit zu Lasten des Gemeinwesens und in der politischen Teilhabe unvernünftiger, eigennütziger Personen. Seine Staatstheorie verrät deutlich Züge eines bevormundenden Geistes, der das Individuum zu einem Glück zwingen will, dessen Sinn ihm verborgen ist und wohl auch verborgen bleiben wird (Andreas Graeser: Die Philosophie der Antike 2, 1993, S. 198).
Gegenstand seiner Staatstheorie ist die konsensuale Grundordnung eines Stadtstaats (polis). Dabei spricht sich Platon zumindest teilweise, nämlich beim Stand der Wächter, für die Aufhebung der Privatsphäre, die Auflösung der Familie und die Abschaffung des Privateigentums aus. Seine Befürwortung der Euthanasie, die noble Lüge als legitimes Mittel der Politik (Platon, Politeia 389b) sowie die Lebensweise des Wächterstands wirken autokratisch, ebenso das generelle Verbot der überlieferten Dichtung und das Verbot der verweichlichenden oder enthemmenden Musik. Platon gehört zu den Vordenkern einer biologistischen Eugenik.
Er plädiert ausdrücklich dafür, bestimmte wünschenswerte Eigenschaften von Menschen durch gezielte Kombination elterlicher Merkmale zu züchten (Platon, Politeia 458c-461e). Die Staatstheorie Platons ist deshalb im 20. Jahrhundert massiv kritisiert worden.
Platons Ablehnung der attischen Demokratie und seine Bevorzugung eines autoritären Regimes sogenannter „Philosophenkönige“, die nichts mehr mit dem sokratischen Philosophen zu tun haben und explizit Lügenpropaganda verwenden dürfen, versucht Popper mit vielen Textstellen zu belegen. Platon sei damit der erste und wichtigste Theoretiker einer geschlossenen Gesellschaft gewesen, in der es keine gewaltlose Veränderung geben kann und Eliten diktatorisch herrschen. Popper sah in Platon „den ersten großen politischen Ideologen, der in Klassen und Rassen dachte und Konzentrationslager vorschlug.“
Alle Staatsphilosophien lassen sich auf Platons »Politeia« zurückführen. Nicht zuletzt wegen dieser Staatsutopie mit ihren ebenso spektakulären revolutionären Forderungen - man denke an die Abschaffung des Privatbesitzes oder die Gleichstellung von Mann und Frau - ist Platon von Karl Popper einer vehementen Kritik unterzogen worden: Die Idee, Philosophen mögen über das Staatswesen herrschen, gehört nach Popper zu den Kernstücken, antiliberalen und autoritären Denkens.
Seit Platons „Politeia“ herrscht die Idee vor, daß der Staatsmann ein guter Steuermann sein sollte.
Platon hat seine Bücher über den Staat siebenmal umgearbeitet.
Weblink:
Platons Staatstheorie
Literatur:
Der Staat von Platon
Platon von Michael Erler