Samstag, 30. Juni 2018

Mit Kant am Ball - eine philosophische Ästhetik


Fußball ist ein ergebnisorientierter Sport, bei dem die erzielten Tore ausschlaggebend für den Erfolg sind und letztlich nur das Ergebnis zählt. Schöner - weil für das Auge der Zuschauer recht ansehnlich - ist es jedoch, wenn der Sieg mit schönem und attraktivem Fußball erzielt worden ist. Wer schön und offensiv spielt, gewinnt zueist auch das Spiel.

So hat auch der Fußball hat seine Ästhetik und seine gefeierten Helden, welche schönen Fußball spielen und im besten Falle zelebrieren. Sowohl für den Spieler als auch den Zuschauer ist der Fußball eine ästhetische Erfahrung.

Eine philosophische Ästhetik, die sich zur Beschreibung der Schönheiten des Fußballs besonders eignet ist die kantische Ästhetik, denn Kant betont darin vor allem das freie Spiel der Einbildungskräfte. Dies spielt beim Fußball eine große Rolle.

Gerade wenn Abläufe eingebildet, im Sport würde man sagen, antizipiert werden, um dann doch ganz anders einzutreten. Außerdem betont Kants Ästhetik das spielerische Moment einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck. Das ist für Mannschaftssportarten besonders wichtig.

Ein Spiel besteht ja auch wesentlich aus lauter extrem zweckmäßigen Handlungen: Pässen, Grätschen, Sprints … Nur: Das alles hat gar keinen Zweck, jedenfalls keinen, der außerhalb des Spieles selbst läge! Das Tor bedeutet nur, dass es 1:0 steht. Das führt dann auch auf den kantischen Begriff des interesselosen Wohlgefallens in der ästhetischen Erfahrung.

Das heutige Kurzpassspiel, vor allem der Spanier, erfährt seine Schönheit aus der unglaublichen Beherrschung des Balles, die er zur Schau stellt, aber auch der räumlichen Beherrschung des Gegners.

Natürlich heften sich an den Fußball heute jede Menge Interessen, vor allem wirtschaftlicher Art. Aber der Grundimpuls funktioniert zunächst einmal als Spiel. Die zweckmäßigen Fußball-Handlungen erzeugen im Betrachter wie im Athleten - im freien Spiel der Einbildungskräfte - ein Wohlgefallen, und damit auch gewaltige Emotionen: So ließe sich das mit Kant erklären .



Samstag, 23. Juni 2018

»Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft« von Martin Gessmann

Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft
Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft

»Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft« von Martin Gessmann weht der Geist der Philosophie in den Fussball, aber was hat das mit Nietzsche zu tun? Das Spiel ist durchaus Nietzsches Element, aber der Freigeist gar als Interpret des modernen Fussballs? Nietzsche ist als Stadiongänger kaum je vorstellbar. Der Philosoph, welcher tatsächlich ein Stadion besucht hat, war nicht Nietzsche, sondern Camus.

Das Buch klärt auf, was Nietzsche und alle Philosophen - die Musik, die Wirtschaft, das ganze hohe Intellektuelle - mit Fussball zu tun hat. - Was lässt sich aus dem Buch lernen? - Fussball ist ein Spiegel der Gesellschaft, in der die Vertreter der Moderne mit neuen Techniken jonglieren. Fussball ist die Lehre vom flexiblen Menschen in schnellen Systemanpassungen.

Lässt sich mit dem Kulturphilosophen Nietzsche das Phänomen Fussball erklären und kann diese Erklärung auch gelingen? Alle Kulturkritik ist ihm ästhetisch fundiert und umgekehrt ist alle Ästhetik nicht ohne eine fundamentale kulturkritische Dimension. Friedrich Nietzsche hat sich wie zahlreiche andere Philosophen mit der Frage „Was ist schön?“, auseinandergesetzt. Gemäß Nietzsche ist Schönheit die Spiegelung menschlicher Lebenskraft.

Es lassen sich mit der Kunstfigur zwar Zusammenhänge konstruieren, eine schlüssiges Erklärungsmodell wird daraus jedoch nicht. Andererseits: Ein kluger Mann wie Nietzsche musste sich dessen bewusst sein, dass seine Texte auch von anderen Geistern entfremdet und missbraucht werden können. Dennoch liefert das Buch einige recht gute Ansätze zu Verständnis des Fussballs: Im Zentrum des Republikanismus eines Rousseau dagegen sieht Gessmann die Idee der Emanzipation des Einzelnen und die Bildung eines allgemeinen Willens in der volonté générale.

Fussballerisch bedeutet das ein radikales Abschleifen von Hierarchien und das Verinnerlichen eines Gemeinschaftsmodells, das sich vor allem im freien Spiel manifestiert: Ballbesitz als Selbstzweck, bei dem sogar der Torschuss eigentlich den Aufbau immer neuer Anspielstationen in Dreiecken und Rauten stört. Es ist das Modell Pep Guardiola, das Modell FC Bayern München.

"Das Wesen von derart spielvarianten Mannschaften ist es demnach, in der ständigen Veränderung ihrer Grundeinstellung sich von allen anderen zu unterscheiden. Ihr Wesen ist es, immer auf der Kippe zu stehen."

Wie von Ferne grüsst shon die Postmoderne: Es ist der Ästhetizismus der Postmoderne, in dem es darum geht, die Statik bürgerlicher Gesellschaften durch kreative Interventionen oder politische Avantgarden zu durchbrechen. Der Ahnherr ist Friedrich Nietzsche, der gesagt hat: "Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit."

Sein Dynamit wird hier quasi auf dem Spielfeld zur Explosion gebracht. Auf dem Spielfeld ist die zündemde Idee das Dynamit.



Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft
Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft



Aber diese stürmisch assoziative Interpretation der Avantgarde hat auch ihre Mängel. Der Autor scheint nur einige wenige Trainer und Mannschaften ausschließlich im Profi-Fussball zu kennen, immer wieder bemüht er seine drei Archetypen von Trainern, die er durch die Mühle seiner platt gewalzten philosophischen Ansätze und drei Gesellschaftstypen dreht - als gäbe es nur diese.

Eine Reise vom Elfenbeinturm der universitären VIP-Lounges auf die Äcker der Bezirksligen dieser Republik wäre dem Autor zu gönnen, um sich mit der vielleicht eher autokratisch-despotischen Verfassung des modernen Fussballs auf dem Lande vertraut zu machen - wenigstens aber mit der Anarchie in der Kreisklasse suburbaner Fussballwelten.

Literatur:

Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft
Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft
von Martin Gessmann

Fußball: Eine Kulturgeschichte
von Klaus Zeyringer

Samstag, 16. Juni 2018

Was Fussball und Philosophie verbindet

Fussball WM Endspiel 1974

Die Philosophie im Fussball gesucht. - Die Kulturkritik hat lange Zeit den Eindruck verbreitet, was so populär ist wie Fussball, kann mit Hochkultur oder gar Philosophie nichts zu tun haben. Ein gängiges Vorurteil, denn es gibt durchaus verbindende Elemente.

Heute kann jedoch schon der aufmerksame Betrachter einer WM lernen, dass es sich in Wahrheit geradezu umgekehrt verhält und der Zeitgeist, frei nach Hegel, im Fussball eine für alle fassliche Gestalt angenommen hat. Wer einmal im Stadion war, hat erfahren, daß Fussball ein besonderes Erlebnis ist.

Was verbindet Fussball und Philosophie? Fussball ist wie das Leben eine verbindende Lebensform und ein massentauglicher Sport. Fussball ist ein kollektiver Sport, welcher als Gemeinschaftserlebnis in der Lage ist, Identität zu stiften. Zudem ist Fussball ein gelebter Sport, welcher sportliche Menschen dazu bringt, dem Leben einen Sinn zu geben und somit ihrem Leben einen Sinn stiftet.

Fussball passt zum Ästhetizismus der Postmoderne, in dem es darum geht, die Statik bürgerlicher Gesellschaften durch kreative Interventionen oder andere Avantgarden zu durchbrechen. Die Vertreter der Moderne jonglieren ja stets mit neuen Techniken. Spielsysteme sind hier Strukturelemente der Postmoderne, in der nur die Avantgarde zum Erfolg führt.

Fussball hat als Variation der Moderne durchaus seinen eigenen Ästhetizismus, welcher auf Innovation auf dem Spielfeld drängt: Die Spanier spielen den modernsten Fußball, die Engländer im Grunde immer noch Rugby und die Deutschen mußten den Libero erfinden. - Es ist im Grunde genau wie bei Peter Pan: Wer im Fussball gewinnen will, muss sich stets neu erfinden.

Literatur:

Philosophie des Fußballs
Philosophie des Fußballs
von Martin Gessmann


Weblink:

Die Philosophie im Fußball gesucht - www.deutschlandfunk.de




Samstag, 9. Juni 2018

Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro


Jede Gesellschaftsform ist es wert, im Spannungsfeld von Egalität und Freiheit Alternativen für eine bessere Welt bereitzustellen. Kein Gesellschaftskonzept sollte ohne Alternative sein, da eine gesellschaftliche Weiterentwicklung immer eine Alternative eines bestehenden Gesellschaftskonzeptes ist. Der Fortschritt bedingt die Alternative und entwickelt sich aus ihr heraus.

Fortschrittliche Denker des Sozialismus betonen im Allgemeinen die Grundwerte Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und in einigen Strömungen auch die Verwirklichung negativer und positiver Freiheit. Sie heben oft die enge Wechselbeziehung zwischen praktischen sozialen Bewegungen und theoretischer Gesellschaftskritik hervor, wobei sie das Ziel verfolgen, mit Blick auf eine sozial gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung beide zu versöhnen.

Robert Havemann und Rudolf Bahro waren die wohl bekanntesten oppositionellen Intellektuellen der DDR. Dogmatismus befreit nicht von der Möglichkeit alternativen Denkens. Sie kritisierten den »real existierenden Sozialismus« und entwarfen alternative Sozialismus-Konzeptionen, aber sie waren keine Gegner der sozialistischen Idee, vielmehr plädierten sie für systemimmanente Veränderungen, mit dem Ziel der Verwirklichung einer freiheitlichen Gesellschaft. Der Blick ihres Denkens ist nicht mehr verstellt durch dogmatische Denkmuster und durch die gescheiterten Modelle und Parteien eines autoritären Staatssozialismus.

Robert Havemann galt als Staatsfeind Nummer eins der DDR. Nach kritischen Äußerungen in einer West-Zeitung über die DDR wurde der Chemie-Professor 1964 aus der SED ausgeschlossen und 1965 mit einem Berufsverbot belegt. 1976 wurde er wegen weiterer im Westen veröffentlichter SED-kritischer Schriften unter Hausarrest gestellt. Havemanns Isolation wurde gelockert, es gab keine Strafverfahren mehr gegen ihn. 1982 starb Havemann im Alter von 72 Jahren.

Rudolf Bahro (1935-1997) war 1978 nach der West-Veröffentlichung seines Buches „Die Alternative. Zur Kritik des realexistierenden Sozialismus“ wegen „Nachrichtenübermittlung“ und „Geheimnisverrats“ zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Im Oktober 1979 wurde Bahro zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR amnestiert und konnte mit seiner Familie in die Bundesrepublik ausreisen.

Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro
Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte
von Robert Havemann und Rudolf Bahro

Institutionalisiert gerät der Marxismus stets in dogmatische Verhärtung und erlahmt als "lebendige politische Kraft". Marxistisch beeinflußte Bewegungen sozialdemokratischer Spielart wird andererseits attestiert, zwar kein Dogma, aber eben auch nur Atem für die jeweils nächsten Ziele zu haben.

Die Kapitalisten hängen aus gutem Grund am moskowitischen Totalbild von Marxismus. Bald gewinnen sie jedoch Geschmack an der verworrenen Wahrheit: daran etwa, daß Marxismus über den zu befreienden Menschen kaum Erkenntnisse vermittelt außer ökonomischen. Daran, daß er dem "praktischen Immoralismus selbsternannter elitärer Vorhuten der Arbeiterklasse Vorschub leistet". Daran besonders, daß jeder unter Marxismus mit Fug was anderes verstehen darf.


Ines Weber analysiert die von Havemann und Bahro entwickelten Sozialismus-Konzeptionen aus politiktheoretischer und ideenhistorischer Perspektive und diskutiert kritisch, inwiefern es den beiden Autoren gelungen ist, Freiheit und Sozialismus zu versöhnen. Sie gibt zugleich einen Überblick zur Biografie und zum Werk der beiden Theoretiker.

Literatur:

Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro
Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro
von Ines Weber