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Samstag, 26. Februar 2022

Der Zynismus sieht die Welt so, wie sie ist.

Kritik der zynischen Vernunft

Der Zynismus sieht die Welt so, wie sie ist.

»Zynismus ist der geglückte Versuch,
die Welt so zu sehen, wie sie ist.«

Jean Genet

Der Zynismus ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Krankt die Gesellschaft, wo wird sie zynisch.

»Intelligent sein und dennoch seine Arbeit verrichten – das ist unglückliches Bewusstsein in der modernen, aufklärungskranken Form.«


Gottfried Benn

Eine Gesellschaft erkrankt, wenn dem um sich greifenden Zynismus kein Einhalt geboten wird. Zynische Denkhaltung ist eine in Politik und Wirtschaft weit verbreitete Einstellung, die auf Gehorsam und Loyalität gründet. Zynische Denkstrukturen bestimmen die Gesellschaft. Und der wirklich versierte Zyniker trägt bei seinem - im praktischen Handeln angelegten - gepflegten Zynismus natürlich ein Siegerlächeln im Gesicht. Der neue Zyniker ist nach Peter Sloterdijk derjenige, der eine Machtposition innehat: »Dem diffusen Zynismus gehören längst die Schlüsselstellungen der Gesellschaft in Vorständen, Parlamenten, Aufsichtsräten, Betriebsführungen, Lektoraten, Praxen, Fakultäten, Kanzleien und Redaktionen.“ (S. 37). Er erinnert daran, wie Gottfried Benn, „selber einer der profilierten Sprecher der modernen zynischen Struktur“ in dieser formuliert hat: »Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück.«

Natürlich gibt es auch eine Umkehrung diseer Medaille - soz. als genauer analoger Spiegeleffekt! Was in der Umkehrung eben heißt: »Intelligent sein und dennoch seine Arbeit verrichten – das ist unglückliches Bewusstsein in der modernen, aufklärungskranken Form« (S. 40). Dabei steht einem Zynismus der Mittel ein Moralismus der Zwecke gegenüber: Um moralisch hohe Ziele zu erreichen, kann man jedes, auch das tückischste Mittel einsetzen. Und genau so hat ja seit jeher die Macht, um ihre moralisch und demokratisch maskierten Zwecke zu erreichen, auch nie gezögert, unschuldige Opfer niederzumachen.

Samstag, 12. Juni 2021

»Theorie des kommunikativen Handelns« von Jürgen Habermas

Theorie des kommunikativen Handelns
Theorie des kommunikativen Handelns

Die Theorie des kommunikativen Handelns, das Hauptwerk von Jürgen Habermas, thematisiert die praktische und theoriekritische Bedeutung des kommunikativen Handelns für das soziale Leben der (post-)modernen Gesellschaft. Das 1981 erstmals veröffentlichte Werk setzt zunächst bei mythischen Weltbildern an, problematisiert das Sinnverstehen und untersucht Formen der Rationalisierung.

Das umfangreiche Werk enthält mit starken Bezügen auf Talcott Parsons, Thomas A. McCarthy und Niklas Luhmann eine geltungskritische Interpretation moderner Kommunikationstheorie, legt mit mehrfachen Bezügen auf Immanuel Kant, Georg W. F. Hegel und Ludwig Wittgenstein die begründende Funktion der kommunikativen Vernunft dar.


"Zwischen Kapitalismus und Demokratie besteht 
ein unauflösliches Spannungsverhältnis; 
mit beiden konkurrieren nämlich zwei entgegengesetzte 
Prinzipien der gesellschaftlichen Integration um den Vorrang."

Theorie des kommunikativen Handelns


Mit der Theorie des kommunikativen Handelns hat Jürgen Habermas den imposanten Versuch unternommen, die kritische Gesellschaftstheorie neu zu begründen. Vom Ziel der Emanzipation geleitet, will Habermas ihre normativen Grundlagen deutlicher herausarbeiten, als es die frühen Vertreter der Kritischen Theorie (v.a. Theodor W. R Adorno und Max R Horkheimer) vermochten bzw. als sie es sich wegen ihres tiefen Pessimismus noch zutrauen wollten. Diese normativen Grundlagen eines »nachmetaphysischen Zeitalters« findet Habermas in der Sprache, in den Grundvoraussetzungen und Implikationen kommunikativen Handelns.

Zwei Bände beinhalten auf weit über 1.000 Seiten kritische Auseinandersetzungen mit den Problemen u. a. der Rationalität, der Modernisierung sowie der Handlungs- und Systemtheorie. Habermas entwickelt seine eigene Theorie in kritischer Auseinandersetzung mit einigen Klassikern der Soziologie, u. a. Max Weber, George Herbert Mead (1863–1931) und Talcott Parsons (1902–79). Auf diesem Weg systematisiert er das kommunikative Handeln durch eine Universalpragmatik, die über jene Regeln und Voraussetzungen belehrt, die wir beim Sprechen automatisch und immer befolgen.

Wenn wir uns mit anderen verständigen wollen, so greifen wir auf einen vertrauten Hintergrund und Erfahrungsschatz zurück, den wir in der sog. Lebenswelt erlernt und eingeübt haben. Als wichtige Unterscheidung bestimmt Habermas die zwischen strategischem und echtem kommunikativen Handeln: das erste dient der Durchsetzung egoistischer Interessen und der Beeinflussung anderer und ist erfolgsorientiert; das zweite ist verständigungsorientiert und weiß sich den Ansprüchen auf Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit verpflichtet.

Habermas bringt diese Sprechakttheorie mit einer Theorie moderner Gesellschaften zusammen. Die moderne Gesellschaft ist u. a. dadurch gekennzeichnet, dass sich in ihr Systeme ausdifferenzieren, die durch entsprachlichte Medien wie Geld und Macht gesteuert werden, was ihre Effizienz enorm erhöht. Die Gesellschaft bleibt gleichwohl auf die Reproduktionsprozesse der Lebenswelt angewiesen.

Wird die Lebenswelt durch die systemischen Medien zu stark beeinflusst (»kolonialisiert«), z. B in Gestalt von Verrechtlichungstendenzen, dann droht die kommunikativ strukturierte Lebenswelt samt ihres aufklärerischen, demokratischen und menschlichen Potenzials gleichsam zu verdorren. Aufgabe kritischer Gesellschaftstheorie muss es sein, solche Prozesse kenntlich zu machen und zu kritisieren.

Weblink:

Theorie des kommunikativen Handelns
Theorie des kommunikativen Handelns
von Jürgen Habermas

Samstag, 14. November 2020

»Der erste Mensch« - Von einem, der auszog seinen Vater zu suchen

Der erste Mensch



Der erste Mensch

»Der erste Mensch« (»Le premier Homme«) ist der letzte Roman von Albert Camus, in dem sein eigenes Leben imaginiert wird. Er erzählt von einem, der auszog seinen Vater zu suchen. »Der erste Mensch«, der Titel antwortet auf Nietzsches »Der letzte Mensch«, den Camus der Epoche des Nihilismus zurechnet. Das autobiografische Werk ist der Mutter, der "Witwe Camus" gewidmet. Es wurde kurz vor seinem Tode geschrieben und war lange Zeit ein unveröffentlichtes Manusript.

Kurz vor seinem Tod sprach Albert Camus gegenüber Freunden von einem Roman mit dem Titel »Der erste Mensch«, den er bereits früher in seinen Aufzeichnungen erwähnt hatte. Das Manuskript wurde in der Mappe gefunden, die Albert Camus mit sich führte, als am 4. Januar 1960 Michel Gallimards Wagen bei geschätzten hundertfünfzig Stundenkilometern aus nie geklärten Gründen von der schnurgeraden Straße abkam und gegen einen Baum prallte.

Camus läßt in dem Werk sein Leben Revue passieren. Erzählt wird darin die autobiografische Geschichte der Kindheit Albert Camus’ in einer kargen, von Armut geprägten Welt in Algerien. Auf der Suche nach seinem Vater, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist und den er nie kennengelernt hat, beginnt der Erzähler eine Reise zurück in die Kindheit.

An seinem Anfang steht Albert Camus' eigene Geburt. Ein junges Paar ist aus Frankreich gekommen. Von Algier reist es in das kleine Dorf, in dessen Nähe der Mann die Verwaltung eines Hofes übernehmen soll. Der arabische Kutscher peitscht die Pferde durch die regnerische Novembernacht. Die Frau ist hochschwanger. Gleich nach der Ankunft, noch bevor der Arzt eintrifft, kommt das Kind zur Welt.

Das Stück taucht gleich zu Beginn des Monologs in die die Hitze Algiers, die Armut, die Unschuld, die Einfachheit ein, die Camus in seiner Kindheit erlebte – in die Welt der „natürlichen Schönheit“, die dann dem technischen Fortschritt geopfert wurde. Diese Welt will er als Erwachsener in Nordafrika wiederfinden. Er erinnert sich an die freie Schwerelosigkeit am Strand, in der Sonne, im Meer. An eine liebende Mutter, eine strenge, doch zukunftsorientierten Großmutter – und einen Lehrer, der das Potenzial seines Schülers erkennt. So entwickelt sich der Erzähler zu dem weltweit gefeierten Autor und Philosophen, der Camus später war.

Albert Camus nennt sich Jacques Cormery. Die biographischen Eckdaten und existentiellen Stationen seiner literarischen Figur entsprechen bis in Details der Vita des am 7. November 1913 geborenen Dichters, der hier seine algerische Kindheit erzählt. Von ihr war nur wenig bekannt und Cormery übrigens der Name seines Großvaters mütterlicherseits.

Literatur:

Der erste Mensch
Der erste Mensch
von Albert Camus

Samstag, 7. November 2020

Albert Camus und die Revolte

Albert Camus

Seinem »Mensch in der Revolte« setzte Albert Camus ein Zitat aus Hölderlins »Tod des Empedokles« voraus. Wie Camus war auch Hölderlin ein Licht- und Südensehnsüchtiger.

Empedokles hat sich in den Ätna gestürzt. Camus jedoch, von Algier nach Paris gewechselt, mit den Erfahrungen des Weltkriegs, der Résistance, des Faschismus und des Stalinismus, er setzt in so entzauberter Zeit auf die Revolte. Gegen den Selbstmord als mögliche Flucht. Gegen den (Massen-)Mord als tödliche Frucht der Ismen, der Religionen und Ideologien. Das macht diesen Camus so radikal gegenwärtig. Er ist der philosophische Dichter am Ende nicht der Geschichte, aber am Ende der Ideologien.

Im berühmten »Mythos von Sisyphos«, der wie »Der Fremde« 1942 erschien, war es die Revolte des Einzelnen, die selbst dem nie endenden Bergaufrollen des Sisyphos-Felsen die Würde des Absurden gibt. Die Verbindung von Verzweiflung und Glück. Wobei das Absurde nicht das Sinnlose ist.

In seinem Buch »Der Mensch in der Revolte« wandte sich Camus gegen alle Spielarten eines totalitären Sozialismus – und gegen Sartre, der Stalins Gulag als notwendiges Übel ansah, um die Ideale des Kommunismus zu verwirklichen. Camus entgegnete dem, «dass die menschliche Person über dem Staat steht», und rief gegen ein instrumentelles Denken und Handeln zur Revolte der Humanität auf. Deshalb engagierte er sich in der Résistance, deshalb prangerte er den Terror Stalins an. Und deshalb forderte er nur einen Tag nach den Nürnberger Prozessen 1949 die weltweite Abschaffung der Todesstrafe, während allerorten Blut mit Blut vergolten wurde. In seiner Nobelpreisrede betonte Camus 1957: »Jede Generation sieht zweifelsohne ihre Aufgabe darin, die Welt neu zu erbauen. Meine Generation jedoch weiss, dass sie sie nicht neu erbauen wird. Aber vielleicht fällt ihr eine noch grössere Aufgabe zu. Sie besteht darin, den Zerfall der Welt zu verhindern.«

Womit auch ein Klima- und Eisbärschützer am Rande der Arktis oder ein afrikanischer Brunnenbohrer, der heute scheinbar hoffnungslos gegen die Gletscherschmelze oder die Saheldürre ankämpft, seine existenzielle, tätige Würde erhält. Den Heroismus des Einzelnen aber mit der Gemeinschaft zu verbinden, dafür steht die „Revolte“. Doch ihr Wert legitimiert keinen Terror.

Weblink:

Im Licht des Mittags - www.tagesspiegel.de/kultur

Samstag, 30. Mai 2020

Thomas Piketty und das Kapital in der Krise


Thomas Piketty - geboren am 7. Mai 1971 in Clichy, Département Hauts-de-Seine - ist ein französischer Wirtschaftswissenschaftler. Der Ökonom ist Professor an der »École d’Économie de Paris« und der »École des Hautes Études en Sciences Sociales« (EHESS) und Publizist.

2014 sorgte die Veröffentlichung seines Werkes »Das Kapital im 21. Jahrhundert« weltweit, besonders in den USA, für sehr große Aufmerksamkeit. Der Ökonom wurde 2014 mit dem Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« bekannt. Darin beschäftigte der Gesellschaftsanalytiker sich mit dem Zusammenhang zwischen Kapital und wirtschaftlicher Ungleichheit.

Sein neues Werk trägt den Titel »Kapital und Ideologie«, in dem er den Zusammenhang zur Regierungsform aufarbeitet. Piketty legt mit einem gewaltigen Werk nach: Kapital und Ideologie ist eine so noch niemals geschriebene Globalgeschichte der sozialen Ungleichheit und ihrer Ursachen, eine unnachsichtige Kritik der zeitgenössischen Politik und zugleich der kühne Entwurf eines neuen und gerechteren ökonomischen Systems. »Kapital und Ideologie« hilft nicht nur, die Welt von heute zu verstehen, sondern sie zu verändern.

Für den Ökomomen ist klar, daß jede Gesellschaft eine Ideologie braucht, eine Rechtfertigung für ihre Organisationsform und die damit verbundene Ungleichheit. Aber die Herrschenden würden den Vorteil, den sie der Gesellschaft bringen, übertreiben, um ihre Privilegien zu rechtfertigen.

Grundsätzlich bemängelt Piketty, daß heutzutage kaum mehr über Alternativen zum marktwirtschaftlichen Kapitalismus nachgedacht werde. Dabei sei die Geschichte eine Abfolge von oft radikalen Veränderungen im Wirtschaftssystem und diese würden nicht nur durch Kriege ausgelöst, wie Schwedens Wandel von einem Land mit sehr großer Ungleichheit Anfang des 20. Jahrhunderts zur heutigen relativ ausgeglichenen Gesellschaft zeige.

Die Krise führe Regierungen vor Augen, wie sehr sie die Wirtschaft regulieren können, so Piketty bei der Vorstellung seines neuen Buches. Den Arbeitenden werde bewusst, dass Home-Office funktioniert.


Vor ein paar Monaten, als es darum ging, Flüge zu reduzieren und den CO2-Ausstoß abzubauen, hätten das viele unter Verweis auf die ökonomischen Kosten ausgeschlossen. „Und jetzt, ganz plötzlich, wegen einer Gesundheitskrise, blockieren wir Flüge und schicken Leute nach Hause“, sagte Piketty. Das zeige, daß Europa ein ausgefeiltes System im Umgang mit Gesundheitsrisiken habe, aber keine vergleichbaren Entscheidungsstrukturen bei langfristigen Risiken wie Umweltproblemen.

Die Krise wird die gesellschaftliche Ungleichheit nicht verändern, da diese struktureller Natur ist. Piketty plädierte für eine Erhöhung der Vermögenssteuer und einer Einmalzahlung von 120.000 Euro als Finanzierung, um sicher durch die Krise zu kommen.

Was aus einer Krise zu lernen ist? - Der smarte französische Ökonom des Kapitals der Gegenwart Thomas Piketty kann sich vorstellen, daß das verstärkte Home-Office und die Umsetzung drastischer Eingriffe in die Wirtschaft im Rahmen der Corona-Krise ganz im Sinne von Karl Marx zu einer Bewusstseinsänderung führen könnten.

Literatur:

»Kapital und Ideologie« von Thomas Piketty

Kapital und Ideologie von Thomas Piketty

Samstag, 27. Juli 2019

Was ist das gute Leben?


Es ist eine uralte Frage der Menschheit und bedeutet für jeden etwas anderes. Trotzdem scheint eine klare Antwort in unserer Gegenwart schwieriger denn je: Was ist heute das "gute Leben"?

In der Antike war man der Auffassung, daß eine gelungene Lebensführung nach den Anforderungen und Grundsätzen einer philosophischen Ethik und den damit verbundenen ausgeglichenen Gemütszustand. Als Kennzeichen des guten Lebens, daß man das „Glück“ nicht von äußeren Faktoren erhofft, sondern es in sich selbst findet, indem man sich richtig verhält. Es wurde erwartet, dass man dann in allen Lebenslagen eine unerschütterliche Gemütsruhe bewahrt. Benötigt und erarbeitet wurden Regeln für eine Lebensweise, die Eudaimonie ermöglichen sollte. Dazu gehörte in erster Linie, dass man Grundtugenden verinnerlichte. Stark umstritten war die Frage, ob die Tugenden allein ausreichen oder auch körperliche und äußere Güter benötigt werden.

Das ist zunächst nicht mehr als ein Befund. Doch ist die Frage nach dem "guten Leben" eine uralte Menschheitsfrage, die in allen Kulturen zu allen Zeiten gestellt - und eben auch ganz unterschiedlich beantwortet wurde. Erst in der Moderne wurde die Vorstellungen darüber, was Glück ist, recht verschieden. Doch daß eine Zeit wie die unsere, nicht mehr verbindlich weiß, was das gute Leben ist, muss als ungeheuerliches historisches Novum bewertet werden. Es fällt ja kaum mehr auf, dass im späten Kapitalismus nur noch solipsistische Ziele verfolgt werden - die von der Werbung dann als Ausdruck eines souveränen Individualismus propagiert werden.

Wie konnte es dazu kommen? Peter Sloterdijk sieht die moderne Welt im Steigerungswahn einer Losung von Karl V. gefangen: "Plus Ultra" hatte der letzte römisch-deutsche Herrscher zu Beginn des 16. Jahrhunderts ausgegeben. Ein Motto, so anmaßend wie erfolgreich: Karl V. hatte das "Non" aus "non plus ultra" gestrichen und aus: "Bis hierher und nicht weiter!" ein: "Immer weiter" gemacht. "Plus Ultra" steht heute noch in der spanischen Flagge.

Sloterdijk erkennt darin den Appell zu einer zügellosen Steigerung, die man Wachstum und Fortschritt nennt. Doch selbst dem Steigerungswilligsten erscheinen Aufwand und Ertrag, Kosten und Nutzen irgendwann unvereinbar. Man erlebt dann nur noch den Exzess des Konsumierens und - wie der französische Essayist Pascal Bruckner sagt - "die Routine der Ausschweifung". Oder, um es mit dem Vorschlaghammer Adornos zu sagen: Was Frau Merkel da beim Bürgerdialog erlebt hat, war die Erfahrung, daß es kein richtiges Leben im falschen geben kann.

Weblink:

Was ist das gute Leben? -www.sueddeutsche.de/kultur

Samstag, 22. Juni 2019

Michel Serres - einer der originellsten Denker unserer Zeit


Der französische Philosoph Michel Serres galt als ein ganz großer Denker. Er war ein gelernter Seemann, ein wandernder Linkshänder, ein Informationstheoretiker, vor allem aber: einer der originellsten Denker unserer Zeit. Immer in Bewegung, bedeutete Philosophie für ihn vor allem die Kunst, sich im eigenen Leben zu orientieren.

Serres war ein französischer Mathematiker und ein visionärer Philosoph: Die Grenzen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften aufheben, um die Menschheit vor dem globalen Inferno zu bewahren.

Für Michel Serres geht der entscheidende Impuls des Denkens von der Ahnung aus, dass immer mehr als ein Weg, mehr als eine Beschreibung, mehr als eine Methode zum eigentlichen Ziel des Philosophierens führen kann. Dieses lautet: Zu wissen, wo man als Mensch steht und also auch, was von einem gegebenen Punkt der kulturellen Entwicklung aus möglich ist.

Serres’ Denken umspannt Systemtheorie und Semiotik ebenso wie Wissenschaftsgeschichte und Ökologie. Kein Wunder, dass er sein Hauptwerk nach Hermes benannt hat, dem Gott des Verstehens, der Reisenden und auch Wegelagerer. Von diesem begnadeten Fährtenleser lassen sich neue Wege ins Freie zeigen.

Denken heißt für Serres, sich auf die Wissenschaften und die Beobachtung zu stützen, doch es heißt auch, dass man es schafft, sich von ihnen zu lösen, einen Schritt beiseitezutreten.

Kennzeichen dieses Abstandnehmens ist die Distanz, die das Denken von der Erkenntnis trennt. Man muss immer von neuen Erkenntnissen ausgehen, doch aus dem Abstand, den man zu jenen Erkenntnissen einzunehmen vermag, geht das Denken hervor. Genau das ist Philosophie.

Dienstag, 18. Juni 2019

Jürgen Habermas 90. Geburtstag

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas wurde vor 90 Jahren am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren. Jürgen Habermas ist ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er zählt zur zweiten Generation der Frankfurter Schule und war zuletzt Professor für Philosophie an der Universität Frankfurt am Main. Habermas ist einer der weltweit meistrezipierten Philosophen und Soziologen der Gegenwart.

Habermas, theoriebewährt, systembildend und diskursgestählt, gilt als Vertreter der »Kritischen Theorie«, eine von Hegel, Marx und Freud inspirierte Gesellschaftstheorie, deren Vertreter auch unter dem Begriff »Frankfurter Schule« zusammengefasst werden. Er war ein Schüler von Horkheimer und Adorno, dessen Wirken ausschließlich in die Nachkriegsperiode fällt. Er verknüpft so unterschiedliche philosophische Positionen wie den Marxismus und den amerikanischen Pragmatismus zu einem Theoriegebäude, das weltweit diskutiert wird.

Von 1949 bis 1954 studierte er in Göttingen, Zürich und Bonn die Fächer Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie. Er lehrte unter anderem an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt am Main sowie der University of California in Berkeley und war Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg.

Ein Stipendium brachte Habermas 1956 nach Frankfurt ans Institut für Sozialforschung. In der Zeit als Forschungsassistent bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno machte er sich mit den (zum Teil unter Verschluss gehaltenen) Schriften seiner beiden Direktoren und anderer Vertreter der Kritischen Theorie aus der Vorkriegszeit vertraut. Im Jahr 1964 wurde Habermas auf Horkheimers Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt berufen.

»Wo die utopischen Oasen austrocknen, breitet sich eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit aus.«
Jürgen Habermas


Er erlebte noch den Nationalsozialismus, befreite die "Dialektik der Aufklärung" von ihrer resignativen Perspektive und wurde zum Projektleiter der Moderne. Habermas verknüpft so unterschiedliche philosophische Positionen wie den Marxismus und den amerikanischen Pragmatismus zu einem Theoriegebäude, das weltweit diskutiert wird. Habermas legt großen Wert auf den Nachweis, in seiner Synthese von Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie die nachgerade zwangsläufige Konsequenz aus all dem gezogen zu haben, womit die „wissenschaftliche Tradition“ von Plato bis Kant, von Schelling bis Peirce und von Gadamer bis zum Materialismus von Marx sich – letztlich erfolglos – herumgeschlagen hat. In der philosophischen Fachwelt wurde er bekannt durch Arbeiten zur Sozialphilosophie mit diskurs-, handlungs- und rationalitätstheoretischen Beiträgen, mit denen er die Kritische Theorie auf einer neuen Basis weiterführte.



Nach der dekonstruktiven Kritik der "alten" Frankfurter trat Habermas an, um trotz ihrer destruktiven Dialektik eine Basis für das Aufklärungsprojekt zu finden, es nach seinem Scheitern wiederherzustellen - eine Trümmerfrau der deutschen Philosophie gewissermaßen. Er fordert eine Ethik, die sich aus dem Diskurs ergibt.

Ausgehend von seinen Überlegungen zur Universalpragmatik entwirft Habermas ab Beginn der 1980er Jahre im Dialog mit Karl-Otto Apel seine eigene Variante einer Diskursethik. Habermas stellt sie explizit in die Tradition der Kantischen Ethik, die er jedoch gleichzeitig mit kommunikationstheoretischen Mitteln neu formulieren und ihre metaphysischen Elemente „detranszendentalisieren“ will.

Habermas ist der herausragende Denker des Nachkriegsdeutschland. Bezugspunkt seines Denkens sind nicht Länder oder Regionen, sondern die Verfassung. Habermas ist ein Verfassungspatriot. Nach dem Mauerfall von 1989 widmete sich Habermas verstärkt rechts- und staatsphilosophischen Themen. Im Jahre 1992 erschien sein Werk »Faktizität und Geltung«, das nach seiner »Theorie des kommunikativen Handelns« als sein wichtigstes Werk gilt. Es stellt „die erste ausgearbeitete Rechtsphilosophie aus dem Umkreis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule“ dar. Er stellt die Frage, wie aus dem Diskurs heraus, Demokratie und Rechtsstaat geformt werden können.

Während Habermas die europäische Integration anfangs als eine primär ökonomische Veranstaltung zur Liberalisierung des Handels verstand, zeigte er sich im Laufe der 1980er Jahre als ein überzeugter Europäer und begleitete die Entwicklung in der Europäischen Union mit politisch engagierten Stellungnahmen, deren wichtigste und neueste in seiner jüngsten Publikation »Zur Verfassung Europas« (2011) zusammengefasst sind. Darin begreift er die EU als ein „höherstufiges politisches Gemeinwesen“, als einen „entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer politisch verfassten Weltgesellschaft“. Habermas engagiert sich immer wieder für einen gemeinsamen europäischen Weg.

Jürgen Habermas erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Preise, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2001) und den Kyoto-Preis (2004).

Weblinks:

Das Lebenswerk des Jürgen Habermas - Wissenschaftskritik - www.wissenschaftskritik.de

Jürgen Habermas - www.famousphilosophers.org


Literatur:

Jürgen Habermas: Eine Biographie
Jürgen Habermas: Eine Biographie
von Stefan Müller-Doohm

Freitag, 26. April 2019

Ludwig Wittgenstein 130. Geburtstag


Ludwig Wittgenstein wurde vor 130 Jahren am 26. April 1889 als Sohn des Großindustriellen Karl Wittgenstein in Wien geboren. Ludwig Wittgenstein war ein berühmter österreichisch-britischer Philosoph, der durch sein Denken und seine Methodik die Philosophie des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflußte.

Wittgenstein gilt als einer der grössten des 20. Jahrhunderts und Erneuerer der Philosophie. Er gilt als Hauptvertreter der analytischen Philosophie und war der Schüler des Mathematikers und Philosophen Bertrand Russell. Er war ein analytischer Philosoph der Sprache und sprachkritischer Philosoph und gilt als Begründer der sprachanalytischen Philosophie.


Wittgenstein war ein Ingenieur, der Klarheit in die Philosophie brachte. Er lieferte einen neuen Denkansatz in der neuzeitlichen Philosophie: Er war der Auffassung, das philosophische Probleme aus der Verwendung von Wörtern aus unpassenden Kontexten entstehen.

Er ist der Schöpfer bahnbrechender Herangehensweisen für die Philosophie der Logik, der Sprache und des Bewusstseins. Der wortgewandte Philosoph definierte Sprache neu und setzte dabei auch gleich die Grenzen hinsichtlich der Begreifbarkeit von Sprache.



»Wovon man nicht sprechen kann,

darüber muss man schweigen.«



Sprachskepsis bezeichnet an der Wende zum 20. Jahrhundert den Zweifel an einer objektiv wahrnehmbaren Wirklichkeit und an der Fähigkeit der Sprache diese Wirklichkeit abzubilden. Die theoretische Grundlage geht auf den Wiener Kreis, vor allem auf Ludwig Wittgensteins »Tractatus logico-philosophicus« zurück.

Die Besonderheit an Ludwig Wittgenstein war sein radikal neuer Denkstil. Ein unreflektierter Sprachgebrauch und die konventionelle Verwendung von Begriffen innerhalb der Philosophie sind für Wittgenstein die Ursache der Ver wirrung beim Lösen philosophischer Probleme. Die sinnvolle Sprachverwen dung einer normalen Sprache in sinnvollen Kontexten ist sein Lösungsansatz. Wittgenstein lieferte jedoch keine explizit formulierte Theorie und ließ trotz seiner konzisen, klaren Sprache Spielraum für die eigenen Gedanken des Lesers.

Ludwig Wittgenstein schrieb zwei Hauptwerke, früh die strenge »Logisch-philosophische Abhandlung«, spät die offeneren, lebendig in immer neuen Anläufen vorgetragenen »Philosophischen Untersuchungen«, mit denen der Begriff des »Sprachspiels« in die Welt gekommen ist.

1922 veröffentlichte Wittgenstein eine zweisprachige Ausgabe seines einzigen zu Lebzeiten erschienen Werkes, welches unter dem heute bekannten Titel der englischen Übersetzung erschien: »Tractatus Logico-Philosophicus«. - Mit der Veröffentlichung der »Logisch-philosophischen Abhandlung« glaubte Wittgenstein, seinen Beitrag für die Philosophie geleistet zu haben, und wandte sich anderen Tätigkeiten zu.

Noch während der Kriegsgefangenschaft als österreichischer Freiwilliger im Ersten Weltkrieg entschied der Soldat und Weltkriegsteilnehmer in Italien sich - vermutlich unter dem Eindruck der Lektüre von Leo Tolstoi - für den Beruf des Lehrers, den er nach dem Ersten Weltkrieg ausübte.

Wittgenstein war überzeugt, ale Probleme des Seins gelöst zu haben. 1929 gab Wittgenstein seinen Job als Volksschullehrer auf und kehrte auf Umwegen nach Cambridge zurück. Während der dreißiger Jahre gab Wittgenstein zahlreiche Kurse und Vorlesungen. Immer wieder versuchte er, seine neuartigen Gedanken, die er unter anderem in Auseinandersetzung mit seinem Erstlingswerk entwickelte, in Buchform zu verfassen.

Ludwig Wittgenstein starb am 29. April 1951 in Cambridge an einêm Krebsleiden. Sein philosophisches Werk hatte großen Einfluss auf die sprachanalytische Philosophie und die Geisteswissenschaften des 20. Jahrhunderts.

Weblinks:

Ludwig Wittgenstein-Biografie - Biografien-Portal www.die-biografien.de


Ludwig Wittgenstein-Zitate - Zitate-Portal www.die-zitate.de


Ludwig Wittgenstein - www.famousphilosophers.org


Literatur:

Ludwig Wittgenstein
Ludwig Wittgenstein
von Joachim Schulte


Blog-Artikel:

Ludwig Wittgenstein

Samstag, 26. Januar 2019

»Denken heilt!: Philosophie für ein gesundes Leben« von Albert Kitzler


Denken heilt!: Philosophie für ein gesundes Leben

»Denken heilt!: Philosophie für ein gesundes Leben« von Albert Kitzler ist ein philosophischer Ratgeber für Menschen, die ihre Mitte, Gesundheit und ein erfülltes Leben suchen. Albert Kitzler, selbst Philosoph, versteht es wie kein Zweiter, einen Zugang zur Philosophie der Antike zu schaffen und die Weisheit der antiken Philosophen mit dem modernen Leben zu verknüpfen.

Albert Kitzler geht in seinem Buch von der schon seit Jahrhunderten von Philosophen in Ost und West propagierten These aus, dass geistiges Wohlbefinden auch das körperliche beeinflusst, dass also seelisches Ungleichgewicht, geistige Belastungen wie Ängste, Sorgen, das Gefühl der Überanstrengung, heftiger Zorn, Trauer deutliche Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden haben.

Nach und nach nimmt er sich alle negativen Geisteshaltungen vor, analysiert sie und gibt anhand der klassischen Philosophielehren von Ost und West (Seneca, Platon, Konfuzius - um nur einige zu nennen) Anregungen, wie diese nicht unterdrückt sondern an der Entstehung gehindert werden sollen. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesen Schritt für Schritt erklärten, individuell auf das negative Gefühl angepassten Strategien nicht um Sofortmaßnahmen handelt,sondern dass die erstrebten Ziele ähnlich wie bei körperlicher Ertüchtigung nur durch kontinuierliche, möglichst tägliche Übung zu erreichen sind.

Albert Kitzler ist überzeugt: Das Weisheits-Wissen von antiken Philosophen wie Seneca, Buddha, Konfuzius und anderen Denkern der Antike ist ein wirkungsvolles Heilmittel, um mit diesen Lebensfragen fertigzuwerden. In seinem neuen Sachbuch übersetzt er das Gesundheits-Wissen antiker Philosophen und Denker aus Ost und West anschaulich in unsere Lebenswirklichkeit und macht ihre philosophische Weisheit als Therapeutikum nutzbar – als Weg zu Ausgeglichenheit und Daseinsfreude und zum Wohl unserer Seele.

Albert Kitzler versteht es dabei sehr gut, das antike Denken in unsere Zeit zu übersetzen. So erstrahlen die Gedanken von Seneca, Laotse und Konfuzius in neuem Glanz und es macht Freude, ihren Einsichten zu verfolgen. Am Ende jeden Kapitels gibt es eine Übersicht über die Heilmittel gegen Überlastung und Co., die einfach zu verstehen sind und doch zeigen, wie klar und tiefgründig die Denker schon vor 2000 Jahren dachten. Auch Platons Mitmenschen litten unter Burnout, deshalb ist die antike Philosophie für ein gesundes Leben so aktuell wie nie zuvor.

In seinem Buch stellt der Autor die antiken Heilmethoden gegen solche krankmachenden Eigenschaften und Angewohnheiten vor. Denn auch Platon, Konfuzius und Buddha haben über die Ursachen von Überlastung, Stress und Hochmut nachgedacht und nach Rezepten dagegen gesucht. Noch heute sind die Gedanken der Philosophen aus West und Ost lesenswert. Inzwischen konnten anhand neuer Forschungsergebnisse zahlreiche Erkenntnisse der Antike sogar wissenschaftlich belegt werden.

In diesem Buch geht es um die Gesundheit: Der Alltag fordert den Menschen viel ab - Stress, Unruhe, Erschöpfung und manchmal sogar Angst sind die Folge und belasten die Psyche. Wir tun viel, um gesund zu bleiben. Wir treiben regelmäßig Sport und ernähren uns ausgewogen. Häufig übersehen wir aber den großen Einfluss, den Gedanken und Einstellungen auf unsere Gesundheit haben: So kann Eifersucht zu Bluthochdruck führen, ein Burnout das Herzinfarktrisiko begünstigen und Hass und Neid uns alt aussehen lassen. Das wussten schon die Philosophen der Antike. Wer Gefühle wie Neid und Eifersucht oder Symptome wie Stress hinterfragen möchte, macht mit diesem Buch einen guten Griff.

Literatur:

Denken heilt!: Philosophie für ein gesundes Leben
Denken heilt!: Philosophie für ein gesundes Leben
von Albert Kitzler

Samstag, 22. September 2018

»Der Sinn des Denkens« von Markus Gabriel


Der Sinn des Denkens


Markus Gabriel, geboren 1980, studierte in Bonn, Heidelberg, Lissabon und New York. Seit 2009 hat er den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie. Längst gilt er als einer der wichtigsten deutschsprachigen Philosophen der Gegenwart, dessen unverwechselbar leichtfüßiger Stil klassische und moderne Theoretiker sowie die Popkultur zusammenführt. Akademisch kommt er aus der Tradition des Deutschen Idealismus und der Antike, also von Schelling und der antiken Skepsis.



Das Denken kann durchaus Sinn machen - das zumindest behauptet Markus Gabriel. Wir werden die Welt und den Menschen völlig neu denken müssen, das legt Markus Gabriel in seinem neuen Buch »Der Sinn des Denkens« nahe. Jahrhundertelang seien Philosophen dem fundamentalen Irrtum aufgesessen, "es gäbe einen kategorialen Unterschied zwischen Subjekt und Objekt". Immanuel Kant zum Beispiel habe "völlig falsch gelegen", als er behauptete, dass wir nicht "Dinge an sich" erkennen können, sondern dass die Wirklichkeit uns immer nur indirekt zugänglich sei: gefiltert durch vorgegebene Kategorien unserer Wahrnehmung.

Kritik der reinen Vernunft

Philosophiehistorisch sind Gabriels Ausführungen vor allem gegen Kant gewandt, der in seiner »Kritik der reinen Vernunft« eine radikale Begrenzung der menschlichen Vernunftkapazitäten vorgeschlagen hatte. Gabriel löst Kants Denken aus seiner Subjekt-Objekt-Beziehung.

Als Urvater eines Konstruktivismus, der Wahrheit grundsätzlich als menschliche Hervorbringung betrachtet, ist ihm Kant so suspekt wie die Metaphysik als Theorie eines vollständig erfassbaren Ganzen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Gabriels spektakulär inszenierte, aber hochgradig unspektakuläre Behauptung, dass es die Welt nicht gibt, meint genau das, will sich aber auch nicht auf Kants Vorschlag einer "regulativen Idee" einlassen. Die Welt existiert tatsächlich immer nur als Teil der wirklichen Welt - als Ausschnitt, also im Plural.

Gabriel, der an der Universität Bonn Erkenntnistheorie lehrt, hält das Denkvermögen für "ein Sinnesorgan" wie Auge und Ohr: So wie wir Farben wahrnehmen, indem wir sehen, und Töne, indem wir hören, gebe es andere Aspekte der Wirklichkeit, die wir als Denkende erfassen: zum Beispiel die Anzahl von Gegenständen, die wir vor uns haben, oder die Tatsache, dass diese sich nach bekannten Naturgesetzen verhalten, indem sie etwa von oben nach unten fallen und nicht umgekehrt. Im Namen eines "Neuen Realismus" betrachtet Gabriel Gedanken daher ebenso als Teil der wirklichen Welt wie Komponisten, Elementarteilchen oder wilde Tiere:

"Der neue Realismus sagt: Stopp! Warum sollte denn das Denken weniger wirklich sein als Fermionen und Bosonen? Warum sind meine Gedanken über Beethoven weniger wirklich als Beethoven? Das leuchtet mir nicht ein, und deswegen beginnt der Neue Realismus damit, ein Konzept von Wirklichkeit zu entwickeln, das dem einfachen Umstand Rechnung trägt, dass bewusstes geistiges Leben in keinem Sinne ein verdächtigerer Einwohner des Universums ist als Fermionen oder Löwen."

Der erkenntnisfreudige und -hungrige Philosoph will, daß Denken einfach mehr Spaß macht, denn Denken macht durchaus Sinn.

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Literatur:

Der Sinn des Denkens von Markus Gabriel


Weblinks:

"Der Mensch ist das Tier, das keines sein will" - www.deutschlandfunkkultur.de

Warum es die Welt nicht gibt - Radialke Mitte - www.zeit.de

derstandard.at/1376535386929/Mogelpackung-eines-Erkenntnisoptimisten Mogelpackung eines Erkenntnisoptimisten - derstandard.at

Samstag, 16. Juni 2018

Was Fussball und Philosophie verbindet

Fussball WM Endspiel 1974

Die Philosophie im Fussball gesucht. - Die Kulturkritik hat lange Zeit den Eindruck verbreitet, was so populär ist wie Fussball, kann mit Hochkultur oder gar Philosophie nichts zu tun haben. Ein gängiges Vorurteil, denn es gibt durchaus verbindende Elemente.

Heute kann jedoch schon der aufmerksame Betrachter einer WM lernen, dass es sich in Wahrheit geradezu umgekehrt verhält und der Zeitgeist, frei nach Hegel, im Fussball eine für alle fassliche Gestalt angenommen hat. Wer einmal im Stadion war, hat erfahren, daß Fussball ein besonderes Erlebnis ist.

Was verbindet Fussball und Philosophie? Fussball ist wie das Leben eine verbindende Lebensform und ein massentauglicher Sport. Fussball ist ein kollektiver Sport, welcher als Gemeinschaftserlebnis in der Lage ist, Identität zu stiften. Zudem ist Fussball ein gelebter Sport, welcher sportliche Menschen dazu bringt, dem Leben einen Sinn zu geben und somit ihrem Leben einen Sinn stiftet.

Fussball passt zum Ästhetizismus der Postmoderne, in dem es darum geht, die Statik bürgerlicher Gesellschaften durch kreative Interventionen oder andere Avantgarden zu durchbrechen. Die Vertreter der Moderne jonglieren ja stets mit neuen Techniken. Spielsysteme sind hier Strukturelemente der Postmoderne, in der nur die Avantgarde zum Erfolg führt.

Fussball hat als Variation der Moderne durchaus seinen eigenen Ästhetizismus, welcher auf Innovation auf dem Spielfeld drängt: Die Spanier spielen den modernsten Fußball, die Engländer im Grunde immer noch Rugby und die Deutschen mußten den Libero erfinden. - Es ist im Grunde genau wie bei Peter Pan: Wer im Fussball gewinnen will, muss sich stets neu erfinden.

Literatur:

Philosophie des Fußballs
Philosophie des Fußballs
von Martin Gessmann


Weblink:

Die Philosophie im Fußball gesucht - www.deutschlandfunk.de




Samstag, 9. Juni 2018

Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro


Jede Gesellschaftsform ist es wert, im Spannungsfeld von Egalität und Freiheit Alternativen für eine bessere Welt bereitzustellen. Kein Gesellschaftskonzept sollte ohne Alternative sein, da eine gesellschaftliche Weiterentwicklung immer eine Alternative eines bestehenden Gesellschaftskonzeptes ist. Der Fortschritt bedingt die Alternative und entwickelt sich aus ihr heraus.

Fortschrittliche Denker des Sozialismus betonen im Allgemeinen die Grundwerte Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und in einigen Strömungen auch die Verwirklichung negativer und positiver Freiheit. Sie heben oft die enge Wechselbeziehung zwischen praktischen sozialen Bewegungen und theoretischer Gesellschaftskritik hervor, wobei sie das Ziel verfolgen, mit Blick auf eine sozial gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung beide zu versöhnen.

Robert Havemann und Rudolf Bahro waren die wohl bekanntesten oppositionellen Intellektuellen der DDR. Dogmatismus befreit nicht von der Möglichkeit alternativen Denkens. Sie kritisierten den »real existierenden Sozialismus« und entwarfen alternative Sozialismus-Konzeptionen, aber sie waren keine Gegner der sozialistischen Idee, vielmehr plädierten sie für systemimmanente Veränderungen, mit dem Ziel der Verwirklichung einer freiheitlichen Gesellschaft. Der Blick ihres Denkens ist nicht mehr verstellt durch dogmatische Denkmuster und durch die gescheiterten Modelle und Parteien eines autoritären Staatssozialismus.

Robert Havemann galt als Staatsfeind Nummer eins der DDR. Nach kritischen Äußerungen in einer West-Zeitung über die DDR wurde der Chemie-Professor 1964 aus der SED ausgeschlossen und 1965 mit einem Berufsverbot belegt. 1976 wurde er wegen weiterer im Westen veröffentlichter SED-kritischer Schriften unter Hausarrest gestellt. Havemanns Isolation wurde gelockert, es gab keine Strafverfahren mehr gegen ihn. 1982 starb Havemann im Alter von 72 Jahren.

Rudolf Bahro (1935-1997) war 1978 nach der West-Veröffentlichung seines Buches „Die Alternative. Zur Kritik des realexistierenden Sozialismus“ wegen „Nachrichtenübermittlung“ und „Geheimnisverrats“ zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Im Oktober 1979 wurde Bahro zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR amnestiert und konnte mit seiner Familie in die Bundesrepublik ausreisen.

Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro
Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte
von Robert Havemann und Rudolf Bahro

Institutionalisiert gerät der Marxismus stets in dogmatische Verhärtung und erlahmt als "lebendige politische Kraft". Marxistisch beeinflußte Bewegungen sozialdemokratischer Spielart wird andererseits attestiert, zwar kein Dogma, aber eben auch nur Atem für die jeweils nächsten Ziele zu haben.

Die Kapitalisten hängen aus gutem Grund am moskowitischen Totalbild von Marxismus. Bald gewinnen sie jedoch Geschmack an der verworrenen Wahrheit: daran etwa, daß Marxismus über den zu befreienden Menschen kaum Erkenntnisse vermittelt außer ökonomischen. Daran, daß er dem "praktischen Immoralismus selbsternannter elitärer Vorhuten der Arbeiterklasse Vorschub leistet". Daran besonders, daß jeder unter Marxismus mit Fug was anderes verstehen darf.


Ines Weber analysiert die von Havemann und Bahro entwickelten Sozialismus-Konzeptionen aus politiktheoretischer und ideenhistorischer Perspektive und diskutiert kritisch, inwiefern es den beiden Autoren gelungen ist, Freiheit und Sozialismus zu versöhnen. Sie gibt zugleich einen Überblick zur Biografie und zum Werk der beiden Theoretiker.

Literatur:

Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro
Sozialismus in der DDR: Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro
von Ines Weber

Samstag, 7. April 2018

»Wahre Meisterwerte« von Wolfgang Ullrich

Wahre Meisterwerte


»Wahre Meisterwerte: Stilkritik einer neuen Bekenntniskultur« lautet der Titel des neuen Essays von Wolfgang Ullrich, in dem der Philosoph sich mit der Frage auseinandersetzt, was uns Werte in der Gesellschaft in der heutigen Zeit bedeuten. Die globalisierte Welt ist eine Herausforderung an tradierte Werte und Normen in unserer Gesellschaft. Dies ist eine kritische aktuelle Bestandsaufnahme die plausible Einblicke liefert. Das Werk ist ein Essay über das Unbehagen im Umgang mit Werten.

Werte sind der Ausdruck einer kulturellen Identität und lassen eine Gemeinschaft entstehen. Wer sich zu den gemeinsamen Werten bekennt, ist ein Mitglied dieser Geminschaft. - Wie entstehen Werte und wie leben sie fort? Bestimmen sie unsere Herkunft und unsere Zukunft? Diesen und anderen Fragen geht Wolfgang Ullrich auf den Grund. Alles dreht sich um Werte. Sie werden von Politikern herbeizitiert, gerne bekennt man sich zu ihnen? in der Konsumwelt, in der politischen Aktionskunst, beim Wohnen, beim Essen und im Fitnesskult.

Wolfgang Ullrich nimmt die Karriere der Werte in verschiedenen Bereichen unter die Lupe. Seine These: Sich zu Werten zu bekennen ist so beliebt, weil es dem Selbstbewusstsein schmeichelt. Man darf sich dann moralisch gut und sogar kreativ fühlen.

Ullrich untersucht, wie Werte im Einzelnen in Szene gesetzt werden. Aber er fragt auch, wie sich gesellschaftspolitische Debatten unter diesen Vorzeichen entwickeln. Verkümmert nicht jegliche Streitkultur, wenn jeder individuell damit beschäftigt ist, sich im Namen von Freiheit, Nachhaltigkeit oder Sicherheit zu profilieren? Nicht zuletzt erörtert Ullrich die Rolle politischer Parteien in einer Zeit, in der der Plural an Werten für viele Menschen attraktiver ist als der Singular einer Weltanschauung oder eines Programms


Wolfgang Ullrich hat mit seinem neuesten Buch nicht nur eine persönliche und kritische Bestandsaufnahme zur Allgegenwart der Werte vorgelegt. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen leistet es außerdem einen wichtigen Beitrag zur Frage, in was für einer Gesellschaft wir zukünftig leben wollen. Ullrich entzaubert kapitelweise das vermeintlich massive und unüberwindbare Wertegebäude als ein potemkinsches Konstrukt neuester Zeit, das in öffentlichen Auseinandersetzungen selten in Frage gestellt wird.

Als Leser begleitet man den Autor auf einer äußerst reflektierten Reise durch ein ganzes Werteuniversum, das wir angesichts der Inflation zahlreicher Begriffe kaum noch bewusst wahrnehmen. Ullrich, das wird sehr schnell klar, bereiten die nahezu täglich plakatierten Werte in Politik, Kunst, Kultur, Gesellschaft und Konsumalltag großes Unbehagen, das er sehr oft zunächst als persönliche Wahrnehmung formuliert und anschließend das Für und Wider hinterfragt. Er führt gleichsam einen inneren und spannenden Dialog mit seinen Lesern, die seinen Argumentationen dadurch problemlos folgen können.

Ullrich zeigt anschaulich, dass unser Leben nicht mehr von allgemein gültigen und egalitären Kardinaltugenden, Idealen oder gar dem kategorischen Imperativ geprägt ist, sondern wir in einer heterogenen Gesellschaft leben, die vor allem durch das Bekenntnis zu Werten gekennzeichnet ist. Der Autor fokussiert den Blick nicht nur auf die offensichtlichen und naheliegenden politischen und kulturellen Wertedebatten, er schlägt überall Brücken zwischen verschiedenen Kulturbreichen wie der Wertephilosophie des späten 19. Jahrhunderts und dem expressionistischen Kunstverständnis eines individuellen Ausdruckswillens, er vergleicht den katholischen Ablasshandel mit Charity-Produkten zugunsten von Natur oder fairer Lohnarbeit und erläutert, was vormoderne Allegorienmalerei mit Waren zu tun haben, die dem Verbraucher das Bekenntnis zu einem Siegerdasein vermitteln. Sehr gut nachvollziehbar ist auch Ullrichs These, heutige Wertebekenntnisse und Werkheiligkeit entsprächen den Selbstverständnissen der katholischen Kirche vor 500 Jahren, immaterielles Heil durch materielles Standing erreichen zu können, eine Praxis, die bekanntlich zum Siegeszug und den gewaltigen Umwälzungen des Protestantismus führten.

Viele Leser wird überraschen, wie viel Raum die genaue Beobachtung der Instrumentalisierung von Werten innerhalb unserer warenproduzierenden und warenkonsumierenden Gesellschaft in dem Buch einnimmt. Konsum ist für Ullrich nicht nur ein Spiegel der Wertebekenntnisse. Die Waren selbst werden zu Trägern verschiedener Werte, der Kaufakt wird zu einem wohlfeilen Handlungsäquivalent als Selbstbestätigung des guten Gewissens, das dann über soziale Medien sorgfältig inszeniert und zelebriert wird. Ein großer Teil des Buches befasst sich folgerichtig mit der Aufwertung - im wahrsten Sinne des Wortes - von Konsumprodukten und der zunehmenden Identifikation von Menschen mit Waren. Ullrich belegt seine These mit einer großen Auswahl an konkreten Beispielen und beschreibt, ohne explizit darauf einzugehen, gleichsam eine Variante des Marx'schen Fetischcharakters der Warenform als absolutes, gesellschaftlich konstituierendes Merkmal des Kapitalismus.

Der Autor hätte natürlich auf das Phänomen des Green-washing, die Paradoxien von Fairtrade-Produkten und weiteren, reinen Marketing- und PR-Methoden eingehen können, wäre dann aber im weiten Feld der Kapitalismuskritik gelandet, was Rahmen und Thema des Buches gesprengt hätte.




Er stimmt nicht in den kulturpessimistischen Chor wertkonservativer Konsumkritik ein, um womöglich andere oder vermeintlich bessere Werte zu fordern. Vielmehr analysiert er die Folgen dieser Werteethik für die Gesellschaft und sieht in einem entstehenden Gewissenshedonismus die eigentliche Gefahr, die er als eine neue Form der Klassengesellschaft beschreibt. Solange Wertbekenntnisse, die gemeinhin mit dem guten Leben in Verbindung gebracht werden, vorwiegend über die Identifikation mit einem vermeintlich wertebewussten Konsum oder Besitz von entsprechenden Waren in Verbindung gebracht werden, sieht Ullrich diejenigen ausgeschlossen, die auf Grund ihrer persönlichen Verhältnisse nicht über die zum Wertebekenntnis notwendigen Mittel an Geld, Zeit und Bildung verfügen. Diese gefährliche Aufspaltung der Gesellschaft beschreibt er als Bildung einer "Moralaristokratie" und eines "Moralproletariats", also als Diversifikation in unterschiedliche, voneinander streng getrennte Milieus als Folge des Siegeszugs einer Werteethik. Auch hier zeigt er konkrete Ausformungen und Beispiele von Wertebekenntnissen linker und rechter Gruppierungen.

Mit begrenztem Optimismus sieht der Autor die Lösung der vorherrschenden Werteethik in den Mitteln der Aufklärung und der Reflektion, nicht zuletzt aber in der Hoffnung auf eine intensive, gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der aktuell viel zu hoch gesetzten Bedeutung und den daraus entstehenden Gefahren allgegenwärtiger Wertebekenntnisse.

Dies ist ein engagiertes und streitbares Plädoyer. Was uns lieb und teuer ist wird anhand von verschiedenen Phänomenen unter die Lupe genommen.

Literatur:

»Wahre Meisterwerte«
Wahre Meisterwerte: Stilkritik einer neuen Bekenntniskultur
von Wolfgang Ullrich

Samstag, 15. Juli 2017

Walter Benjamin 125. Geburtstag


Walter Benjamin


Walter Benjamin wurde vor 125 Jahren am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Walter Benjamin war ein bedeutender deutscher Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Walter Benjamin lebte von 1920 bis 1933 als freier Schriftsteller in Berlin.

Nach dem Abitur 1912 studierte er Philosophie, deutsche Literatur und Psychologie in Freiburg im Breisgau, München und Berlin.

1921 erschien eine Übersetzung von Baudelaire-Gedichten, der er seinen selbstbewussten Aufsatz »Die Aufgabe des Übersetzers« vorwegstellt.


Walter Benjamin


Seine 1921 erschienene philosophische Schrift »Zur Kritik der Gewalt« beeinflusste viele bedeutende Denker. Nachdem sein Versuch, eine Zeitschrift mit dem Titel »Angelus Novus«, der auf ein Bild Paul Klees zurückging, herauszugeben, gescheitert war, versuchte er 1923/24, in Frankfurt am Main die philosophische oder germanistische Habilitation zu erlangen.

Er lernte hier Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer kennen. Seine Habilitationsschrift »Ursprung des deutschen Trauerspiels« erwies sich jedoch als zu unorthodox für den akademischen Betrieb und so zog er sein Habilitationsgesuch 1925 zurück.

1926 und 1927 hielt Benjamin sich jeweils einen großen Teil des Jahres in Paris auf, wo er, teilweise gemeinsam mit Franz Hessel, an der Übersetzung der Werke von Marcel Proust arbeitete und als Publizist tätig war.

ein Interesse für den Kommunismus führte Benjamin für mehrere Monate nach Moskau. Zu Beginn der 1930er Jahre verfolgte Benjamin gemeinsam mit Bertolt Brecht publizistische Pläne und arbeitete für den Rundfunk.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwang Benjamin, im März 1933 ins Exil nach Paris zu gehen. Als Mitarbeiter des nach New York emigrierten Instituts für Sozialforschung ermöglichte Max Horkheimer ihm ein bescheidenes Überleben.

Am Tag vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris verließ Benjamin die Stadt und begab sich nach Lourdes. Von hier reiste er zunächst weiter nach Marseille, bevor er im September 1940 vergeblich versuchte, nach Spanien zu flüchten. Im Grenzort Portbou, wo er mit der Auslieferung an die Deutschen bedroht wurde, nahm er sich am 26. September durch Morphium das Leben.

Walter Benjamin starb am 26. September 1940 in den nordspanischen Grenzort Portbou auf der Flucht vermutlich durch Suizid.


Weblinks:

Walter Benjamin-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Walter Benjamin-Zitate - Zitate-Portal - www.die-zitate.de

Internationale Walter Benjamin Gesellschaft - www.walter-benjamin.org


Literatur:

Denkbilder


Denkbilder von Walter Benjamin

Sprache und Geschichte. Philosophische Essays.


Sprache und
Geschichte.
Philosophische Essays.


Kritiken und Rezensionen


Kritiken und
Rezensionen

Sonntag, 25. Juni 2017

Peter Sloterdijk 70. Geburtstag

Peter Sloterdijk

Der Philosoph, Kulturwissenschaftler und Buchautor Peter Sloterdijk wurde vor 70 Jahren am 26. Juni 1947 als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers geboren. Peter Sloterdijk gilt nicht nur als einer der wichtigsten deutschen Intellektuellen, sondern auch als ebenso risikofreudiger wie schwerverständlicher Denker am Puls der Zeit. Der Philosoph wurde 1983 mit seinem Werk »Kritik der zynischen Vernunft« zum philosophischen Shooting-Star.

Der kritisch reflektierende Denker Peter Sloterdijk gehört zu den massgeblichen intellektuellen Instanzen in Deutschland. Sloterdijk ist eine Koryphäe: rhetorisch gewandt, diskurssicher als auch feuilletonbewährt - gute Voraussetzungen für eine nachhaltige Wirkung seiner Lehre und Ansichten.

Sloterdijk ist ein grosser Stilist und Querdenker, der sich immer wieder in aktuelle Debatten einmischt oder sie auch anstösst. Der Philosoph sorgt mit seinen Wortmeldungen regelmässig für Erstaunen und Aufregung. Er ist im akademischen Betrieb genauso zu Hause wie in den Feuilletons. Mit seinen Büchern hat er eine breite Leserschicht erreicht, die weit über die philosophische Fachwelt hinausreichen und ihn populär gemacht haben. Mit seinen Beiträgen und Büchern hat der streitbare Philosoph in Deutschland zahlreiche Debatten ausgelöst und angeregt.

Von 1968 bis 1974 studierte er in München und an der Universität Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik. 1971 erstellte Sloterdijk seine Magisterarbeit mit dem Titel »Strukturalismus als poetische Hermeneutik«.

In den Jahren 1972/73 folgten ein Essay über Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte sowie eine Studie mit dem Titel »Die Ökonomie der Sprachspiele. Zur Kritik der linguistischen Gegenstandskonstitution«. Im Jahre 1976 wurde Peter Sloterdijk von Professor Klaus Briegleb zum Thema »Literatur und Organisation von Lebenserfahrung. Gattungstheorie und Gattungsgeschichte der Autobiographie der Weimarer Republik 1918-1933« promoviert.

Zwischen 1978 und 1980 hielt sich Sloterdijk im Ashram von Bhagwan Shree Rajneesh (später Osho) im indischen Pune auf. Seit den 1980er Jahren arbeitet Sloterdijk als freier Schriftsteller. Das 1983 im Suhrkamp Verlag publizierte Buch »Kritik der zynischen Vernunft« zählt zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts.

Seit 2001 ist Sloterdijk in Nachfolge von Heinrich Klotz Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe sowie dort Professor für Philosophie und Ästhetik.

Mit streitbaren Thesen äußert er sich regelmäßig zum aktuellen Zeitgeschehen. Im Alter weist jedoch Sloterdijks Denken nicht mehr aufklärerische Impulse früherer Tage, sondern Züge eines bewahrenden und strukturellen Konservatismus auf. Sloterdijk geht es nicht mehr um Aufklärung, sondern um Bewahrung. Verschwunden ist auch der kynische Impuls seines reflektierenden Denkens.

Er bestätigt damit unfreiwillig seine eigene These, daß Herrschaftswissen, welches zu lange an der Macht ist, irgendwann zynisch wird. Niemand schreibt bekanntlich so schlecht wie die Verteidiger alternder Ideologien.


Weblink:

Peter Sloterdijk - Der Philosoph und Autor befragt von Frank A. Meyer - 3 Sat Kulturzeit


Literatur:

Kritik der zynischen Vernunft
»Kritik der zynischen Vernunft«
von Peter Sloterdijk


Was geschah im 20. Jahrhundert?: Unterwegs zu einer Kritik der extremistischen Vernunft
von Peter Sloterdijk


Blog-Artikel:


»Was geschah im 20. Jahrhundert? Unterwegs zu einer Kritik der extremistischen Vernunft«


Peter Sloterdijk ist selbst zum Zyniker geworden


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Samstag, 29. Oktober 2016

Kapitalismuskritik und der Grundkonflikt der Moderne

Die Zeiten für Kapitalismuskritik waren nie besser. Ob die Krise Europas oder der Klimawandel, stets wird der Kapitalismus mit seiner Mischung aus Effizienz und Dynamik, einseitiger Gewinnorientierung und Grenzenlosigkeit als Kritikfokus und Kritikadresse ausgemacht.

Kapitalismuskritik ist deshalb die Mutter aller Kritik, weil der Kapitalismus letztlich die Chiffre für den Grundkonflikt der Moderne darstellt: einerseits mit den Gleichheitsversprechen der politischen Aufklärung umzugehen und andererseits mit den Ungleichheitseffekten des Ökonomischen. Der Kapitalismus lebt aber geradezu von den Eigentumsrechten, die in der politischen Aufklärung von Locke bis Hegel mit Gleichheitsversprechen verkoppelt waren. Und dass der moderne Staat stets in die Dynamik der ökonomischen Entfesselung eingegriffen hat, ist ebenso eine Binsenweisheit wie die Tatsache, dass nur jener Reichtum verteilt werden kann, der in einer wettbewerbsorientierten Wirtschaft anfällt.

Dieser Grundkonflikt der Moderne zwischen ökonomischer Dynamik und politischer Regulierung bleibt in den Traditionen ihrer eigenen Perspektiven hängen. Politik erlebt sich als kollektiver Handlungsträger und müht sich um die Einhegung der ökonomischen Ungleichheitsfolgen. Aus ökonomischer Perspektive wird dies als Handlungseinschränkung erlebt, weswegen hier die klassischen liberalen Semantiken der Abwehrrechte gegen staatliche Interventionen so populär sind. Kapitalismuskritik hat dann entsprechend einen Aufforderungscharakter an das politische System, die Entscheidungen individueller Spieler (oder wenigstens ihre Folgen) sozial verträglicher zu gestalten.

Aus der bloßen Kapitalismuskritik ist jedoch keine gesellschaftliche Veränderung entstanden. Bisweilen scheint Kapitalismuskritik eher ein Mechanismus der Selbstberuhigung zu sein, weil sie als politisches Programm so tut, als sei der ökonomischen Dynamik tatsächlich mit den Mitteln der Regulierung beizukommen, die man dabei im Blick hat.

Marx wäre von den heutigen Krisenerscheinungen kaum überrascht gewesen – weder vom Phänomen der Working Poor, von der Zunahme an Depressionen durch Überarbeitung, der Erosion des Zusammenlebens und des Klimas noch von den verheerenden Wirtschaftskrisen.


Das Kapital-Werke:

Das Kapital
Das Kapital
von Karl Marx

Weblink:

Kapitalismuskritik ist Selbstberuhigung - www.zeit.de/kultur

Samstag, 22. Oktober 2016

Comeback der Ideen von Karl Marx in Amerika


Amerika erlebt ein Comeback der Ideen von Karl Marx und des Sozialismus. Karl Marx kommt gerade bei jungen Menschen unter 30 gut an. In den USA feiern die Ideen von Karl Marx vor allem bei jungen Leuten ein Comeback. Karl Marx und das Kapital im 21. Jahrhundert.

"Wir erleben derzeit einen historischen Moment", sagt der Schriftsteller Benjamin Kunkel. "Der Begriff Sozialismus hat sich von einem Tabu zu einer attraktiven Idee gewandelt." Kunkel steht für einen Trend: In den USA feiern die Ideen von Karl Marx vor allem bei jungen Leuten ein Comeback. Unter Studenten liegt "Das Kapital" auf Platz vier der beliebtesten Bücher. Doch woher kommt diese neue Begeisterung?

Die internationale Finanzkrise hat die Ideen von Karl Marx in kapitalistischen Ländern wieder hoffähig gemacht. Das Unbehagen am Kapitalismus wächst. Marx Analyse der ökonomischen Verhältnisse für die Gesellschaft ist keineswegs überholt, sondern lediglich seine Lösungsansätze sind in der Realität gescheitert.

Kapital lesen 2016

Marx hat es in seinem Werk »Das Kapital« kurz und prägnant auf den Begriff gebracht: "Die Bewegung des Kapitals ist also maßlos." Kapitalismus heißt Wirtschaften um des wirtschaftlichen Gewinns willen – selbst wenn individuelle Motive des Wirtschaftens ganz und gar außerökonomischer Natur sein mögen. Ökonomisch möglich ist nur, was sich ökonomisch rechnet. Es ist letztlich die Maßlosigkeit des Kapitalismus, die seine ungeheure Produktivität und Problemlösungskapazität begründet wie auch seine negativen Folgen.

Der Kapitalismus ist die Quelle von Wohlstand und Versorgung in einem historisch beispiellosen Rahmen – übrigens überall auf der Welt. Er ist wirklich eng verkoppelt mit den Freiheitsrechten, die in der schottischen Aufklärung nicht zufällig mit den Eigentumsrechten einhergingen.

Es ist gut möglich, daß die Idee des Sozialismus das vor 25 Jahren gescheiterte Gesellschaftsmodell überleben wird und angesichts der Krise des Kapitalismus und der zunehmenden Ungerechtigkeit der ökonomischen Verteilung als kritische Theorie wieder an Aktualität gewinnen wird. Mehr Informationen unter: http://www.das-kapital-lesen.de.

Das Kapital Werk:

Das Kapital
Das Kapital
von Karl Marx

Mehr Informationen unter:

http://www.das-kapital-lesen.de

Blog-Artikel:


Das Unbehagen am Kapitalismus wächst
- philosophen-welt.blogspot.com

Samstag, 18. Juni 2016

Europäische Bürgersolidariät einfordern

Anegesichts der Finanzkrise steht die Europäische Union vor neuen Herausforderungen.

Die Europäische Union muss eine europäische Bürgersolidariät einfordern und gewährleiten können, wenn sie in der Krise bestehen und die Unterschiede in der EU begrenzen will.


So glaube ich nicht, dass wir als Europäer Begriffe wie Moralität und Sittlichkeit, Person und Individualität, Freiheit und Emanzipation… ernstlich verstehen können, ohne uns die Substanz des heilsgeschichtlichen Denkens jüdisch-christlicher Herkunft anzueignen.


Jürgen Habermas (1929)


Die europäische Bürgersolidariät verlangt weniger ein gleich hohes Wohlstandsniveau als vielmehr für alle gleichermaßen verbindliche Spielregeln.

Auch die Europäische Union müsse, so verlangt es Habermas, gewährleisten, was das Grundgesetz die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nennt.

Sonntag, 22. Mai 2016

»Der Mensch in der Revolte« von Albert Camus

Der Mensch in der Revolte
Der Mensch in
der Revolte

In seinem 1951 erschienenen zweiten philosophischen Hauptwerk »Der Mensch in der Revolte« bewegt sich Camus wiederum im Grenzland zwischen Literatur, Geschichte und Philosophie.

»Der Mensch in der Revolte« von Albert Camus ist eine Essay-Sammlung seiner grundlegenden Ideen und Thesen. Diese Sammlung von Essays gleicht einer Parforcejagd durch die Ideengeschichte der Moderne, durch die aus Geschichtsphilosophien aller Spielarten hervorgegangenen politischen Theorien und Praxen. Albert Camus entdeckt hier untergründige Verwandtschaften zwischen scheinbar gegensätzlichen Ideologien; er spitzt die einzelnen Theorien und politischen Strategien bis zum Selbstwiderspruch zu und widerlegt eingefahrene Interpretationen.

Albert Camus setzt seine Überlegungen über die Absurdität und dem Mord mit seinem Werk »Menschen in der Revolte« fort. Die Revolte ist die Unvernunft und das Unverständnis über das menschliche Leben. Er versucht den Mord aus philosophischen Überlegungen zu Rechtfertigen und diesen zu überprüfen. Zuerst beschreibt er die metaphysische Revolte.

Der Revoltierende ist jemand, der nein sagt zu den bestehenden Verhältnissen. Er kämpft für seine Unversehrtheit. Die metaphysische Revolte ist der Tausch zwischen dem Regime der Gnade und dem der Gerechtigkeit. Camus beschreibt die Negation Gottes an den Beispielen von Marquis de Sade, John Milton, Iwan Karamasow und Nietzsche. Der Revoltierende setzt sich mit Gott gleich. Daraus folgt, dass er eine neue Weltordnung entdecken muss. Als logische Folge beschreibt er nach der metaphysischen Revolte die historische Revolte.


Der Mensch in der Revolte


Zu Beginn war die Revolte eine Loslösung aus der Knechtschaft. Der Sklave wollte die Gleichheit mit seinem Herrn und damit dieselben Rechte haben. Erst die französische Revolution wollte den Bürger als Souverän des Staates haben. Danach war Hegel für die Sozialisten das Maß der Dinge. Seine Dialekt von Herr und Knecht wurde von ihnen bereitwillig aufgenommen. Der individuelle Terrorismus der russischen Nihilisten sorgt in Russland für Chaos und Revolte. Für sie war der Tod der höchste Protest. Camus Zeigt, dass jeder politische Umsturz durch ein neues Gewaltsystem ersetzt wurde. Dieser Terror fand mit dem dritten Reich und den sowjetischen Konzentrationslager seinen Höhepunkt.

Camus beantwortet seine anfängliche Frage damit, dass das Töten mit der Revolte nicht vereinbar ist. Die Freiheit des Revoltierenden endet bei der Freiheit des anderen Menschen. Die Revolte negiert die Revolution, da sie die Gewalt annimmt. Die Revolte macht der vollständigen Freiheit den Prozess. Sein Fazit lautet, dass der Mord keiner Rechtfertigung bedarf.

Jean-Paul Sartre nahm Camus »DerWerk den Mensch in der Revolte« zum Anlass zur Kritik. Er kritisierte die unterschiedliche Auffassung in Bezug auf Hegel und Marx. Camus endet mit der Überlegung, dass man in einer hellenistischen Gesellschaft leben sollte. Für Jean-Paul Sartre hat das menschliche Sein immer mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu tun. Er fordert Engagement in der Situation, dieses bedeutet, sich auf die Zukunft hin zu entwerfen. Das vermisste er bei Camus.

In Camus' umstrittenem Werk, wegen dem sich sein langjähriger Freund Jean-Paul Sartre von ihm abwandte, vertritt er die Überzeugung, dass die gesamte Periode nach der französischen Revolution durch den Nihilismus geprägt wurde und ihn bis heute nicht überwunden hat.

Zur Unterstützung seiner Thesen führt Camus exemplarisch die zwei politischen Hauptströmungen des 20. Jahrhunderts und schließlich deren Scheitern im Nihilismus an. Zum einen den Nationalismus, der durch den "Nerobefehl" in den letzten Zügen des Dritten Reichs, den einzigen Wert, den der Rasse, verleugnete. Zum anderen den Kommunismus, der mit seiner angeblichen Liebe zum zukünftigen sozialistischen Menschen, die schlimmsten Verbrechen rechtfertigte. So unterschieden sich der sowjetische Gulag und die Konzentrationslager der Nazis nur durch theoretische Überlegungen, nicht aber in der Konsequenz.

Albert Camus


Camus entzieht sich den Dogmen der Extreme und versucht, das in unserer Zeit verloren gegangene Maß wiederzufinden. Er relativiert, indem er eines nicht relativiert, und zwar den Wert des Lebens. Er versucht dem Leben wieder einen schöpferischen Wert zu geben, doch nicht durch Religion, sondern durch Rückbesinnung auf die menschliche Schöpferkraft, dem Menschen als Künstler. Aber auch als Politiker, der in der Revolte sein Ausdrucksmaß gegen die Ungerechtigkeit in der Welt findet, aber deshalb nicht zum Misanthrop und Massenmörder wird.

Camus ist dabei zu keiner Zeit naiv, denn er weiß, dass es zu allen Zeiten Leid und Elend auf der Welt geben wird, und dass Iwan Karamasovs Schrei nach dem "Warum?" ewiglich durch die Geschichte der Menschheit hallen wird. Vielmehr versucht er Wege zu zeigen, um dieser Welt, trotz allem Leid und Elend, wieder einen Wert und eine Schönheit zu geben, die sie in unserer Zeit verloren zu haben scheint.

Albert Camus

Er wurde früh sehr stark vom französischen Existenzialismus und von dem Philosophen Jean-Paul Satre geprägt, dessen Bekanntschaft er 1944 machte. Der Existenzialismus entsprach einem Lebensgefühl, das von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, des politischen Widerstands in der Résistance und des Zerfalls traditioneller Wertordnungen und Orientierungen geprägt ist. Es fand seinen gedanklichen Ausdruck in einer besonderen Sensibilität für die Absurdität der menschlichen Existenz, die für diese Generation von Philosophen charakteristisch war.


Der Mensch in der Revolte


In den Nachkriegsjahren war er zusammen mit Jean-Paul Sartre - mit dem ihn kurze Zeit auch ein freundschaftliches Verhältnis verband - einer der Vordenker des Existentialismus. Sein bekanntestes philosophisches Werk aus dieser Zeit ist die Essay-Sammlung »Der Mensch in der Revolte« (1947-1951), die ihm neben viel Beifall auch vielerlei Polemik eintrug, nicht zuletzt die von Sartre, der ihm den Verrat linker Ideale vorwarf.

Sein literarisches Schaffen bewegt sich zwischen Dichtung und Essayistik auf der Grundlage einer Philosophie von der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins und vom Versagen des Gewissens. Den Existenzialismus deutete er in eine Philosophie von der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins.



Die Ausgangsposition von Camus atheistischer Weltanschauung lautet: Es gibt keinen Gott. Die Existenz des Menschen ist sinnlos. Was dem Einzelnen in dieser Situation bleibt, ist die Revolte. Die "permanente Revolte" sah er als Weg zur Überwindung des Absurden an. Der Mensch muss in der Lage sein, die Last der Sinnlosigkeit zu ertragen, Selbstverantwortung übernehmen und nach Glück streben. Nur so wird er Herr seines Schicksals und kann der die Absurdität des Lebens überwinden.

Literatur:

Der Mensch in der Revolte
Der Mensch in der Revolte
von Albert Camus