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Samstag, 13. August 2022

Mittelmeerisches Denken kündet vom Glück der Einfachheit


Albert Camus preist die vitale Natur, den Süden, die anarchische Freiheit des Einzelnen, den Lebensgenuss ohne höheren Sinn. Die Menschen geben sich den einfachen hedonistischen Genüssen hin. Er entwickelt ein "mittelmeerisches Denken", ein "solares" Prinzip, das in der Debatte um Nord- gegen Südeuropa wieder aktuell wird. Sein bestimmendes Prinzip ist das solare Denken.

Albert Camus war ein Mensch des Mittelmeeres - ein im Mittelmeerraum tief verwurzelter Mensch. Sein Werk ist nicht denkbar ohne das Klima und die Salzluft Nordafrikas und es ist umspült von dem Wasser des Mittelmeeres. Viele seiner Werke wurzeln im Mittelmeerraum. Seine Erzählung "Der Fremde", seine Essays "Der Mythos des Sisyphos" und "Der Mensch in der Revolte" sowie sein letzter autobiografischer Roman "Der erste Mensch" kreisen um das Mittelmeer.

Der berühmte Essay "Der Mensch in der Revolte" von Albert Camus endet mit einem Aufruf zum "mittelmeerischen Denken", das er im Gegensatz zur "deutschen Ideologie" begreift. Mittelmeerisches Denken kündet vom Glück der Einfachheit.

Samstag, 4. Juli 2020

Gedanken in einer idyllischen Welt



Stellen Sie sich vor, es herrscht eine Krise im Land und Sie haben die Möglichkeit, sich auf ein idyllisches Schloss auf dem Lande zurückzuziehen und sich dort in einem rund gemauerten Turm ihre Gedanken über Gott und die Welt und über die Menschen zu machen und diese tiefsinnigen Gedanken niederzuschreiben. - Die Bewältigung der Krise durch Rückzug in ein Idyll - Wer könnte diesem verlockenden Gedanken widerstehen?


Es gibt unterschiedliche Wege und Denkhaltungen, einer Krise zu begegnen: Rückzug, innere Einkehr, Reflektion, Kontemplation und Muße.



In dieser idyllischen Umgebung ist es ruhig auf dem Lande, es herrscht andächtige Stille wie in einer idyllischen Landschaft und die Idylle nimmt Sie in ihren kontemplativen Schoß. In einer solchen Landschaft schuf Michel de Montaigne mit seinen »Essais« und der darin meisterlich entwickelten Kunst der Reflexion eine neue Philosophie und ein neues Bild vom Menschen.


Michel Montaigne


»Die Nützlichkeit des Lebens liegt nicht in seiner Länge,
sondern in seiner Anwendung.«


Es ist sogar ein Genuss, nicht andauernd Flugzeuge am Himmel zu sehen und zu hören, und auch daß der Autoverkehr so eingeschränkt existiert. Diese Entschleunigung ist sehr heilsam für uns alle.

Wir können uns darauf konzentrieren, was wirklich für ein gutes Leben notwendig ist. Die allemeisten Dinge und Besitztümer sind es nicht.

Die Menschen haben und nehmen sich in der Krise Zeit zur Muße, anderen als den für sie gewohnten Geschäften nachzugehen - und da ist auch Michel de Montaigne nicht fern, für den die Erfahrung der Stille ein prägendes Erlebnis war, welches ihn zum Nachdenken anregt hat.

Samstag, 25. April 2020

Michel de Montaigne und die Stille

Michel Montaigne




Vor dem wachen Auge des Wanderers liegt eine sanft hügelige Landschaft, die von dunklen Wäldern umgeben ist und auf einem Hügel ragt in der Idylle ein Schloß empor. Das Schloss Montaigne liegt malerisch gelegen auf einer Anhöhe, 30 Kilometer östlich von Bordeaux, in der historischen Landschaft des Périgord. Hierhin zog sich Michel de Montaigne bereits im Alter von 38 Jahren zurück.

In der Abgeschiedenheit seines ländlichen Anwesens beschäftigte er sich vor allem mit der Erforschung seiner selbst. Die zeitgenössische Philosophie, die bisherige Philosophie überhaupt schien ihm nicht in der Lage, die tatsächliche Befindlichkeit menschlicher Existenz wiederzuspiegeln.

Und so schuf Michel de Montaigne mit seinen »Essais« und der darin meisterlich entwickelten Kunst der Reflexion eine neue Philosophie und ein neues Bild vom Menschen.


Nun ist es ruhig im Lande, es herrscht andächtige Stille wie in einer idyllischen Landschaft. In einer solchen Landschaft schuf Michel de Montaigne mit seinen »Essais« und der darin meisterlich entwickelten Kunst der Reflexion eine neue Philosophie und ein neues Bild vom Menschen.

»Die Nützlichkeit des Lebens liegt nicht in seiner Länge, sondern in seiner Anwendung.«


Es gibt unterschiedliche Wege und Denkhaltungen, einer Krise zu begegnen: Rückzug, innere Einkehr, Reflektion, Kontemplation und Muße.


Die Menschen haben und nehmen sich in der Krise Zeit zur Muße, anderen als den für sie gewohnten Geschäften nachzugehen - und da ist auch Michel de Montaigne nicht fern, für den die Erfahrung der Stille ein prägendes Erlebnis war, welches ihn zum Nachdenken anregte.

Auch die Krise schenkt den Menschen ungewohnte Momente der Stille, die Menschen nachdenklich stimmen werden. Der Hauch Ödnis auf den Straßen und Plätzen erinnert daran, wie viel wir Menschen einander verdanken. Der Mensch ist dann er selbst, wenn er sich anderen darstellt, sich vor ihnen inszeniert.

Deshalb sollten die Menschen jetzt, da sie zu Einschränkungen gezwungen sind und Zeit zur Besinnung haben, darüber nachdenken, was in unserer Gesellschaft und speziell in der Wirtschaft schief gelaufen ist, was uns wirklich wichtig, was sinnvoll und wertvoll ist, und daraus Konsequenzen ziehen.

"Erst im Anderen", bemerkt Michel de Montaigne, "begegnen wir uns selbst, ganz gleich, ob wir nun einen Pinsel in die Hand nehmen oder einen Stift."

»Indem ich mich für einen anderen zeichne, stelle ich mich in deutlicheren Farben dar als sie eigentlich sind. Ich habe mein Buch nicht mehr geschrieben als es mich geschrieben hat, ein Buch, das mit seinem Autor identisch ist.«

Wie oft und inständig wünschen Menschen sich gerade die Stille, manch einer geht für ein Schweige-Wochenende zur inneren Einkehr ins Kloster, andere wollen auf eine einsame Insel. Aber kaum ist sie da, die Stille, wird sie uns unheimlich. Oder liegt es doch an dieser speziellen, etwas unwägbaren Situation, dass sie uns merkwürdig erscheint?


Weblinks:

Michel de Montaigne-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Michel de Montaigne-Zitate - Zitate-Portal - www.die-zitate.de/">www.die-zitate.de


Blog-Artikel:

Michel de Montaigne »Essais«

Samstag, 8. Juni 2019

»Ach, Europa« von Jürgen Habermas

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas, entschiedener Streiter für ein offenes Europa, hat im Jahr 2008 einen Band politischer Schriften vorgelegt. Der Philosoph macht sich in diesem Band in Reden und Essays für die Fortführung Europas stark. Sein Ziel ist ein rationales und demokratisches Europa, das das Erbe der Aufklärung zu Ende führt.

Dabei führt Habermas einen Kampf gegen jene Politiker, für die Europa lediglich zu einem technokratischen Gebilde geworden sei. Gegen sie ficht er für mehr demokratische Elemente. In Hinsicht auf unterschiedliche Interessen und gesellschaftliche Entwicklungsstufen innerhalb Europas wünscht er sich eine „abgestufte Integration“.

Die Schwierigkeiten der europäischen Einigung dürfen, nach Habermas, die historische Dimension und Notwendigkeit des Aufklärungsprojektes nicht gefährden. Als Ziel sieht Habermas ein außenpolitisch geeintes Europa, das den USA in „bipolarer Gemeinsamkeit“ als eigenständige Kraft entgegen tritt.

Neben Habermas' jüngsten europapolitischen Interventionen versammelt dieser Band der Kleinen Politischen Schriften philosophische Portraits langjähriger Weggefährten wie Jacques Derrida und Richard Rorty sowie zwei Texte zum Fortschreiten des Strukturwandels der Öffentlichkeit.


Literatur:


Ach, Europa
von Jürgen Habermas


Video:

>a href="https://www.youtube.com/watch?v=bYPLu-u5Hho">Jürgen Habermas über Europa - Vortrag Paris Nov. 2011 - Teil 1 von 2


Samstag, 25. Mai 2019

Europa - eine politische Phantasie der Dichter


Europa ist eine politische Phantasie, hervorgegangen aus dem Mythos der Antike, tief in der Mentalitätsgeschichte des Kontinents veranlagt und hat demgemäß auch eine lange Tradition innerhalb der literarischen und philosophischen Diskurse, die die politischen Debatten flankieren. - Eine kleine Literaturgeschichte der Europa-Essays.

Nur ein Dichter kann den Sinn von Europa erraten. - Seit der Romantik waren es die Dichter, die sich Gedanken über die Wiedergeburt von Europa oder Europas großes Erwachen gemacht haben. Bei Kerzenschein und mit Federkiel wurde eine Geschichte aufgeschrieben, die heute als das erste Europa-Essay gilt. Europas großes Erwachen. Prominente Europa-Essays von 1800 bis heute.


Schon 1799 träumte Novalis in seinem Essay »Die Christenheit oder Europa« die Aussöhnung und Vereinigung der europäischen Nationen herbei oder, wenn man lieber will, voraus. Natürlich hatte er dabei keine zweckpolitische Kooperation vor Augen, er wollte unter der Ägide einer sich neu formierenden katholischen Kirche eine supranationale und transkulturelle Idealzivilisation heraufdämmern sehen.

Nach einer ausgedehnten Periode der säkularen Verwahrlosung und Zertrennung, in der diverse Formen neuzeitlicher Weltaneignung durchgeprobt und auf die Spitze getrieben worden seien, stehe dem Kontinent nun die gloriose Reinkarnation des mittelalterlichen, alt-christlichen Europa, und damit verbunden, ein Wiedererwachen des heiligen Sinns fürs Universelle bevor. Strukturelle Bezugspunkte und zugleich Vorboten für dieses spirituelle Großereignis erkannte Novalis in der kontinuierlich fortschreitenden Vernetzung der Wissenschaften, im grenzüberschreitenden Aktivismus des Jesuitenordens sowie in Fichtes Erkenntnistheorie:

»Wenn eine neue Regung des bisher schlummernden Europa ins Spiel käme, wenn Europa wieder erwachen wollte, wenn ein Staat der Staaten, eine politische Wissenschaftslehre uns bevorstände!«

Novalis

Vielleicht versteht der Dichter ja mehr von den Seelenbünden, den geheimen Wünschen und verborgenen Wirkungsmächten als ein Philosoph. Für den großen Romantiker Novalis war Europa jedenfalls eine glückliche Verheißung. Ähnlich wie in der Verfassungsvertragspräambel verrät sich in Novalis‘ Text die Ahnung, dass die Verheißung eines glücklichen Einklangs von entfesseltem bürgerlichem Expansionismus und sozialem Wertbewusstsein dem Versprechen des Unmöglichen gleichkommt. Novalis beschwört demzufolge die kommende goldene Zeit als einen ›Heiland, der wie ein echter Genius unter den Menschen einheimisch, nur geglaubt nicht gesehen werden‹, jedoch ›unter zahllosen Gestalten den Gläubigen sichtbar, als Brot und Wein verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geatmet, als Wort und Gesang vernommen‹ und schlussendlich ›mit himmlischer Wollust, als Tod, unter den höchsten Schmerzen der Liebe, in das Innere des verbrausenden Leibes‹inhaliert werden kann.

»Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war,
eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Erdteil bewohnte.«


Novalis

Im 20. Jahrhundert war die große Romantik geschwunden, der Wunsch nach einem neuen Europa aber war geblieben. In die Vorstellung von Europa sind viele Geister eingegangen und was diese Geister als Inspiration eingebracht haben, ist ein Teil der europäischen Geistestradition.




Erzähl mir Europa I

Philosophen sind dazu angetan, die Welt rational, perspektivisch und reflexiv zu sehen. - In der Tradition der Europa-Essays dann eine Neubegründung durch Peter Sloterdijk.

Mit besonderem Nachdruck schließt 1994 Peter Sloterdijk an Paul Valérys Fortschrittsappelle an. In dem Essay mit dem anspielungsreichen Titel »Falls Europa erwacht«, verbindet er das Theorem von der genialen Progressivität des europäischen Geistes effektvoll mit Novalis‘ Idee einer Wiedergeburt Europas. Überall dort, so hatte Valéry zum Ende seiner Europareflexionen noch einmal bekräftigt, wo ›der europäische Geist zur Vorherrschaft‹ komme, trete ein ›Ensemble von Maxima‹ in Erscheinung: ein Maximum an Arbeit, Kapital, Macht, an ›Eingriffen in die äußere Natur‹, an ›Beziehung und Austausch‹. Sloterdijk erklärte diese Optimierungsthese zur nach wie vor ›gültige[n] Formel für die europäische Modernisierungsdynamik‹.


Sloterdijk bringt auf der Suche nach einer Antwort das ganze Arsenal europäischer Integrationsarchetypen in Stellung. Angesichts der Aufgabe, Europas politisches Selbstverständnis zu reformieren, imaginiert er Europa als ein weibliches Wesen, das das ihm Andere aus sich hervorzubringen vermöchte: ›Aus gutem Grund‹, so Sloterdijk, ›suchen die besten europäischen Intellektuellen nach subversiven Traditionen und Verfahren, die das Fremde im Eigenen, das Andere im Selben offenlegten. - Ja, wenn Europa doch ein Weib wäre.


Sowohl die Betitelung Europas als ›Weib‹ wie auch die Forderung nach einer Transzendenz genuin europäischer Wesensmerkmale zugunsten ihrer idealen Entfaltung sind Nietzsche entlehnt. Aus dem Kontakt zwischen männlicher Herrschaftslogik und weiblicher Antiautorität, der Kreuzung von ›Reich‹ und ›Nicht-Reich‹ wollte auch Sloterdijk eine neue, potente Menschheit hervorgehen sehen. Die kommenden Generationen sollen wieder Appetite für das Große entwickeln.

Daneben werden in seienr Progression Fichtes Tatphilosophie und Novalis‘ magischer Idealismus in Dienst genommen. Europa soll, um sich als Kosmos selbst quasi neu zur Welt zu bringen, in einem Akt ›rationaler Autosuggestion‹ oder des ›luziden Träumens‹ aus dem Material seiner politischen und ideellen Tradition eine Vision kreieren, an die es selbst zu glauben vermöchte und sie dann umsetzten ›wie ein alte lange inkarnierte Mission‹. In der Rebellion gegen die Misere des homo sapiens, gegen seine Endlichkeit und dem daraus geschöpften genuin europäischen Antrieb, ›Lebensformen zu schaffen, die den Menschen als ein von Grund auf reiches und zur Größe fähiges Wesen würdigen‹, erkennt Sloterdijk das Medium, durch das sich ein entsprechendes Sendungsbewusstsein auf adäquate Weise materialisieren könnte. Denn Europas historisches Recht sei ›seine große Aussage über den Menschen‹, sein Unrecht die ›Ausschließung der meisten aus dem Umfang des eigenen Besten‹. Im Sinne dieses Rechtsverständnisses erteilt er Europa das Mandat, die Welt mit Demokratie, Menschenrechten, Wissenschaft sowie mit der destillierten Güte des Lebens zu versorgen.

Ob nun Dichter, Denker oder Philosoph, ob dabei einer mythischen Geschichte folgend, mythologisch verklärt, ob als Schaumgeburt oder als Kopfgeburt oder einem aufklärerischen Impuls folgend, ob Narrativ oder Essay - Europa muß im 21. Jahrhundert neu gedacht werden - muß sich (in einem spirituellen Akt) quasi neu zur Welt bringen! - Nehmen wir dazu ein bischen von Novalis‘ magischen Idealismus, von Paul Valérys Fortschrittsappellen und von Sloterdijks genialer Progressivität und träumen wir von einem neuen Europa!

Weblinks:

Die Neue Europa - www.globkult.de/politik/europa

Novalis-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Paul Valéry-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Samstag, 18. Mai 2019

»Falls Europa erwacht« von Peter Sloterdijk

Peter Sloterdijk

In der Tradition der Europa-Essays eine Neubegründung durch Peter Sloterdijk. »Falls Europa erwacht« ist ein 2002 veröffentlichter Essay von Peter Sloterdijk - eine 60-seitige Niederschrift einer umfassenden Betrachtung europäisch-politischem Bewusstseins, welches heute der unmodernen Tugend des Mutes und vor allem der visionären Phantasie eine neue Herausforderung abverlangt.

Auf dem Fundament seines weitreichenden Kulturwissens zeigt Peter Sloterdijk überzeugend historische Steuerungsprozesse, die bis heute europäisches Staats- und Machtverständnis prägen und offensichtlich als imperiales Gen die Europapolitik bestimmen und formen. Ohne eine durchgreifende Mutation an dieser Erbmasse, sieht der Autor keine Zukunft für eine moderne Kultur.

"Europa, einstmals „Reich der Mitte", ist seit 1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, aus seiner überlieferten Stellung in der Mitte der Welt herausgefallen. (Seite 7)."

Es geht Sloterdijk in seinem Essay um Europa und seinem Bewußtsein, denn dieses Bewußtsein von Europa wartet immer noch auf sein Erwachen. Sollte die politische Einbildungskraft der Europäer noch einmal offensiv anspringen, dann nur, wenn sie von dem Elan ergriffen würden, eine ganz neuartige, verfremdete Fortsetzung ihrer Geschichte zu erfinden‹.

Dieses Europa wurde 1945 durch die Alliierten von der nationalsozialistischen Diktatur befreit – zugleich aber von neuen Weltmächten im Westen und im Osten in die Zange genommen: Diese Doppelerfahrung der Befreiung und der endgültigen Aufgabe der einstigen Vormachtstellung Europas zieht sich über zwei Generationen hinweg. Erst nach der Lösung der Supermächteklammer sind die Europäer imstande, die Fragen nach den prägenden Merkmalen okzidentaler Identität mit neuer Verbindlichkeit zu stellen.

In dem Essay mit dem anspielungsreichen Titel »Falls Europa erwacht«, verbindet er das Theorem von der genialen Progressivität des europäischen Geistes effektvoll mit Novalis‘ Idee einer Wiedergeburt Europas. Überall dort, so hatte Valéry zum Ende seiner Europareflexionen noch einmal bekräftigt, wo ›der europäische Geist zur Vorherrschaft‹ komme, trete ein ›Ensemble von Maxima‹ in Erscheinung: ein Maximum an Arbeit, Kapital, Macht, an ›Eingriffen in die äußere Natur‹, an ›Beziehung und Austausch‹. Sloterdijk erklärte diese Optimierungsthese zur nach wie vor ›gültige[n] Formel für die europäische Modernisierungsdynamik‹.

Wie aber wäre Europas großes Erwachen unter den pazifistischen und postimperialen Bedingungen des späten 20. Jahrhunderts ins Werk zu setzen? Auch Sloterdijk bringt auf der Suche nach einer Antwort das ganze Arsenal europäischer Integrationsarchetypen in Stellung. Angesichts der Aufgabe, Europas politisches Selbstverständnis zu reformieren, imaginiert er Europa als ein weibliches Wesen, das das ihm Andere aus sich hervorzubringen vermöchte: ›Aus gutem Grund‹, so Sloterdijk, ›suchen die besten europäischen Intellektuellen nach subversiven Traditionen und Verfahren, die das Fremde im Eigenen, das Andere im Selben offenlegten. Ja, wenn Europa ein Weib wäre…




Es ist, so argumentiert Peter Sloterdijk, täglich bedrängender eine Situation entstanden, in der Europas Politiker aus ihrer Verwirrung nicht mehr herausfinden, wenn sie nicht geschichtsphilosophische Informationen und klare prophetische Orientierungen suchen.

Wie kann Europas Stellung heute beurteilt werden? Haben Europäer wieder gelernt, »Großes von sich zu fordern«, um einen Wiedereintritt in einen Horizont großer und größter Herausforderungen zu gewährleisten?




Europa muß neu gedacht werden! - Sloterdijk erweist - anknüpfend an die Tradition europäischer Essays - sich darin als Vordenker einer neuen Vision von Europa. Besonders faszinierend ist sein Postulat nach einer ganz eigenen und fundamental neuen Vision, die jede traditionelle Rechtfertigung politischer Macht in transzendentem göttlichen Auftrag oder irdischem Elite-Bewusstsein ablegt und ganz neue Motive und Strukturen europäischen Bewusstseins beinhaltet, die sich - ohne jede Erfahrungswerte - gegen Konservativismen und vor allem gegen "historisch erworbene Skepsis"  erst noch durchsetzen müssen.

Weblinks:

Peter Sloterdijk - Falls Europa erwacht - petersloterdijk.net


Rezensionen:

Rezension zu: P. Sloterdijk: Falls Europa erwacht - H-Soz-Kult - www.hsozkult.de

Peter Sloterdijk: Falls Europa erwacht - Begleitschreiben - www.begleitschreiben.net

Literatur:


Falls Europa erwacht: Gedanken zum Programm einer Weltmacht am Ende des Zeitalters ihrer politischen Absence
von Peter Sloterdijk

Samstag, 10. November 2018

»Der Werk den Mensch in der Revolte« - Camus Kritik der Geschichte

»Der Werk den Mensch in der Revolte« ist Camus Kritik der Geschichte, denn die anspruchsvolle Essay-Sammlung ist eine Absage an die Auffassung, dass Geschichte ein sinnvoller Ablauf sei. Camus‬ versuchte nachzuweisen, dass die politischen Ideen von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis heute Konstruktionen und Utopien waren, da sie das Absolute wollen, und deshalb notwendig ins Absurde, in Terror und legitimierten Mord einmünden mussten.

Der Mensch in der Revolte

Zur Unterstützung seiner Thesen führt Camus exemplarisch die zwei politischen Hauptströmungen des 20. Jahrhunderts und schließlich deren Scheitern im Nihilismus an. Zum einen den Nationalismus, der durch den "Nerobefehl" in den letzten Zügen des Dritten Reichs, den einzigen Wert, den der Rasse, verleugnete. Zum anderen den Kommunismus, der mit seiner angeblichen Liebe zum zukünftigen sozialistischen Menschen, die schlimmsten Verbrechen rechtfertigte. So unterschieden sich der sowjetische Gulag und die Konzentrationslager der Nazis nur durch theoretische Überlegungen, nicht aber in der Konsequenz.

Jean-Paul Sartre nahm Camus »Der Werk den Mensch in der Revolte« zum Anlass zur Kritik. Er kritisiertedie unterschiedliche Auffassung in Bezug auf Hegel und Marx. Camus endete mit der Überlegung, dass man in einer hellenistischen Gesellschaft leben sollte. Für Jean-Paul Sartre hat das menschliche Sein immer mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu tun. Er fordert Engagement in der Situation, dieses bedeutet, sich auf die Zukunft hin zu entwerfen. Das vermisste er bei Camus.

In Camus' umstrittenem Werk, wegen dem sich sein langjähriger Freund Jean-Paul Sartre von ihm abwandte, vertritt er die Überzeugung, dass die gesamte Periode nach der französischen Revolution durch den Nihilismus geprägt wurde und ihn bis heute nicht überwunden hat.


Literatur:

Der Mensch in der Revolte
Der Mensch in der Revolte von Albert Camus

AlbertCamus‬

Samstag, 7. April 2018

»Wahre Meisterwerte« von Wolfgang Ullrich

Wahre Meisterwerte


»Wahre Meisterwerte: Stilkritik einer neuen Bekenntniskultur« lautet der Titel des neuen Essays von Wolfgang Ullrich, in dem der Philosoph sich mit der Frage auseinandersetzt, was uns Werte in der Gesellschaft in der heutigen Zeit bedeuten. Die globalisierte Welt ist eine Herausforderung an tradierte Werte und Normen in unserer Gesellschaft. Dies ist eine kritische aktuelle Bestandsaufnahme die plausible Einblicke liefert. Das Werk ist ein Essay über das Unbehagen im Umgang mit Werten.

Werte sind der Ausdruck einer kulturellen Identität und lassen eine Gemeinschaft entstehen. Wer sich zu den gemeinsamen Werten bekennt, ist ein Mitglied dieser Geminschaft. - Wie entstehen Werte und wie leben sie fort? Bestimmen sie unsere Herkunft und unsere Zukunft? Diesen und anderen Fragen geht Wolfgang Ullrich auf den Grund. Alles dreht sich um Werte. Sie werden von Politikern herbeizitiert, gerne bekennt man sich zu ihnen? in der Konsumwelt, in der politischen Aktionskunst, beim Wohnen, beim Essen und im Fitnesskult.

Wolfgang Ullrich nimmt die Karriere der Werte in verschiedenen Bereichen unter die Lupe. Seine These: Sich zu Werten zu bekennen ist so beliebt, weil es dem Selbstbewusstsein schmeichelt. Man darf sich dann moralisch gut und sogar kreativ fühlen.

Ullrich untersucht, wie Werte im Einzelnen in Szene gesetzt werden. Aber er fragt auch, wie sich gesellschaftspolitische Debatten unter diesen Vorzeichen entwickeln. Verkümmert nicht jegliche Streitkultur, wenn jeder individuell damit beschäftigt ist, sich im Namen von Freiheit, Nachhaltigkeit oder Sicherheit zu profilieren? Nicht zuletzt erörtert Ullrich die Rolle politischer Parteien in einer Zeit, in der der Plural an Werten für viele Menschen attraktiver ist als der Singular einer Weltanschauung oder eines Programms


Wolfgang Ullrich hat mit seinem neuesten Buch nicht nur eine persönliche und kritische Bestandsaufnahme zur Allgegenwart der Werte vorgelegt. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen leistet es außerdem einen wichtigen Beitrag zur Frage, in was für einer Gesellschaft wir zukünftig leben wollen. Ullrich entzaubert kapitelweise das vermeintlich massive und unüberwindbare Wertegebäude als ein potemkinsches Konstrukt neuester Zeit, das in öffentlichen Auseinandersetzungen selten in Frage gestellt wird.

Als Leser begleitet man den Autor auf einer äußerst reflektierten Reise durch ein ganzes Werteuniversum, das wir angesichts der Inflation zahlreicher Begriffe kaum noch bewusst wahrnehmen. Ullrich, das wird sehr schnell klar, bereiten die nahezu täglich plakatierten Werte in Politik, Kunst, Kultur, Gesellschaft und Konsumalltag großes Unbehagen, das er sehr oft zunächst als persönliche Wahrnehmung formuliert und anschließend das Für und Wider hinterfragt. Er führt gleichsam einen inneren und spannenden Dialog mit seinen Lesern, die seinen Argumentationen dadurch problemlos folgen können.

Ullrich zeigt anschaulich, dass unser Leben nicht mehr von allgemein gültigen und egalitären Kardinaltugenden, Idealen oder gar dem kategorischen Imperativ geprägt ist, sondern wir in einer heterogenen Gesellschaft leben, die vor allem durch das Bekenntnis zu Werten gekennzeichnet ist. Der Autor fokussiert den Blick nicht nur auf die offensichtlichen und naheliegenden politischen und kulturellen Wertedebatten, er schlägt überall Brücken zwischen verschiedenen Kulturbreichen wie der Wertephilosophie des späten 19. Jahrhunderts und dem expressionistischen Kunstverständnis eines individuellen Ausdruckswillens, er vergleicht den katholischen Ablasshandel mit Charity-Produkten zugunsten von Natur oder fairer Lohnarbeit und erläutert, was vormoderne Allegorienmalerei mit Waren zu tun haben, die dem Verbraucher das Bekenntnis zu einem Siegerdasein vermitteln. Sehr gut nachvollziehbar ist auch Ullrichs These, heutige Wertebekenntnisse und Werkheiligkeit entsprächen den Selbstverständnissen der katholischen Kirche vor 500 Jahren, immaterielles Heil durch materielles Standing erreichen zu können, eine Praxis, die bekanntlich zum Siegeszug und den gewaltigen Umwälzungen des Protestantismus führten.

Viele Leser wird überraschen, wie viel Raum die genaue Beobachtung der Instrumentalisierung von Werten innerhalb unserer warenproduzierenden und warenkonsumierenden Gesellschaft in dem Buch einnimmt. Konsum ist für Ullrich nicht nur ein Spiegel der Wertebekenntnisse. Die Waren selbst werden zu Trägern verschiedener Werte, der Kaufakt wird zu einem wohlfeilen Handlungsäquivalent als Selbstbestätigung des guten Gewissens, das dann über soziale Medien sorgfältig inszeniert und zelebriert wird. Ein großer Teil des Buches befasst sich folgerichtig mit der Aufwertung - im wahrsten Sinne des Wortes - von Konsumprodukten und der zunehmenden Identifikation von Menschen mit Waren. Ullrich belegt seine These mit einer großen Auswahl an konkreten Beispielen und beschreibt, ohne explizit darauf einzugehen, gleichsam eine Variante des Marx'schen Fetischcharakters der Warenform als absolutes, gesellschaftlich konstituierendes Merkmal des Kapitalismus.

Der Autor hätte natürlich auf das Phänomen des Green-washing, die Paradoxien von Fairtrade-Produkten und weiteren, reinen Marketing- und PR-Methoden eingehen können, wäre dann aber im weiten Feld der Kapitalismuskritik gelandet, was Rahmen und Thema des Buches gesprengt hätte.




Er stimmt nicht in den kulturpessimistischen Chor wertkonservativer Konsumkritik ein, um womöglich andere oder vermeintlich bessere Werte zu fordern. Vielmehr analysiert er die Folgen dieser Werteethik für die Gesellschaft und sieht in einem entstehenden Gewissenshedonismus die eigentliche Gefahr, die er als eine neue Form der Klassengesellschaft beschreibt. Solange Wertbekenntnisse, die gemeinhin mit dem guten Leben in Verbindung gebracht werden, vorwiegend über die Identifikation mit einem vermeintlich wertebewussten Konsum oder Besitz von entsprechenden Waren in Verbindung gebracht werden, sieht Ullrich diejenigen ausgeschlossen, die auf Grund ihrer persönlichen Verhältnisse nicht über die zum Wertebekenntnis notwendigen Mittel an Geld, Zeit und Bildung verfügen. Diese gefährliche Aufspaltung der Gesellschaft beschreibt er als Bildung einer "Moralaristokratie" und eines "Moralproletariats", also als Diversifikation in unterschiedliche, voneinander streng getrennte Milieus als Folge des Siegeszugs einer Werteethik. Auch hier zeigt er konkrete Ausformungen und Beispiele von Wertebekenntnissen linker und rechter Gruppierungen.

Mit begrenztem Optimismus sieht der Autor die Lösung der vorherrschenden Werteethik in den Mitteln der Aufklärung und der Reflektion, nicht zuletzt aber in der Hoffnung auf eine intensive, gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der aktuell viel zu hoch gesetzten Bedeutung und den daraus entstehenden Gefahren allgegenwärtiger Wertebekenntnisse.

Dies ist ein engagiertes und streitbares Plädoyer. Was uns lieb und teuer ist wird anhand von verschiedenen Phänomenen unter die Lupe genommen.

Literatur:

»Wahre Meisterwerte«
Wahre Meisterwerte: Stilkritik einer neuen Bekenntniskultur
von Wolfgang Ullrich

Mittwoch, 13. September 2017

Michel de Montaigne 425. Todestag

Michel de Montaigne

Vor 425 Jahren starb am 13. September 1592 der Philosoph und Humanist Michel de Montaigne.

Michel de Montaigne (1533-1592) war zuallererst ein Skeptiker, auch Humanist sowie Politiker mit Zugang zu den einflussreichen Persönlichkeiten der französischen Monarchie am Ende der Renaissance und zu Beginn der Reformation und der beginnenden Gegenreformation.

Montaignes literarische Schaffensphase – von 1570 bis 1592 – fiel in die Zeit der französischen Religionskriege (acht Phasen von Bürgerkriegen zwischen 1562 und 1598). Die Unruhen waren Folge eines schwachen Königtums und religiöser Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Hugenotten, die intensive Gewalterfahrung für Generationen zum Alltag machten, was Montaignes grundlegenden Skeptizismus verstärkt haben mag.



Michel Montaigne

Montaignes literarische Schaffensphase – von 1570 bis 1592 – fiel in die Zeit der französischen Religionskriege (acht Phasen von Bürgerkriegen zwischen 1562 und 1598). Die Unruhen waren Folge eines schwachen Königtums und religiöser Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Hugenotten, die intensive Gewalterfahrung für Generationen zum Alltag machten, was Montaignes grundlegenden Skeptizismus verstärkt haben mag.

Mit seinen "Essais" hat Michel de Montaigne eine gleichnamige literarische Gattung geschaffen. Darin sinniert er nicht nur über Freundschaft und Einsamkeit, sondern gibt auch Details seines Liebeslebens und seiner Verdauung bekannt.

Michel de Montaigne

Bunt gemischt und in leicht verständlicher Sprache steht Allgemeines neben Privatem, Literatur neben Philosophie, Kurioses neben Alltäglichem. Montaignes fragende Haltung, seine Klugheit und Weitsicht, haben diese vor über 400 Jahren verfassten "Versuche" bis heute lebendig gehalten.

Montaigne macht sich tiefsinnige Gedanken über die verschiedensten Aspekte des Lebens, seines Lebens genauer gesagt, denn der Hauptgegenstand seiner Essais ist er selbst. Seine Selbsterkenntnis, das was ihm durch seine Gedankenwelt schweift, brachte er zu Papier, unterstützt durch viele Zitate von Dichtern des Altertums.

Essais
Essais

In der Abgeschiedenheit seines ländlichen Anwesens beschäftigte er sich vor allem mit der Erforschung seiner selbst. Die zeitgenössische Philosophie, die bisherige Philosophie überhaupt schien ihm nicht in der Lage, die tatsächliche Befindlichkeit menschlicher Existenz widerzuspiegeln. Und so schuf Michel de Montaigne mit seinen Essays und der darin meisterlich entwickelten Kunst der Reflexion eine neue Philosophie und ein neues Bild vom Menschen.

In sich ruhend und selbstbewusst, frei vom Furor der Auflehnung, streifte er die überkommenen Ideen des späten Mittelalters ab; die Lehrmeinungen des orthodoxen Christentums zählten ihm nichts –
er vertraute auf die Erkenntnisfähigkeit seiner Sinne und die Kraft der Erfahrung. Montaignes Schriften markieren den geistigen Aufbruch der Renaissance und des Humanismus.


Die mit über tausend Bänden glänzend bestückte Bibliothek war sein "Schoß der gelehrten Musen", wie die Inschrift eines Deckenbalkens lautete. Er begann mit der Niederschrift einer philosophischen Abhandlung. Einer äußerst Ungewöhnlichen:

"Dieses Buch, Leser, gibt redlich Rechenschaft. Sei gleich am Anfang gewarnt, dass ich mir damit kein anderes Ziel als ein rein häusliches und privates gesetzt habe."

Michel Montaigne

Das Ergebnis war ein bahnbrechendes Werk über das Wesen des Menschen, noch dazu in einem klangvollen Französisch und nicht wie üblich auf Latein. Montaigne erfand eine eigene Gattung, die er Essai nannte, also "Probe", "Versuch" oder "Übung".

Am 28. Februar 1571 gab der Jurist Michel de Montaigne, ein würdiger, kahlköpfiger Herr mit Bart und Halskrause, überraschend alle politischen Ämter auf und zog sich in das Turmzimmer seines Schlosses bei Bordeaux zurück. Es war sein 38. Geburtstag.

Der Philosoph der Muße und Geduld Michel de Montaigne wurde am 28. Februar 1533 geboren.


DLF-Weblinks:

Erfinder der Selbstbeobachtung - www.deutschlandfunkkultur.de

Befriedigend und befreiend - www.deutschlandfunkundkultur.de


Literatur:

Essais
Essais
von Michel de Montaigne

Montaigne
Montaigne
von Stefan Zweig

Sonntag, 22. Mai 2016

»Der Mensch in der Revolte« von Albert Camus

Der Mensch in der Revolte
Der Mensch in
der Revolte

In seinem 1951 erschienenen zweiten philosophischen Hauptwerk »Der Mensch in der Revolte« bewegt sich Camus wiederum im Grenzland zwischen Literatur, Geschichte und Philosophie.

»Der Mensch in der Revolte« von Albert Camus ist eine Essay-Sammlung seiner grundlegenden Ideen und Thesen. Diese Sammlung von Essays gleicht einer Parforcejagd durch die Ideengeschichte der Moderne, durch die aus Geschichtsphilosophien aller Spielarten hervorgegangenen politischen Theorien und Praxen. Albert Camus entdeckt hier untergründige Verwandtschaften zwischen scheinbar gegensätzlichen Ideologien; er spitzt die einzelnen Theorien und politischen Strategien bis zum Selbstwiderspruch zu und widerlegt eingefahrene Interpretationen.

Albert Camus setzt seine Überlegungen über die Absurdität und dem Mord mit seinem Werk »Menschen in der Revolte« fort. Die Revolte ist die Unvernunft und das Unverständnis über das menschliche Leben. Er versucht den Mord aus philosophischen Überlegungen zu Rechtfertigen und diesen zu überprüfen. Zuerst beschreibt er die metaphysische Revolte.

Der Revoltierende ist jemand, der nein sagt zu den bestehenden Verhältnissen. Er kämpft für seine Unversehrtheit. Die metaphysische Revolte ist der Tausch zwischen dem Regime der Gnade und dem der Gerechtigkeit. Camus beschreibt die Negation Gottes an den Beispielen von Marquis de Sade, John Milton, Iwan Karamasow und Nietzsche. Der Revoltierende setzt sich mit Gott gleich. Daraus folgt, dass er eine neue Weltordnung entdecken muss. Als logische Folge beschreibt er nach der metaphysischen Revolte die historische Revolte.


Der Mensch in der Revolte


Zu Beginn war die Revolte eine Loslösung aus der Knechtschaft. Der Sklave wollte die Gleichheit mit seinem Herrn und damit dieselben Rechte haben. Erst die französische Revolution wollte den Bürger als Souverän des Staates haben. Danach war Hegel für die Sozialisten das Maß der Dinge. Seine Dialekt von Herr und Knecht wurde von ihnen bereitwillig aufgenommen. Der individuelle Terrorismus der russischen Nihilisten sorgt in Russland für Chaos und Revolte. Für sie war der Tod der höchste Protest. Camus Zeigt, dass jeder politische Umsturz durch ein neues Gewaltsystem ersetzt wurde. Dieser Terror fand mit dem dritten Reich und den sowjetischen Konzentrationslager seinen Höhepunkt.

Camus beantwortet seine anfängliche Frage damit, dass das Töten mit der Revolte nicht vereinbar ist. Die Freiheit des Revoltierenden endet bei der Freiheit des anderen Menschen. Die Revolte negiert die Revolution, da sie die Gewalt annimmt. Die Revolte macht der vollständigen Freiheit den Prozess. Sein Fazit lautet, dass der Mord keiner Rechtfertigung bedarf.

Jean-Paul Sartre nahm Camus »DerWerk den Mensch in der Revolte« zum Anlass zur Kritik. Er kritisierte die unterschiedliche Auffassung in Bezug auf Hegel und Marx. Camus endet mit der Überlegung, dass man in einer hellenistischen Gesellschaft leben sollte. Für Jean-Paul Sartre hat das menschliche Sein immer mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu tun. Er fordert Engagement in der Situation, dieses bedeutet, sich auf die Zukunft hin zu entwerfen. Das vermisste er bei Camus.

In Camus' umstrittenem Werk, wegen dem sich sein langjähriger Freund Jean-Paul Sartre von ihm abwandte, vertritt er die Überzeugung, dass die gesamte Periode nach der französischen Revolution durch den Nihilismus geprägt wurde und ihn bis heute nicht überwunden hat.

Zur Unterstützung seiner Thesen führt Camus exemplarisch die zwei politischen Hauptströmungen des 20. Jahrhunderts und schließlich deren Scheitern im Nihilismus an. Zum einen den Nationalismus, der durch den "Nerobefehl" in den letzten Zügen des Dritten Reichs, den einzigen Wert, den der Rasse, verleugnete. Zum anderen den Kommunismus, der mit seiner angeblichen Liebe zum zukünftigen sozialistischen Menschen, die schlimmsten Verbrechen rechtfertigte. So unterschieden sich der sowjetische Gulag und die Konzentrationslager der Nazis nur durch theoretische Überlegungen, nicht aber in der Konsequenz.

Albert Camus


Camus entzieht sich den Dogmen der Extreme und versucht, das in unserer Zeit verloren gegangene Maß wiederzufinden. Er relativiert, indem er eines nicht relativiert, und zwar den Wert des Lebens. Er versucht dem Leben wieder einen schöpferischen Wert zu geben, doch nicht durch Religion, sondern durch Rückbesinnung auf die menschliche Schöpferkraft, dem Menschen als Künstler. Aber auch als Politiker, der in der Revolte sein Ausdrucksmaß gegen die Ungerechtigkeit in der Welt findet, aber deshalb nicht zum Misanthrop und Massenmörder wird.

Camus ist dabei zu keiner Zeit naiv, denn er weiß, dass es zu allen Zeiten Leid und Elend auf der Welt geben wird, und dass Iwan Karamasovs Schrei nach dem "Warum?" ewiglich durch die Geschichte der Menschheit hallen wird. Vielmehr versucht er Wege zu zeigen, um dieser Welt, trotz allem Leid und Elend, wieder einen Wert und eine Schönheit zu geben, die sie in unserer Zeit verloren zu haben scheint.

Albert Camus

Er wurde früh sehr stark vom französischen Existenzialismus und von dem Philosophen Jean-Paul Satre geprägt, dessen Bekanntschaft er 1944 machte. Der Existenzialismus entsprach einem Lebensgefühl, das von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, des politischen Widerstands in der Résistance und des Zerfalls traditioneller Wertordnungen und Orientierungen geprägt ist. Es fand seinen gedanklichen Ausdruck in einer besonderen Sensibilität für die Absurdität der menschlichen Existenz, die für diese Generation von Philosophen charakteristisch war.


Der Mensch in der Revolte


In den Nachkriegsjahren war er zusammen mit Jean-Paul Sartre - mit dem ihn kurze Zeit auch ein freundschaftliches Verhältnis verband - einer der Vordenker des Existentialismus. Sein bekanntestes philosophisches Werk aus dieser Zeit ist die Essay-Sammlung »Der Mensch in der Revolte« (1947-1951), die ihm neben viel Beifall auch vielerlei Polemik eintrug, nicht zuletzt die von Sartre, der ihm den Verrat linker Ideale vorwarf.

Sein literarisches Schaffen bewegt sich zwischen Dichtung und Essayistik auf der Grundlage einer Philosophie von der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins und vom Versagen des Gewissens. Den Existenzialismus deutete er in eine Philosophie von der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins.



Die Ausgangsposition von Camus atheistischer Weltanschauung lautet: Es gibt keinen Gott. Die Existenz des Menschen ist sinnlos. Was dem Einzelnen in dieser Situation bleibt, ist die Revolte. Die "permanente Revolte" sah er als Weg zur Überwindung des Absurden an. Der Mensch muss in der Lage sein, die Last der Sinnlosigkeit zu ertragen, Selbstverantwortung übernehmen und nach Glück streben. Nur so wird er Herr seines Schicksals und kann der die Absurdität des Lebens überwinden.

Literatur:

Der Mensch in der Revolte
Der Mensch in der Revolte
von Albert Camus