Samstag, 22. Juni 2019

Michel Serres - einer der originellsten Denker unserer Zeit


Der französische Philosoph Michel Serres galt als ein ganz großer Denker. Er war ein gelernter Seemann, ein wandernder Linkshänder, ein Informationstheoretiker, vor allem aber: einer der originellsten Denker unserer Zeit. Immer in Bewegung, bedeutete Philosophie für ihn vor allem die Kunst, sich im eigenen Leben zu orientieren.

Serres war ein französischer Mathematiker und ein visionärer Philosoph: Die Grenzen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften aufheben, um die Menschheit vor dem globalen Inferno zu bewahren.

Für Michel Serres geht der entscheidende Impuls des Denkens von der Ahnung aus, dass immer mehr als ein Weg, mehr als eine Beschreibung, mehr als eine Methode zum eigentlichen Ziel des Philosophierens führen kann. Dieses lautet: Zu wissen, wo man als Mensch steht und also auch, was von einem gegebenen Punkt der kulturellen Entwicklung aus möglich ist.

Serres’ Denken umspannt Systemtheorie und Semiotik ebenso wie Wissenschaftsgeschichte und Ökologie. Kein Wunder, dass er sein Hauptwerk nach Hermes benannt hat, dem Gott des Verstehens, der Reisenden und auch Wegelagerer. Von diesem begnadeten Fährtenleser lassen sich neue Wege ins Freie zeigen.

Denken heißt für Serres, sich auf die Wissenschaften und die Beobachtung zu stützen, doch es heißt auch, dass man es schafft, sich von ihnen zu lösen, einen Schritt beiseitezutreten.

Kennzeichen dieses Abstandnehmens ist die Distanz, die das Denken von der Erkenntnis trennt. Man muss immer von neuen Erkenntnissen ausgehen, doch aus dem Abstand, den man zu jenen Erkenntnissen einzunehmen vermag, geht das Denken hervor. Genau das ist Philosophie.

Dienstag, 18. Juni 2019

Jürgen Habermas 90. Geburtstag

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas wurde vor 90 Jahren am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geboren. Jürgen Habermas ist ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er zählt zur zweiten Generation der Frankfurter Schule und war zuletzt Professor für Philosophie an der Universität Frankfurt am Main. Habermas ist einer der weltweit meistrezipierten Philosophen und Soziologen der Gegenwart.

Habermas, theoriebewährt, systembildend und diskursgestählt, gilt als Vertreter der »Kritischen Theorie«, eine von Hegel, Marx und Freud inspirierte Gesellschaftstheorie, deren Vertreter auch unter dem Begriff »Frankfurter Schule« zusammengefasst werden. Er war ein Schüler von Horkheimer und Adorno, dessen Wirken ausschließlich in die Nachkriegsperiode fällt. Er verknüpft so unterschiedliche philosophische Positionen wie den Marxismus und den amerikanischen Pragmatismus zu einem Theoriegebäude, das weltweit diskutiert wird.

Von 1949 bis 1954 studierte er in Göttingen, Zürich und Bonn die Fächer Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie. Er lehrte unter anderem an den Universitäten Heidelberg und Frankfurt am Main sowie der University of California in Berkeley und war Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt in Starnberg.

Ein Stipendium brachte Habermas 1956 nach Frankfurt ans Institut für Sozialforschung. In der Zeit als Forschungsassistent bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno machte er sich mit den (zum Teil unter Verschluss gehaltenen) Schriften seiner beiden Direktoren und anderer Vertreter der Kritischen Theorie aus der Vorkriegszeit vertraut. Im Jahr 1964 wurde Habermas auf Horkheimers Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt berufen.

»Wo die utopischen Oasen austrocknen, breitet sich eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit aus.«
Jürgen Habermas


Er erlebte noch den Nationalsozialismus, befreite die "Dialektik der Aufklärung" von ihrer resignativen Perspektive und wurde zum Projektleiter der Moderne. Habermas verknüpft so unterschiedliche philosophische Positionen wie den Marxismus und den amerikanischen Pragmatismus zu einem Theoriegebäude, das weltweit diskutiert wird. Habermas legt großen Wert auf den Nachweis, in seiner Synthese von Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie die nachgerade zwangsläufige Konsequenz aus all dem gezogen zu haben, womit die „wissenschaftliche Tradition“ von Plato bis Kant, von Schelling bis Peirce und von Gadamer bis zum Materialismus von Marx sich – letztlich erfolglos – herumgeschlagen hat. In der philosophischen Fachwelt wurde er bekannt durch Arbeiten zur Sozialphilosophie mit diskurs-, handlungs- und rationalitätstheoretischen Beiträgen, mit denen er die Kritische Theorie auf einer neuen Basis weiterführte.



Nach der dekonstruktiven Kritik der "alten" Frankfurter trat Habermas an, um trotz ihrer destruktiven Dialektik eine Basis für das Aufklärungsprojekt zu finden, es nach seinem Scheitern wiederherzustellen - eine Trümmerfrau der deutschen Philosophie gewissermaßen. Er fordert eine Ethik, die sich aus dem Diskurs ergibt.

Ausgehend von seinen Überlegungen zur Universalpragmatik entwirft Habermas ab Beginn der 1980er Jahre im Dialog mit Karl-Otto Apel seine eigene Variante einer Diskursethik. Habermas stellt sie explizit in die Tradition der Kantischen Ethik, die er jedoch gleichzeitig mit kommunikationstheoretischen Mitteln neu formulieren und ihre metaphysischen Elemente „detranszendentalisieren“ will.

Habermas ist der herausragende Denker des Nachkriegsdeutschland. Bezugspunkt seines Denkens sind nicht Länder oder Regionen, sondern die Verfassung. Habermas ist ein Verfassungspatriot. Nach dem Mauerfall von 1989 widmete sich Habermas verstärkt rechts- und staatsphilosophischen Themen. Im Jahre 1992 erschien sein Werk »Faktizität und Geltung«, das nach seiner »Theorie des kommunikativen Handelns« als sein wichtigstes Werk gilt. Es stellt „die erste ausgearbeitete Rechtsphilosophie aus dem Umkreis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule“ dar. Er stellt die Frage, wie aus dem Diskurs heraus, Demokratie und Rechtsstaat geformt werden können.

Während Habermas die europäische Integration anfangs als eine primär ökonomische Veranstaltung zur Liberalisierung des Handels verstand, zeigte er sich im Laufe der 1980er Jahre als ein überzeugter Europäer und begleitete die Entwicklung in der Europäischen Union mit politisch engagierten Stellungnahmen, deren wichtigste und neueste in seiner jüngsten Publikation »Zur Verfassung Europas« (2011) zusammengefasst sind. Darin begreift er die EU als ein „höherstufiges politisches Gemeinwesen“, als einen „entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer politisch verfassten Weltgesellschaft“. Habermas engagiert sich immer wieder für einen gemeinsamen europäischen Weg.

Jürgen Habermas erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und Preise, darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2001) und den Kyoto-Preis (2004).

Weblinks:

Das Lebenswerk des Jürgen Habermas - Wissenschaftskritik - www.wissenschaftskritik.de

Jürgen Habermas - www.famousphilosophers.org


Literatur:

Jürgen Habermas: Eine Biographie
Jürgen Habermas: Eine Biographie
von Stefan Müller-Doohm

Samstag, 15. Juni 2019

Habermas-Kritik an Europa

Jürgen Habermas

Habermas engagiert sich immer wieder für einen gemeinsamen europäischen Weg. Die Fragen Europas betreffen alle Länder und Menschen.

Während Habermas die europäische Integration anfangs als eine primär ökonomische Veranstaltung zur Liberalisierung des Handels verstand, zeigte er sich im Laufe der 1980er Jahre als ein überzeugter Europäer und begleitete die Entwicklung in der Europäischen Union mit politisch engagierten Stellungnahmen, deren wichtigste und neueste in seiner Publikation „Zur Verfassung Europas“ (2011) zusammengefasst sind.

Darin begreift er die EU als ein „höherstufiges politisches Gemeinwesen“, als einen „entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer politisch verfassten Weltgesellschaft“. Ohne Vertrauen ist Europa nicht möglich.

In seinem Essay »Zur Verfassung Europas« weiß der Autor sehr wohl, daß dem Europa-Gebilde gemeinsame "soziale und kulturelle Rechte" fehlen. Und kritisiert deshalb gründlich jene Politik, "die vorgibt, den Bürgern ein selbstbestimmtes Leben primär über die Gewährleistung von Wirtschaftsfreiheiten garantieren zu können".

Doch schon bei der Forderung nach der Präzisierung der Menschenrechte in einer zu ändernden europäischen Verfassung, gelingt im eine mediokre Formulierung von richtungsweisender Schwäche für das Gesamtwerk:

"Jede Abschiebung eines Asylbewerbers ..., jedes kenternde Schiff mit Armutsflüchtlingen . . . ist eine weitere beunruhigende Frage an die Bürger des Westens."

Wo ein bescheidener Verstand geglaubt hätte, das diese Vorgänge eine Sauerei wären und den Menschenrechte feind, sieht der Philosoph erstmal Fragen. Es ist ein Schwanken zwischen demokratischer Vernunft und feigem Kompromiss, der die jüngste Arbeit des großen Intellektuellen prägt.

So auch, wenn er kühl und richtig sieht, das die Menschenrechtspolitik des Westens nicht selten nur ein Feigenblatt zur Durchsetzung von Großmachtinteressen ist und die "Kollateralschäden" beklagt, zum anderen aber seine Kritik mit einer sonderbaren Sorge bestückt: "Noch haben die intervenierenden Mächte in keinem Fall bewiesen, dass sie die Kraft und Ausdauer zum state-building aufbringen."


Weblink:

Das Lebenswerk des Jürgen Habermas - Wissenschaftskritik - www.wissenschaftskritik.de

Peter Sloterdijk: Zur Lage der Welt (E)

Peter Sloterdijk

Peter Sloterdijk provoziert. Seine philosophischen Zeitdiagnosen und politischen Stellungnahmen lösen immer wieder heftige Debatten aus. Im Gespräch mit dem philosophischen Schwergewicht geht es um die Fragestellungen : Wie stehen die Zeichen der Zeit? Und wie geht es dem Menschen in der Globalisierung?

Peter Sloterdijk gilt nicht nur als einer der wichtigsten deutschen Intellektuellen, sondern auch als ebenso risikofreudiger wie schwerverständlicher Denker am Puls der Zeit. Der Philosoph wurde 1983 mit seinem Werk «Kritik der zynischen Vernunft» zum philosophischen Shooting-Star. Danach legte er zahlreiche Bestseller vor und provozierte heftige Debatten, zuletzt anlässlich der Flüchtlingskrise, als er Anfang 2016 Angela Merkels Willkommenskultur kritisierte.

Immer geht es dem Karlsruher Philosophen um den Menschen und die Blasen, in denen er seine unvollkommene Existenz verbringt. Sloterdijk zur Lage der Welt. Als Philosoph hätte er die Spätentwicklung der Masseneinwanderung wenigstens ansatzweise vorausahnen können, gab es doch schon 2013 Parallelgesellschaften, Nachzug der Angehörigen, die Ausbeutung der Krankenversicherungen, die Bildungsmisere.

Wir haben eine ungelöste soziale Frage, die Welt löst sich auf, der Klimawandel schreitet ebenso wie der Nationalismus voran und die Migration ist nicht aufzuhalten. - Genug Probleme also, welche der Lösung bedürfen, aber die Beharrungskräfte verhindern diese!


Es war zuerst Francis Fukuyama, der in «Das Ende der Geschichte» darauf hingewiesen hat, dass in einer materiell halbwegs saturierten Gesellschaft die Unzufriedenheiten nicht ab-, sondern zunehmen, und zwar exponentiell. Der Kampf um Anerkennung gerät erst dann in die heisse Phase, wenn er formell gewonnen ist und alle erwachsenen nicht entmündigten Individuen als Staatsbürger bestätigt sind.




Weblink:

Peter Sloterdijk: Zur Lage der Welt – Sternstunde - YouTube

Peter Sloterdijk: «Die Sitten verwildern, die Gerechtigkeit ist obdachlos»

Samstag, 8. Juni 2019

»Ach, Europa« von Jürgen Habermas

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas, entschiedener Streiter für ein offenes Europa, hat im Jahr 2008 einen Band politischer Schriften vorgelegt. Der Philosoph macht sich in diesem Band in Reden und Essays für die Fortführung Europas stark. Sein Ziel ist ein rationales und demokratisches Europa, das das Erbe der Aufklärung zu Ende führt.

Dabei führt Habermas einen Kampf gegen jene Politiker, für die Europa lediglich zu einem technokratischen Gebilde geworden sei. Gegen sie ficht er für mehr demokratische Elemente. In Hinsicht auf unterschiedliche Interessen und gesellschaftliche Entwicklungsstufen innerhalb Europas wünscht er sich eine „abgestufte Integration“.

Die Schwierigkeiten der europäischen Einigung dürfen, nach Habermas, die historische Dimension und Notwendigkeit des Aufklärungsprojektes nicht gefährden. Als Ziel sieht Habermas ein außenpolitisch geeintes Europa, das den USA in „bipolarer Gemeinsamkeit“ als eigenständige Kraft entgegen tritt.

Neben Habermas' jüngsten europapolitischen Interventionen versammelt dieser Band der Kleinen Politischen Schriften philosophische Portraits langjähriger Weggefährten wie Jacques Derrida und Richard Rorty sowie zwei Texte zum Fortschreiten des Strukturwandels der Öffentlichkeit.


Literatur:


Ach, Europa
von Jürgen Habermas


Video:

>a href="https://www.youtube.com/watch?v=bYPLu-u5Hho">Jürgen Habermas über Europa - Vortrag Paris Nov. 2011 - Teil 1 von 2


Mittwoch, 5. Juni 2019

Michel Serres ist tot


Michel Serres ist tot. Der französische Philosoph starb im Alter von 88 Jahren. Serres ist ein französischer Mathematiker und Philosoph. Michel Serres war ein visionärer Philosoph: Die Grenzen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften aufheben, um die Menschheit vor dem globalen Inferno zu bewahren. In seinem Heimatland galt er als ein ganz großer Denker.

Er absolvierte die École navale, um eine Laufbahn als Marineoffizier zu beginnen. Ab 1952 besuchte er die École normale supérieure, an der er 1955 seine Agrégation in Philosophie erhielt. Im folgenden Jahr trat er erneut in die Marine ein und fuhr jahrelang zur See. Serres ist seit 1969 Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Sorbonne und wurde 1984 parallel zum Professor an der Stanford University ernannt. Seit 1990 ist er außerdem einer der vierzig »Unsterblichen« der »Académie Française«.

Bei Michel Serres handelt es sich um einen aus der Gilde französischer Philosophen aus den 60er/70er Jahren, die weit über ihre Landesgrenzen hinaus Bekanntheit erlangten mit ihren Ideen. Sie können als Kontrastfolie zur Frankfurter Schule um Adorno, später Habermas betrachtet werden. Dazu gehören Lyotard, Baudrillard, Derrida, Deleuze, Guattari, Foucault. Was diese Denker alle auszeichnete, war ihre dichte Beschreibung, über die (zumindest ich) tagelang, nächtelang sitzen konnte, bis ich halbwegs verstanden habe, was die Autoren wollten.

Der französische Philosoph Michel Serres wollte die Welt von Morgen vorbereiten. Er wäre gern die Hebamme der kommenden Welt, erklärte er einmal in einem Interview der französischen Zeitung "Le Figaro". Sein Ziel war es, ein ganzheitliches Wissensverständnis zu schaffen, um auf die Herausforderungen der zeitgenössischen Welt zu reagieren.

Serres ging es stets um Brückenschlagen, Übergänge und Verbindungen. In seinen Werken reiste er deshalb durch die verschiedenen Wissenschaften. Unter dem Haupttitel »Hermes«, dem Namen des Schutzpatrons der Reisenden, hat er zwischen 1969 und 1980 auch fünf Bände veröffentlicht, die unter anderem von Kommunikation und Verteilung des Wissens handeln.

Zu seinen bekanntesten Werken gehören »Hermes«, »Der Naturvertrag«, »Die fünf Sinne«, »Der Parasit«. Viele seiner 50 Bücher sind in Deutschland erschienen. In »Das eigentliche Übel« geht es ihm um die schmarotzerhafte Aneignung der Welt durch den Menschen, und in »Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation« fordert er, den technologischen Wandel als Chance zu nutzen, um alles neu zu erdenken - angefangen vom Bildungssystem bis zur Gesellschaft.

Für seine Arbeiten erhielt der Philosoph 2012 den deutschen »Meister-Eckhart-Preis« mit der Begründung: "Brillante Einsichten in die Strukturen unseres Denkens."

Michel Serres wurde am 1. September 1930 in Agen im Südwesten des Landes geboren.


Weblinks:

Michel Serres ist tot - www.spiegel.de

Michel Serres - Wikipedia - de.wikipedia.org

Michel Serres-Portrait - GEO (FR) - www.geo.fr

Literatur:

Der Naturvertrag von Michel Serres
Der Naturvertrag
von Michel Serres