Samstag, 18. Mai 2019

»Falls Europa erwacht« von Peter Sloterdijk

Peter Sloterdijk

In der Tradition der Europa-Essays eine Neubegründung durch Peter Sloterdijk. »Falls Europa erwacht« ist ein 2002 veröffentlichter Essay von Peter Sloterdijk - eine 60-seitige Niederschrift einer umfassenden Betrachtung europäisch-politischem Bewusstseins, welches heute der unmodernen Tugend des Mutes und vor allem der visionären Phantasie eine neue Herausforderung abverlangt.

Auf dem Fundament seines weitreichenden Kulturwissens zeigt Peter Sloterdijk überzeugend historische Steuerungsprozesse, die bis heute europäisches Staats- und Machtverständnis prägen und offensichtlich als imperiales Gen die Europapolitik bestimmen und formen. Ohne eine durchgreifende Mutation an dieser Erbmasse, sieht der Autor keine Zukunft für eine moderne Kultur.

"Europa, einstmals „Reich der Mitte", ist seit 1945, nach dem Zweiten Weltkrieg, aus seiner überlieferten Stellung in der Mitte der Welt herausgefallen. (Seite 7)."

Es geht Sloterdijk in seinem Essay um Europa und seinem Bewußtsein, denn dieses Bewußtsein von Europa wartet immer noch auf sein Erwachen. Sollte die politische Einbildungskraft der Europäer noch einmal offensiv anspringen, dann nur, wenn sie von dem Elan ergriffen würden, eine ganz neuartige, verfremdete Fortsetzung ihrer Geschichte zu erfinden‹.

Dieses Europa wurde 1945 durch die Alliierten von der nationalsozialistischen Diktatur befreit – zugleich aber von neuen Weltmächten im Westen und im Osten in die Zange genommen: Diese Doppelerfahrung der Befreiung und der endgültigen Aufgabe der einstigen Vormachtstellung Europas zieht sich über zwei Generationen hinweg. Erst nach der Lösung der Supermächteklammer sind die Europäer imstande, die Fragen nach den prägenden Merkmalen okzidentaler Identität mit neuer Verbindlichkeit zu stellen.

In dem Essay mit dem anspielungsreichen Titel »Falls Europa erwacht«, verbindet er das Theorem von der genialen Progressivität des europäischen Geistes effektvoll mit Novalis‘ Idee einer Wiedergeburt Europas. Überall dort, so hatte Valéry zum Ende seiner Europareflexionen noch einmal bekräftigt, wo ›der europäische Geist zur Vorherrschaft‹ komme, trete ein ›Ensemble von Maxima‹ in Erscheinung: ein Maximum an Arbeit, Kapital, Macht, an ›Eingriffen in die äußere Natur‹, an ›Beziehung und Austausch‹. Sloterdijk erklärte diese Optimierungsthese zur nach wie vor ›gültige[n] Formel für die europäische Modernisierungsdynamik‹.

Wie aber wäre Europas großes Erwachen unter den pazifistischen und postimperialen Bedingungen des späten 20. Jahrhunderts ins Werk zu setzen? Auch Sloterdijk bringt auf der Suche nach einer Antwort das ganze Arsenal europäischer Integrationsarchetypen in Stellung. Angesichts der Aufgabe, Europas politisches Selbstverständnis zu reformieren, imaginiert er Europa als ein weibliches Wesen, das das ihm Andere aus sich hervorzubringen vermöchte: ›Aus gutem Grund‹, so Sloterdijk, ›suchen die besten europäischen Intellektuellen nach subversiven Traditionen und Verfahren, die das Fremde im Eigenen, das Andere im Selben offenlegten. Ja, wenn Europa ein Weib wäre…




Es ist, so argumentiert Peter Sloterdijk, täglich bedrängender eine Situation entstanden, in der Europas Politiker aus ihrer Verwirrung nicht mehr herausfinden, wenn sie nicht geschichtsphilosophische Informationen und klare prophetische Orientierungen suchen.

Wie kann Europas Stellung heute beurteilt werden? Haben Europäer wieder gelernt, »Großes von sich zu fordern«, um einen Wiedereintritt in einen Horizont großer und größter Herausforderungen zu gewährleisten?




Europa muß neu gedacht werden! - Sloterdijk erweist - anknüpfend an die Tradition europäischer Essays - sich darin als Vordenker einer neuen Vision von Europa. Besonders faszinierend ist sein Postulat nach einer ganz eigenen und fundamental neuen Vision, die jede traditionelle Rechtfertigung politischer Macht in transzendentem göttlichen Auftrag oder irdischem Elite-Bewusstsein ablegt und ganz neue Motive und Strukturen europäischen Bewusstseins beinhaltet, die sich - ohne jede Erfahrungswerte - gegen Konservativismen und vor allem gegen "historisch erworbene Skepsis"  erst noch durchsetzen müssen.

Weblinks:

Peter Sloterdijk - Falls Europa erwacht - petersloterdijk.net


Rezensionen:

Rezension zu: P. Sloterdijk: Falls Europa erwacht - H-Soz-Kult - www.hsozkult.de

Peter Sloterdijk: Falls Europa erwacht - Begleitschreiben - www.begleitschreiben.net

Literatur:


Falls Europa erwacht: Gedanken zum Programm einer Weltmacht am Ende des Zeitalters ihrer politischen Absence
von Peter Sloterdijk

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