Auch die biographische und politische Betrachtung lehrt einen über Camus also nur, dass seine Philosophie von ihm nicht als Ideologie konzipiert war, sondern tatsächlich seinem Leben entsprach – auch wenn er es nie theoretisierte, warum die eigene Mutter wichtiger als das Schicksal eines ganzen Volkes sei, sondern stattdessen allgemein forderte dem unmittelbaren Gefühl zu folgen. Doch es ist immer noch nicht ersichtlich, ob Camus´ Moral nun ein gangbarer Weg ist oder nicht, ob sie dem Menschen entspricht, oder ihn verhöhnt. Und so wendet man sich also wieder zurück zur Philosophie und erinnert sich des Gedankenganges des Menschen in der Revolte:
Wenn die Revolte zur Revolution wird, muss die Vernunft das unmittelbare Gefühl der menschlichen Solidarität unterdrücken und die Menschen, die sich dazu weigern, umbringen. Nach einiger Zeit sind die Revoltierenden entweder zu Leichen oder zu Sklaven geworden. Die Lösung besteht daher darin das unmittelbare Empfinden nicht zu unterdrücken, sondern frei auszuleben und so die Revolte zu erhalten.
Das erste, was bei diesem Gedanken auffällt, ist natürlich sein extremer Idealismus. Für einen Menschen, der dem Hungerstod nahe ist, stellt sich die Frage der Revolte als solche überhaupt nicht in dieser Form, denn die menschliche Solidarität begründet sich für ihn vor allem aus der Vernunft des organisierten Kampfes und der Erringung von politisch-sozialen Verhältnissen, die ihm und seinesgleichen dauerhaft etwas zu essen sichern. Doch man nimmt diese Einschränkung hin und fragt erneut: Ist für einen sattgegessenen Europäer, der zwar nicht in Luxus lebt, der aber auch nicht unmittelbar in seiner Existenz bedroht ist und der zum Menschen in der Revolte wird, Camus´ Moral ein gangbarer Weg?
Camus geht davon aus, dass sich die menschliche Natur im Sinne des Impulses der Revolte und die Vernunft gegenseitig ausschließen. Entweder die Revolte wird gelebt, oder durch die Vernunft getötet. Das Menschenbild, das Camus damit zeichnet, ist freilich eines, das diesen Namen kaum noch verdient. Für ihn muss der Mensch entweder, getrieben von der Revolte, schlimmer als jedes Tier immer wieder mit dem Kopf gegen die Wand laufen, da er ja seine Vernunft nicht gebrauchen darf, oder aber er ist nur noch reine Vernunft ohne menschliche Grundlage. Und so endet der großartige Humanismus Camus´ als ein Humanismus, dessen Liebe zum Menschen groß genug ist, um ihn in ein Tier zu verwandeln.
Camus´ Moral ist tatsächlich ein gangbarer Weg: Es ist der ideale Kompromiss für Söhne und Töchter aus gutem Hause, die den Impuls der Revolte verspüren, aber gleichzeitig ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung behalten wollen. Der Weg der Revolte ist es jedoch nicht, denn dieser ist unzertrennlich mit der Vernunft verbunden. Die Revolte stirbt nicht wegen der Vernunft, sondern ohne sie. Zur Resignation führt es, wenn man mit einer Welt konfrontiert ist, die dem menschlichen Wesen fundamental widerspricht, die man aber nicht verändern darf. Indem man sich gegen die Vernunft entscheidet, entscheidet man sich zugleich gegen die Revolte.
Erst wenn der letzte Mensch frei atmen kann, ist das Freiheitsideal erreicht. Das jedenfalls ist die Meinung von Albert Camus.
Weblinks:
Camus lebt - www.camus-lebt.de
Albert Camus – Marxismus und Moral - www.bruchlinien.at
Literatur:
Der Mensch in der Revolte von Albert Camus
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