»Der neue Klassenkampf: Die wahren Gründe für Flucht und Terror« ist das neue Buch von des slowenischen Philsoophen und Aktivisten Slavoj Zizek. Zizek ist einer der wichtigsten Denker und Kapitalismuskritiker der Gegenwart.
Europa steht am Scheideweg. Der Flüchtlingsstrom und der islamistische Terrorismus stürzen den Kontinent in die wohl größte Krise der Nachkriegszeit. Mit Nächstenliebe und Toleranz werden wir diese nicht überwinden. Denn beide Phänomene sind vor allem ein Symptom des globalen Kapitalismus und des daraus resultierenden neuen Klassenkampfs. Wer ganze Weltregionen und Bevölkerungsgruppen von Wohlstand und sozialer Teilhabe ausschließt, braucht sich nicht wundern, wenn dadurch Gesellschaften auseinanderbrechen und Menschen zu religiös-ideologischen Extremisten werden oder in unser Land streben.
Die eigentliche Bedrohung unserer westlichen Gesellschaftsform besteht daher in der Dynamik des globalen Kapitalismus. Das bedeutet: Wir müssen unsere westlichen Werte unbedingt verteidigen und uns zu diesem Zweck von realitätsfremdem Empathiedenken befreien und fremden Kulturen reell gegenübertreten, um mit ihnen koexistieren zu können. Vor allem aber müssen wir die ökonomischen Gründe der Flüchtlingsströme und des Terrors ausmerzen – und sei es mit Hilfe einer neuen kommunistischen Utopie. Wir haben ein Recht, für unseren westlichen Lebensstil und unsere europäischen Werte zu kämpfen; aber wir haben kein Recht, die Welt in Teilhaber und Ausgeschlossene aufzuteilen.
Die Schonzeit für den Westen ist vorüber. Nicht die Flüchtlinge gefährden unsere Gesellschaft – vielmehr bedroht das globale Kapital die gesamte Weltordnung. Für Slavoj Žižek, einen der wichtigsten Denker der Gegenwart, sind Flucht und Terror die Folgen eines neuen Klassenkampfes. Welche Chance haben wir noch, uns und unsere Werte zu retten?
Wenn Slavoy Zizek zur aktuellen Flüchtlingskrise sagt: »Unsere wahre Bestrebung sollte sein, die Basis der Gesellschaft weltweit so umzugestalten, dass keine verzweifelten Flüchtlinge mehr auf diesen Weg gezwungen werden«, werden ihm wahrscheinlich alle, unabhängig von ihrer Weltanschauung, zustimmen. Wenn er dann hinzufügt: »Die Zurschaustellung altruistischer Tugenden hingegen verhindert letztlich die Umsetzung dieses Zieles«, werden sich manche um den Genuss ihres guten Gefühls der Mitmenschlichkeit betrogen sehen und sich lieber auf ihre Empathie beschränken.
Wenn Zizek dann aber auch noch den globalen Klassenkampf als Perspektive für die Umsetzung dieses Zieles auf die Tagesordnung bringt, also die globale Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten, um ein menschenwürdiges Leben in möglichst allen Ländern zu gestalten, dann wird die Zustimmung sehr schnell schwinden.
Zizeks Brevier enthält unterhaltsame geistige Volten und Belege darüber, dass er die Klassiker der Philosophie gelesen hat. Mit Goethe begibt er sich jedoch in eklatanten Widerspruch, ruft er doch auf: "Es solle Schluss mit Amboss oder Hammer sein"! Fordert er doch Hammer und Amboss auf, gemeinsam gegen das Schmieden zu kämpfen! Und wenn er mit seinem Titel auch "die wahren Gründe für Flucht und Terror" aufzuzeigen verspricht, so tut er das recht, recht zögerlich und sloterdijkisch bzw. scholastisch, so, dass man die Lust verliert ihm dabei zu folgen.
Klassenkampf? - Das eignet sich nicht wirklich als Buchtitel. Wenn überhaupt, wird das Wort nur mehr von Parteien und Unternehmern verwendet wenn sie zum Beispiel den Gewerkschaften angeblich überzogene Forderungen vorwerfen. Dann schon lieber Spenden ins Krisengebiet, Entwicklungshilfe, Freihandelsabkommen à la EPA und Hilfe bei der weiteren Implementierung der ‚westlichen Werte‘ im jeweiligen Land.
Viel Stoff zum Nachdenken auf knapp 100 Seiten. Ein neuer Zizek im Kleinformat, wie schon der Vorgänger mit dem Titel ‚Blasphemische Gedanken: Islam und Moderne‘, der als Ergänzung zu diesem neuen pocket book zu empfehlen ist.
Weblink:
»Der neue Klassenkampf: Die wahren Gründe für Flucht und Terror« von Slavoj Zizek Gebundene Ausgabe – 21. Dezember 2015