Samstag, 7. Januar 2023

Aktionismus als Form politischen Handelns

68er Demo


Aktionismus ist ein zulässiger, bewußter Verstoß gegen rechtliche Normen und eine moralische Grundrechtsverletzung. Aktionismus ist eine zeitgemäße Ausdrucksform zivilen Ungehorsams, wenn die Politik keine zufriedenstellende oder unzureichende Lösungen für dringende Probleme herbeiführt. Er ist Ausdruck des Bestrebens, das Bewusstsein der Menschen oder bestehende Zustände durch (provozierende, revolutionäre, künstlerische) Aktionen zu verändern.

Junge Menschen gehen auf die Strasse, um ihrem Protest zum Ausdruck zu bringen und ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen . Sie verstehen sich als Teil einer sozialen Bewegung, die sich für eine gesellschaftliche Veränderung engangiert. Auch für den Protest der Unzufriedenen gilt Kants Devise: »Habe Mut, dich deines Verstandes zu bemühen.« im Hinblick auf die Wahl der zulässigen Mittel des Protestes gegen nicht länger hinnehmbare Zustände.


Der Begriff »Aktionismus« unterstellt betriebsames, unreflektiertes oder zielloses Handeln ohne Konzept, um den Anschein von Untätigkeit oder Unterforderung zu vermeiden oder zu vertuschen. Wenn Politik allerdings keine dringenden Probleme der Zeit lösen kann, ist Aktionismus eine durchaus zulässige Form des Protests. Aktionismus kann auch bedeuten, dass viele Projekte diskutiert oder begonnen, aber nicht zu Ende geführt werden.

Aktionismus ist ein vor allem dem Anarchismus zugeordnetes Konzept direkten, unmittelbaren und nicht durch Stellvertreter geführten Handelns. Aktionismus bedeutet zunächst das eigene, nicht symbolische widerständige Tun. Dabei überwindet der Aktionismus die Mittel-Zweck-Relation. Aktionismus zeigt sich in einer Vielfalt subversiver Handlungen. Die Aktion selbst ist Ausdruck eines subversiven Lebens und wird dabei nicht in Bezug auf sichtbare Auswirkungen auf die politische Ordnung bewertet, da sie für sich als Verschiebung der Machtverhältnisse gewertet werden kann.

Aktionnismus ist letztlich nur dann erfolgreich, wenn bei dem zugrundeliegenden Problem eine bretien Veränderung des Bewußtseins herbeiführt, welche zur Lösung des Problems führt. Im politischen Aktionismus scheint es von Bedeutung, die eigene Person als Widerstandspunkt und Widerstand selbst als Entwicklung alteritärer Lebensverhältnisse zu begreifen und so den Risiken repräsentativer Politik-Konzepte zu entgehen.

Soziale Bewegungen stehen immer wieder vor der sich ewig wiederholenden und immer wieder neue Auseinandersetzung hervorrufenden Frage: Mitmachen und mit dem System leben oder es von außen durch neue Wege verändern? Welcher Weg führt am besten zum Ziel?

Die sich stellende Grundfrage lautet: Ist ein Integrationswilliger erfolgreich, der in das System hinein geht, mitmacht, dessen Positionen damit zunächst akzeptiert und es eventuell schafft, von innen etwas zu verändern? Oder ist es zielführender, autonom eine eigene Position zu entwickeln und sich zu bemühen, diese zu realisieren, ggf. in Protest gegen das System von außen?

Mit dem Strom oder gegen den Strom. Was führt zum Ziel? Ist Aktivismus geeignet, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken oder ist es sinnvoller, sich durch Mitmachen in das System zu begeben?

Der deutsche Philosoph Rudolf Eucken (1846 – 1926) prägte 1915 den Begriff und propagierte einen nach-kantianischen „neuen Idealismus“. Er bezeichnete ihn auch als „schöpferischen Aktivismus“ (ab 1907, Aktivierung der gemeinsamen schöpferischen Kraft aller Menschen). Der Begriff erfuhr bald eine Wandlung und wird verwendet als Bezeichnung für politisches Handeln.

Ende der 1960er und in den 1970er Jahren entstanden mit den ‚neuen sozialen Bewegungen‚ (Frauenbewegung, Schwulenbewegung, Umweltbewegung) vielfältige Formen von Aktivismus. Sie waren oft gekennzeichnet von einer Kombination aus dem Übernehmen als wirksam etablierter Strategien der Organisation und neuen offenen, demokratischen Handlungsformen.

Auf konkrete Missstände und Defizite hinweisen, auf konkrete Veränderung bestehender Verhältnisse hinwirken, mit diesen Anliegen ist Aktivismus eine Form politisches Handelns. Michel Foucault beschäftigte sich intensiv mit dem Machtbegriff und der Analyse von Machtverhältnissen. Er zeigt bei der Frage des politischen Handelns, des Infragestellens vorhandener Machtverhältnisse auf die (seiner Ansicht nach den Machtverhältnissen bereits innewohnenden, „wesenhafter Antagonismus„) Handlungsmöglichkeiten der „widerspenstigen Freiheit„, die Machtbeziehungen ändert.

Foucault sieht Kritik als Mittel, sich von der Macht eines anderen zu befreien und sich frei in Bezug auf eine Sache zu verhalten.

„Aber zugleich muß die Freiheit sich einer Machtausübung widersetzen,
die die letztlich danach trachtet, vollständig über sie zu bestimmen.“


Michel Foucault, Subjekt und Macht, S. 287


Hannah Arendt beschreibt den in ihrem handlungs-orientiertes Politikverständnis wesentlichen Begriff ‚ziviler Ungehorsam‚:

„wenn eine Reihe von Menschen in ihrem Gewissen übereinstimmen und sich diese Verweigerer entschließen, an die Öffentlichkeit zu gehen und sich Gehör zu verschaffen.“

Hannah Arendt, Rede ‚Ziviler Ungehorsam‘, S. 71


Einer der Väter der ‘gewaltfreien Aktion’ als Form politischen Engagements ist der amerikanische Politikwissenschaftler Gene Sharp. Macht ist Sharp zufolge das Ergebnis einer Übereinkunft. Ausüben von Macht setzt das stillschweigende Zustimmen der (oft ‘schweigenden’) Mehrheit voraus.

Wer nicht mehr schweigt, bekommt Werkzeuge in die Hand, Gesellschaft so zu gestalten, dass sie im Interesse der Menschen ist. Mittel der Wahl dazu ist Sharp zufolge die ‘gewaltfreie Aktion’ (Gewaltfreiheit war später auch eines der wesentlichen Merkmale der Aids-Aktionsgruppen ACT UP).

Knut Cordsen setzt den Aktivismus der Gegenwart – von »Fridays for Future« bis zu Greenpeace im Außenministerium – in einen historischen Kontext. Sein Buch ist reich an Lehren, die Aktivist:innen aus ihrer gut 100-jährigen Geschichte ziehen sollten. Dabei wird deutlich, wo Aktivismus in seiner Kultur der Anklage auch über Ziele hinausschießt und das selbst niemals wahrnimmt. Am spannendsten am Beispiel der Twittersphere zeigt Cordsen die blinden Flecken von Aktivisten und Aktivistinnen, ihre Selbstgerechtigkeiten und seziert die Mechanismen sich selbst verstärkender Systeme (Filter Bubbles).

Literatur:

Die Weltverbesserer: Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft?
Die Weltverbesserer: Wie viel Aktivismus verträgt unsere Gesellschaft?
von Knut Cordsen

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