Mittwoch, 23. November 2022

»Der Mensch zwischen Mythologie und Wirklichkeit« von Othmar Käppeli


Dieser hintergründige Essay von Othmar Käppeli spannt einen kunstvollen Bogen von Wahrnehmung, Kognition, Bewußtsein, Erfahrung und Wissen - mit Ausflügen in die Evolution, Mythologie, Wissenschaft und technischem Fortschritt unter Berücksichigung der neuesten Forschung der Neurologie.

Menschen sind das Produkt ihrer Umwelt. Sie nehmen Einflüsse der Umwelt wahr, die wiederum kognitiv verarbeitet werden. Wesentlicher Untersuchungsgegenstand des Essay ist die Kognition - ein vielschichtiges Phänomen, welches Fähigkeiten wie Denken, Wahrnehmen, Erinnern, Entscheiden, Problemlösen und Sprechen umfaßt. Kognitives Lernen bedeutet, diese Einflüsse aktiv und subjektiv zu bewerten und die Erkenntnisse nutzen um zu lernen oder umzulernen. Diese Lernerkenntnis durch kognitives Lernen führt zu einer Verhaltensänderung, die stattfindet sobald sich eine Gelegenheit offenbart, die gemachte Lernerfahrung mit der Realität abzugleichen und zu überprüfen.

Die Wahrnehmung der Umwelt durch die Sinne nennt man Kognition. Kognition ist die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Sinne und die Verarbeitung in praktisches Wissen, um die Anforderungen bewältigen zu können.

Die Sinne können bei der Wahrnehmung getäuscht werden. Die menschliche Wahrnehmung beinhaltet immer auch die Möglichkeit des Truges der Täuschung. Es gibt bei der Sinneswahrnehmung eine mögliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung und der Wirklichkeit. Um diese Diskrepanz aufdecken zu können, ist es wichtig, die menschliche Wahrnehmung zu verstehen. Dazu gehören die neuronalen Strukturen und Prozesse, die an der Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und Bewusstmachung von internen und externen Reizen beteiligt sind.

Aus der Wahrnehmung wird Erfahrung und aus der empirischen Erfahrung wird schließlich Wissen, wobei die Erfahrung wichtige Erkenntnisse liefert. Doch die Erfahrung parodiert die Wirklichkeit.

Dieser Essay beschäftigt sich damit, wie unser Gehirn die Signale unserer Sinne mithilfe von gespeicherten Inhalten in ein subjektives Bild der Welt verarbeitet.

Wenn wir unter Berücksichtigung unserer eigenen Erfahrungen sowie der Erkenntnisse moderner Hirnforschung betrachten, wie wir wahrnehmen und urteilen, ergibt sich eine erste Annäherung an der Grad der Übereinstimmung von menschlicher Wahrnehmung und Wirklichkeit.

Daneben ist es aufschlußreich, die Evolution der kognitiven Fähigkeiten im Laufe kulturellen Entwicklung des Menschen zu verfolgen. Die Kognition der Menschen ist gegenwärtig nicht in der Lage, ihre Existenz unter dem Einfluß von lebensbedrohlichen Gefahren zu sichern.

Von den kognitiven Fähigkeiten hängt der Fortbstand der Menschheit ab. Im Laufe der Entwicklung veränderten sich Art und Dimension der Gefährdungen und entsprechnend die kognitiven Fähigkeiten. Die Frage ist, ob die aktuellen kognitiven Fähigkeiten des Menschen für die nachhaltige Gestaltung des individuellen Lebens und der zivilisatorischen Entwicklung ausreichen werden.

Es besteht ein innerer Konflikt zwischen Kognition, Wissen, Denken und Sicherung der Zukunft. Was ist, wenn das Wissen nicht den Anforderungen zur Bewälitgung von Krisen genügt?

Bereits der deutsche Philosoph Fichte wusste: Die Menschen haben das Interesse für eine Realität, die sie hervorbringen wollen - der Gute, schlechthin um sie hervorzubringen, der Gemeine und Sinnliche, um sie zu genießen.

Wissen ist kein Selbstzweck, sondern mit Mittel zum Zweck. Es dient dem Menschen zur Bewältigung des Lebens und der Erhaltung der Gattung. Dem Wissen fällt in Bezug auf die Realität die Schlüselrolle zu. Doch Wissen ist nicht Realität und oft ist Wissen ein falsches Abbild der Realität.

Stets gibt es verschiedene Wahrheiten und Wirklichkeiten, bei denen neue hinzukommen und andere verlorengehen.

Die Erfahrungsrealität und das Wissen haben nichts einander gemein. Dort, wo Wissen bei der Wahrnehmung der Wirklichkeit falsche Signale setzt, ist die Zukunft der Gesellschaft gefährdet.

Der Transfer von Wirklichkeitswissen muss zu einer vordringlichen und permanenten Aufgabe unserer Gesellschaft werden, um die Fortexistenz der Menschheit als Ganzes zu gewährleisten. Bereits das Aufblühen und Vergehen früherer Hochkulturen lässt sich auf den Mangel an Wirklichkeitswissen zurückführen.

Der Autor sieht die Gefahr, daß die Sinne bei der Wahrnehmung einer komplexer werdenden Umwelt getäuscht werden. Es besteht die Gefahr, daß die erworbenen Kognitionsmuster des Menschen in einer komplexer gewordenen Welt nicht ausreichen werden, um die Wirklichkeit angesichts der Gefährdugnen richtig wahrzunehmen, um den Fortsbestand der Spezies zu sichern.

Wissen existiert als bzw. basiert auf überlieferten, tradierten und empirischem Wissen. Die Inhalte verändern sich in Laufe der Zeit und passen sich immer wieder neu an bzw. müssen angepasst werden. In das Wissen hineingewoben sind jedoch auch Mythen und Erzählungen. Doch auch Mythen und Archtetypen sind in uns Menschen vorhanden und wirken in ihnen.

Letztlich ist nur dasjenige Wissen nützlich, das zum Überleben der Menschheit als Gattung taugt bzw. förderlich ist. So gesehen ist Wissen immer auch Information zum Überleben.

Moderne Wachstums-Mythen sind in der Wissensgesellschaft als Grundlage des Wissens für die Bewältigung der gegenwärtige Probleme und der Sicherung der Zukunft nicht hilfreich, verleiten sie doch dazu, die Kognition der Realität zu verkennen und falsches kognitives Wissen anzuwenden.

Mythen – symbolisch aufgeladene Erzählungen mit zweifelhafter realer Grundlage – sind kein Phänomen, das auf die graue Vorzeit beschränkt ist, sondern auch in der Moderne weit verbreitet sind. Nicht allen Mythen haftet Wahrhaftigkeit und Glückseligkeit an. Viele liefern eher falsche Abbilder der Wirklichkeit. Es sind die gerade falschen Mythen vom unbegrenzten Wachstum, mit denen aufgeräumt werden muss. Und so steht der Mensch bei den kognitiven Einflüssen heute zwischen Mythologie und Wirklichkeit.

Aufgrund der Hauptaufgabe der Kognition, eine das Überleben des Einzelnen und der Spezies sichernde zivilisatoriche Entwicklung zu verwirklichen, müsse beispielsweise ein Löusungsansatz verfolgt werden, der verhindert, dass Dinge geschehen, die aufgrund des Standes des Wirklichkeisswissens Schäden proaktiv verunmöglichen: Der unverfrorene Mythos Fortschritt durch Wachstum, der Verabsolutierung der Mythos Freiheit zur Verhinderung von Schutzmaßnahmen zur Überwindung der Pandemie und die Begründung des Krieges durch archaische mythologische Ansprüche wären aufzugeben.

Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedrohungen und Krisen der Welt ist richtige Kognition nötiger denn je. Je Misere bietet eine Chance, sich von alten Denkmustern zu lösen. Die Frage ist, ob die Kognition ausreicht, um die Welt und ihre Gefährdung so zu erkennen, wie es nötig ist, sie zu retten.


Jede Krise bietet die Möglichkeit, sich von alten Denkmustern zu lösen und zu befreien. Der Autor plädiert für eine stärkere Aneignung von Wirklichkeitswissen, um umweltfreundlichere Entscheidungen und Lebensweisen zu wählen. Dafür ist es nötig, althergebrachte Denkmuster sowie vermeintlich erstrebenswerte Ziele kritisch zu hinterfragen und eventuell über Bord zu werfen.

Es gibt also viele Gründe, die Muster der Kognition und Wahrnehmung zu überdenken. Das Buch zur Krisenhaftigkeit des Denkens ist eine Anleitung zur kognitiven Bewältigung von krisenhaften Situationen und liefert einen wichtigen und beachtenswerten Beitrag im Diskurs um die Rettung der Welt. Es gibt dem Leser Anstoß, anders über die Krisen der Welt und auch des Lebens nachzudenken.

Man kann das Buch auch als eine Anregung zur Änderung der gewohnten Denkmuster und Verhaltensweisen lesen. Das Buch gibt dem / der LeserIn Anstoß, anders über manche Dinge nachzudenken.

Literatur:

Der Mensch zwischen Mythologie und Wirklichkeit
Der Mensch zwischen Mythologie und Wirklichkeit
- von Othmar Käppeli

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