Samstag, 29. März 2014

»Kritik der zynischen Vernunft« - Definitionen des Zynismus

Peter Sloterdijk


Peter Sloterdijk gelang mit der »Kritik der zynischen Vernunft« aus dem Jahr 1983, in dem er sich als neuzeitlicher Denker der Aufklärung präsentierte,  der Durchbruch als philosophischer Autor. Der Philosoph Sloterdijk liefert hierin drei phänomenologische Definitionen des Zynismus.

In der ersten, allgemeinen Definition erscheint der Zynismus als »das aufgeklärte falsche Bewusstsein«, dessen »Falschheit bereits reflexiv gefedert« ist.

Die zweite, historische Definition unterscheidet zwei Formen des polemischen Bewusstseins: den Zynismus »von oben« und den Kynismus »von unten«: Der antike Kynismus spiegele den »Drang von Individuen, gegen die Verdrehungen und Halbvernünftigkeiten ihrer Gesellschaften sich selbst als vollvernünftig-lebendige Wesen zu erhalten«.

Die dritte, phänomenologische Definition beschreibt die Subversion selbsterkorener Wahrheitsinstanzen durch Verweis auf die »nackte« Wahrheit:

»Das zynische Denken nämlich kann nur erscheinen, wo von den Dingen zwei Ansichten möglich geworden sind, eine offizielle und eine inoffizielle, eine verhüllte und eine nackte, eine aus der Sicht der Helden und eine aus der Sicht der Kammerdiener.«

»Zynismus ist das aufgeklärte falsche Bewußtsein. Es ist das modernisierte unglückliche Bewußtsein, an dem Aufklärung zugleich erfolgreich und vergeblich gearbeitet hat. Es hat seine Aufklärung gelernt, aber nicht vollzogen und wohl nicht vollziehen können. Gutsituiert und miserabel zugleich fühlt sich dieses Bewußtsein von keiner Ideologiekritik mehr betroffen, da seine Falschheit bereits reflexiv gefedert ist.« Den Gehalt dieses selbst zynischen Satzes sucht der vorliegende Essay zu entwickeln, in einer Form, die sich der Verfahrensweisen des antiken Kynismus bedient: des Lachens, der Beschimpfung, der Angriffe. Aufgezeigt wird - in einem einleitenden Abschnitt - wie die verschiedenen Strategien aufklärerischer Kritik von den jeweiligen Gegenmächten umgebogen wurden und schließlich in unserem Jahrhundert in den modernen Zynismus münden. »Der zynische Herr lüpft die Maske ein wenig, zumal man ohnedies versucht, sie ihm herunterzureißen, lächelt seinen schwächeren Gegenspieler an - und unterdrückt ihn doch. Sachzwang, Machtzwang! Wissen ist Macht, auch so. Die Vormacht lüftet in ihren Zynismen ein wenig ihre Geheimnisse, treibt sozusagen ein bißchen Selbstaufklärung und ›plaudert aus der Schule‹.«

Die verschiedenen Ausprägungen dieses Zynismus läßt Sloterdijk in einem zweiten Abschnitt Revue passieren. Im letzten Teil seiner Untersuchung analysiert der Autor eine Epoche, in der der moderne Zynismus das politische und kulturelle Bewußtsein zum ersten Mal deutlich prägte: die Weimarer Republik, deren erstes Erbe der Faschismus und dessen zweiter Sproß unsere Zeit ist.

Weblink:

Was ist Zynismus? - sarkasmus-ironie-zynismus.de
Sloterdijk vergisst aber nicht, in dem Werk darauf hinzuweisen, daß jeder aufklärerische Impuls irgendwann zu Denkfaulheit und Abgestumpftheit des Herzens verflacht und dann zynisch wird. Anders gesagt: Wer irgendwann in der Geschichte recht bekam, der kämpfte darum, recht zu behalten, und wer so oft recht behielt, dass er sich gar nicht mehr rechtfertigen musste, der wurde gar zynisch. - Dies kann man als negative »Dialektik der Aufklärung« bezeichnen.



In seiner »Kritik der zynischen Vernunft« stellt Peter Sloterdijk dem antiken Zynismus dem modernen Zynismus entgegen.


Weblink:

Kritik der zynischen Vernunft
Kritik der zynischen Vernunft
von Peter Sloterdijk

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