Samstag, 24. Dezember 2022

Die Mär vom Weihnachtsmann

Weihnachtsmann

Die Figur des Weihnachtsmanns, der in das Zauberreich der weißen Welt entführt, dürfte wohl zu den charmantesten Lügengestalten der Welt gehören, die um so mehr geglaubt werden, je unwahrscheinlicher sie daherkommen.

Da soll es also in der Weihnachtsnacht einen rot gekleideten Gabenbringer geben, der von weit her kommt und es schafft, dass Geschenke für Abermillionen Menschen nahezu zur selben Zeit unterm Weihnachtsbaum liegen. Sonderlich realistisch ist diese Mär nicht gerade. - »Zweifel ist der Weisheit Anfang«, sagte bereits René Descartes.

Aber sinnstiftend ist dieses Bild schon - und zwar nicht nur für Kinder, die zwischen Freude und Ehrfurcht hin und hergerissen am Heiligen Abend durch Schlüssellöcher schauen, um vielleicht doch einen Blick auf den unbekannten Geschenkebringer zu erhaschen, sondern auch für diejenigen, die eigentlich nicht mehr an ihn glauben. Unter dem grün geschmückten Weihnachtsbaum sind alle - groß und klein - am Weihnachstabend vereint.

Aber die alte Mär hat je auch etwas Anrührendes und tief Bewegendes. Rüttelt die anrührende Figur im roten Gewand und dem weißen Rauschebart doch an den Grundfragen der menschlichen Existenz: Wo kommt der Mensch her? Was treibt ihn um? Wo geht er hin? - Diese existenziellen Fragen wollen schließlich auch für den Weihnachtsmann geklärt sein!

Seinen Ursprung hat er vielmehr in der Figur des Heiligen Nikolaus. Ihm zu Ehren werden Kinder ab dem 14. Jahrhundert immer zum 6. Dezember beschenkt. Doch warum ausgerechnet er? In der Figur des Heiligen Nikolaus sind zwei historische Personen verschmolzen. Zum einen Nikolaus von Myra: Er lebte im dritten Jahrhundert und war Bischof einer Stadt in der heutigen Türkei. Die andere historische Person, die in der Figur aufgeht, ist Nikolaus von Sion aus dem sechsten Jahrhundert, der in einem Ort in der Nähe von Myra lebte.



Mittwoch, 14. Dezember 2022

Texte von Hegels Vorlesungen gefunden


Über 4.000 Seiten bisher unbekannter Notizen aus den frühen Vorlesungen des deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel an der Universität Heidelberg wurden gefunden, berichtet »The Guardian«.

Der Fund wurde von Klaus Vieweg, einem deutschen Philosophieprofessor und im Prozess der Erstellung einer Hegel-Biographie, im Archiv der Erzdiözese in München gemacht. Es ist, als würde man eine neue Partitur von Beethoven oder ein bisher unbekanntes Gemälde von (Maler John) Constable finden, sagt Vieweg gegenüber »The Guardian«.

Es wird angenommen, dass die Notizen von Friedrich Wilhelm Carové, einem der ersten von Hegel an der Universität Heidelberg unterrichteten Studenten, in den Jahren 1816–18 angefertigt wurden.

Hegel wurde vor 206 Jahren 1816 als ordentlicher Professor der Philosophie an die Universität Heidleberg berufen.

Hegel (1770–1831) hatte einen tiefen und weitreichenden Einfluss auf die westliche Philosophie. Nicht nur im Bereich Ästhetik, Kunst und Schönheit – sondern vor allem als Geschichts- und Gesellschaftsphilosoph. Sein Einfluss lässt sich in fast allen politischen Ideologien nachweisen, und unter den „Junghegelianern“ seiner Zeit ist unter anderem Karl Marx zu sehen. Er ist auch notorisch schwer zu lesen. Der britische Philosoph Bertrand Russell nannte Hegel „den am schwierigsten zu verstehenden der großen Philosophen“.

Samstag, 10. Dezember 2022

Philosophisches Tackling im Fussball


Tackling (englisch für bekämpfen, attackieren) bedeutet beim Fußball, einen Gegner robust, aber fair vom Ball zu trennen; dazu gehört der Grätschschritt oder das gezielte Rutschen über das Spielfeld (engl. sliding tackling), um den Ball zu blockieren, zur Seite wegzuspitzeln oder ihn dem ballführenden Gegenspieler regelkonform abzunehmen.
Durch das Nutzen von Tackling-Techniken können u.a. folgende Situationen vorteilhaft genutzt werden: Abfangen des Balles vor einer möglichen Ballannahme des Gegners, direkte Balleroberung, Blocken bei Torschüssen, Blocken bei Pässen und Flanken, Unterbinden des gegnerischen Spielaufbaus.

Dazu gehört der Grätschschritt oder das gezielte Rutschen über das Spielfeld (engl. sliding tackling), um den Ball zu blockieren, zur Seite wegzuspitzeln oder ihn dem ballführenden Gegenspieler regelkonform abzunehmen.

Nicht herummäkeln soll man, sondern sich erfreuen, wenn der Fußballer zum Tackling aufläuft. Das Tackling ist nur hilfreich wenn man den Ball wirklich erobern kann sonst riskiert man ein Foul oder gar eine Verletzung. Immer den Ball in den Augen behalten und nicht auf die Finten oder Tricks der Gegner achten.

Eine Sonderform abseits des Fussballfeldes ist der Verbal-Tackler, der mental alles mit purem Nonsens mit Verve in den Sand setzt.

"Bei mir weiß man immer, woran ich bin." Günter Netzer

Die verbalen Tacklings erreichen - wen wundert es - nur selten philosophische Spitzen. Nur die ganz Großen laufen dabei zum echten philosophischen Tackling auf. So Johan Cruyff mit einer unwiderlegbaren Logik: »Fussballer von der Straße sind wichtiger als studierte Trainer.«

»Ein Spiel zu gewinnen, ist leichter, wenn man gut spielt, als wenn man schlecht spielt.«
Oder mit Worten non Franz Beckenbauer:

»Man kann jedes Spiel gewinnen, man kann auch jedes Spiel verlieren.«

Montag, 5. Dezember 2022

Rudolf Bahro 25. Todestag

Rudolf Bahro

Rudolf Bahro starb vor 25 Jahren am 5. Dezember 1997 in Berlin. Rudolf Bahro war ein deutscher Philosoph, Politiker und Sozialökologe. Der Vordenker des Marxismus gehörte zu den profiliertesten Dissidenten der DDR und wurde durch sein sozialismuskritisches Buch »Die Alternative« (1977) bekannt.

Rudolf Bahro war ein geschulter dialektischer Marxist und Meisterdenker im real existierenden Sozialismus. Wenig haben die Machthaber im real-existierenden Sozialismus mehr gefürchtet als Marxisten und Kommunisten mit Visionen. Bahro war einer davon, seine Kritik am System war hart und fundiert. Die Zeit hat ihn allerdings weitgehend überholt.

Er kritisierte den »real existierenden Sozialismus«, aber er war kein Gegner der sozialistischen Idee. Vielmehr plädierte er für systemimmanente Veränderungen, mit dem Ziel der Verwirklichung einer freiheitlichen Gesellschaft.


Von 1972 bis 1976 arbeitete er am Manuskript zu seinem Buch »Die Alternative«. Inhalt des Werkes ist eine umfassende Kritik am politischen und wirtschaftlichen System der DDR aus marxistisch- kommunistischer Sicht. Bahro erwies sich als kein Freund der Alternativlosigkeit im Sozialismus, denn auch diseer ist sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen unterworfen.

1977 veröffentlichte der Gesellschaftstheoretiker sein sozialismuskritisches Buch »Die Alternative«. Darin äußerte er Kritik am real existierenden Sozialismus aus kommunistischer Sicht und eine Vision für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft. Bestechend seine Fähigkeit, aus dem real existierenden Sozialismus heraus eine Alternative als Weiterntwicklung des Sozialismus zu denken. Der Marxist und Gesellschaftstheoretiker nahm im Grunde genommen bereits den Untergang des Sozialismus 12 Jahre später vorweg.

»Die Alternative« erschien in Köln als Buch und wurde später in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bahro entwickelt insbesondere die Idee des Dritten Weges weiter. Sein Werk wird im November 1978 auf dem "Internationalen Kongress für und über Rudolf Bahro" in Berlin von linken Theoretikern aus West- und Osteuropa ausführlich besprochen.


Der Autor zeigt anhand von Textstellen u.a. von Marx und Engels auf, dass der sog. "real existierende Sozialismus" kein Sozialismus nach Marx ist bzw. war, weshalb er von "nicht-kapitalistischen Staaten" spricht. Grundprobleme wie die Herrschaft des Menschen über den Menschen oder die Atomisierung der Masse waren auch in diesen Staaten systemimmanent.


Ein Marxist, der Gesellschaft hinausdenken kann, ist gefährlich. Nach Veröffentlichung eines Auszuges aus seinem Buch »Die Alternative« im SPIEGEL am 23. Augsut 1977 erfolgte die Verhaftung durch die Stasi der DDR wegen Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Im Juni 1978 wurde er wegen des vorgeschobenen Grundes und Geheimnisverrat zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

In der DDR entstanden Bahro-Lesekreise und es kam in den beiden folgenden Jahren zu Solidaritätsaktionen von Schriftstellern, Politikern und Künstlern für den inhaftierten Bahro.

Im Oktober 1979 wurde Bahro zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR amnestiert und konnte mit seiner Familie in die Bundesrepublik ausreisen.

Rudolf Bahro wurde am 18. November 1935 in Bad Flinsberg, Kreis Löwenberg in Schlesien geboren.

Literatur:

Die Alternative
Die Alternative
von Rudolf Bahro

Samstag, 3. Dezember 2022

Ohne Fussball wäre das Leben ein Irrtum

Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft


Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft


»Ohne Fussball wäre das Leben ein Irrtum«, frei nach Nietzsche.

Lässt sich mit dem Kulturphilosophen Nietzsche das Phänomen Fussball erklären und kann diese Erklärung auch gelingen? Alle Kulturkritik ist ihm ästhetisch fundiert und umgekehrt ist alle Ästhetik nicht ohne eine fundamentale kulturkritische Dimension. Friedrich Nietzsche hat sich wie zahlreiche andere Philosophen mit der Frage „Was ist schön?“, auseinandergesetzt. Gemäß Nietzsche ist Schönheit die Spiegelung menschlicher Lebenskraft.

»Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft« von Martin Gessmann weht der Geist der Philosophie in den Fussball, aber was hat das mit Nietzsche zu tun? Das Spiel ist durchaus Nietzsches Element, aber der Freigeist gar als Interpret des modernen Fussballs? Nietzsche ist als Stadiongänger kaum je vorstellbar. Der Philosoph, welcher tatsächlich ein Stadion besucht hat, war nicht Nietzsche, sondern Camus.
 
Das Buch klärt auf, was Nietzsche und alle Philosophen - die Musik, die Wirtschaft, das ganze hohe Intellektuelle - mit Fussball zu tun hat. - Was lässt sich aus dem Buch lernen? - Fussball ist ein Spiegel der Gesellschaft, in der die Vertreter der Moderne mit neuen Techniken jonglieren. Fussball ist die Lehre vom flexiblen Menschen in schnellen Systemanpassungen.


Es lassen sich mit der Kunstfigur zwar Zusammenhänge konstruieren, eine schlüssiges Erklärungsmodell wird daraus jedoch nicht. Andererseits: Ein kluger Mann wie Nietzsche musste sich dessen bewusst sein, dass seine Texte auch von anderen Geistern entfremdet und missbraucht werden können. Dennoch liefert das Buch einige recht gute Ansätze zu Verständnis des Fussballs: Im Zentrum des Republikanismus eines Rousseau dagegen sieht Gessmann die Idee der Emanzipation des Einzelnen und die Bildung eines allgemeinen Willens in der volonté générale.

Fussballerisch bedeutet das ein radikales Abschleifen von Hierarchien und das Verinnerlichen eines Gemeinschaftsmodells, das sich vor allem im freien Spiel manifestiert: Ballbesitz als Selbstzweck, bei dem sogar der Torschuss eigentlich den Aufbau immer neuer Anspielstationen in Dreiecken und Rauten stört. Es ist das Modell Pep Guardiola, das Modell FC Bayern München.

"Das Wesen von derart spielvarianten Mannschaften ist es demnach, in der ständigen Veränderung ihrer Grundeinstellung sich von allen anderen zu unterscheiden. Ihr Wesen ist es, immer auf der Kippe zu stehen."

Wie von Ferne grüsst shon die Postmoderne: Es ist der Ästhetizismus der Postmoderne, in dem es darum geht, die Statik bürgerlicher Gesellschaften durch kreative Interventionen oder politische Avantgarden zu durchbrechen. Der Ahnherr ist Friedrich Nietzsche, der gesagt hat: "Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit."

Sein Dynamit wird hier quasi auf dem Spielfeld zur Explosion gebracht. Auf dem Spielfeld ist die zündemde Idee das Dynamit.



Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft
Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft



Aber diese stürmisch assoziative Interpretation der Avantgarde hat auch ihre Mängel. Der Autor scheint nur einige wenige Trainer und Mannschaften ausschließlich im Profi-Fussball zu kennen, immer wieder bemüht er seine drei Archetypen von Trainern, die er durch die Mühle seiner platt gewalzten philosophischen Ansätze und drei Gesellschaftstypen dreht - als gäbe es nur diese.

Eine Reise vom Elfenbeinturm der universitären VIP-Lounges auf die Äcker der Bezirksligen dieser Republik wäre dem Autor zu gönnen, um sich mit der vielleicht eher autokratisch-despotischen Verfassung des modernen Fussballs auf dem Lande vertraut zu machen - wenigstens aber mit der Anarchie in der Kreisklasse suburbaner Fussballwelten.

Literatur:

Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft
Mit Nietzsche im Stadion. Der Fußball der Gesellschaft
von Martin Gessmann

Fußball: Eine Kulturgeschichte
von Klaus Zeyringer

Samstag, 26. November 2022

Was Fussball und Philosophie verbindet

Fussball WM Endspiel 1974

Die Philosophie im Fussball gesucht. - Die Kulturkritik hat lange Zeit den Eindruck verbreitet, was so populär ist wie Fussball, kann mit Hochkultur oder gar Philosophie nichts zu tun haben. Ein gängiges Vorurteil, denn es gibt durchaus verbindende Elemente.

Heute kann jedoch schon der aufmerksame Betrachter einer WM lernen, dass es sich in Wahrheit geradezu umgekehrt verhält und der Zeitgeist, frei nach Hegel, im Fussball eine für alle fassliche Gestalt angenommen hat. Wer einmal im Stadion war, hat erfahren, daß Fussball ein besonderes Erlebnis ist.

Was verbindet Fussball und Philosophie? Fussball ist wie das Leben eine verbindende Lebensform und ein massentauglicher Sport. Fussball ist ein kollektiver Sport, welcher als Gemeinschaftserlebnis in der Lage ist, Identität zu stiften. Zudem ist Fussball ein gelebter Sport, welcher sportliche Menschen dazu bringt, dem Leben einen Sinn zu geben und somit ihrem Leben einen Sinn stiftet.

Fussball passt zum Ästhetizismus der Postmoderne, in dem es darum geht, die Statik bürgerlicher Gesellschaften durch kreative Interventionen oder andere Avantgarden zu durchbrechen. Die Vertreter der Moderne jonglieren ja stets mit neuen Techniken. Spielsysteme sind hier Strukturelemente der Postmoderne, in der nur die Avantgarde zum Erfolg führt.

Fussball hat als Variation der Moderne durchaus seinen eigenen Ästhetizismus, welcher auf Innovation auf dem Spielfeld drängt: Die Spanier spielen den modernsten Fußball, die Engländer im Grunde immer noch Rugby und die Deutschen mußten den Libero erfinden. - Es ist im Grunde genau wie bei Peter Pan: Wer im Fussball gewinnen will, muss sich stets neu erfinden.

Literatur:

Philosophie des Fußballs
Philosophie des Fußballs
von Martin Gessmann


Weblink:

Die Philosophie im Fußball gesucht - www.deutschlandfunk.de




Mittwoch, 23. November 2022

»Der Mensch zwischen Mythologie und Wirklichkeit« von Othmar Käppeli


Dieser hintergründige Essay von Othmar Käppeli spannt einen kunstvollen Bogen von Wahrnehmung, Kognition, Bewußtsein, Erfahrung und Wissen - mit Ausflügen in die Evolution, Mythologie, Wissenschaft und technischem Fortschritt unter Berücksichigung der neuesten Forschung der Neurologie.

Menschen sind das Produkt ihrer Umwelt. Sie nehmen Einflüsse der Umwelt wahr, die wiederum kognitiv verarbeitet werden. Wesentlicher Untersuchungsgegenstand des Essay ist die Kognition - ein vielschichtiges Phänomen, welches Fähigkeiten wie Denken, Wahrnehmen, Erinnern, Entscheiden, Problemlösen und Sprechen umfaßt. Kognitives Lernen bedeutet, diese Einflüsse aktiv und subjektiv zu bewerten und die Erkenntnisse nutzen um zu lernen oder umzulernen. Diese Lernerkenntnis durch kognitives Lernen führt zu einer Verhaltensänderung, die stattfindet sobald sich eine Gelegenheit offenbart, die gemachte Lernerfahrung mit der Realität abzugleichen und zu überprüfen.

Die Wahrnehmung der Umwelt durch die Sinne nennt man Kognition. Kognition ist die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Sinne und die Verarbeitung in praktisches Wissen, um die Anforderungen bewältigen zu können.

Die Sinne können bei der Wahrnehmung getäuscht werden. Die menschliche Wahrnehmung beinhaltet immer auch die Möglichkeit des Truges der Täuschung. Es gibt bei der Sinneswahrnehmung eine mögliche Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung und der Wirklichkeit. Um diese Diskrepanz aufdecken zu können, ist es wichtig, die menschliche Wahrnehmung zu verstehen. Dazu gehören die neuronalen Strukturen und Prozesse, die an der Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und Bewusstmachung von internen und externen Reizen beteiligt sind.

Aus der Wahrnehmung wird Erfahrung und aus der empirischen Erfahrung wird schließlich Wissen, wobei die Erfahrung wichtige Erkenntnisse liefert. Doch die Erfahrung parodiert die Wirklichkeit.

Dieser Essay beschäftigt sich damit, wie unser Gehirn die Signale unserer Sinne mithilfe von gespeicherten Inhalten in ein subjektives Bild der Welt verarbeitet.

Wenn wir unter Berücksichtigung unserer eigenen Erfahrungen sowie der Erkenntnisse moderner Hirnforschung betrachten, wie wir wahrnehmen und urteilen, ergibt sich eine erste Annäherung an der Grad der Übereinstimmung von menschlicher Wahrnehmung und Wirklichkeit.

Daneben ist es aufschlußreich, die Evolution der kognitiven Fähigkeiten im Laufe kulturellen Entwicklung des Menschen zu verfolgen. Die Kognition der Menschen ist gegenwärtig nicht in der Lage, ihre Existenz unter dem Einfluß von lebensbedrohlichen Gefahren zu sichern.

Von den kognitiven Fähigkeiten hängt der Fortbstand der Menschheit ab. Im Laufe der Entwicklung veränderten sich Art und Dimension der Gefährdungen und entsprechnend die kognitiven Fähigkeiten. Die Frage ist, ob die aktuellen kognitiven Fähigkeiten des Menschen für die nachhaltige Gestaltung des individuellen Lebens und der zivilisatorischen Entwicklung ausreichen werden.

Es besteht ein innerer Konflikt zwischen Kognition, Wissen, Denken und Sicherung der Zukunft. Was ist, wenn das Wissen nicht den Anforderungen zur Bewälitgung von Krisen genügt?

Bereits der deutsche Philosoph Fichte wusste: Die Menschen haben das Interesse für eine Realität, die sie hervorbringen wollen - der Gute, schlechthin um sie hervorzubringen, der Gemeine und Sinnliche, um sie zu genießen.

Wissen ist kein Selbstzweck, sondern mit Mittel zum Zweck. Es dient dem Menschen zur Bewältigung des Lebens und der Erhaltung der Gattung. Dem Wissen fällt in Bezug auf die Realität die Schlüselrolle zu. Doch Wissen ist nicht Realität und oft ist Wissen ein falsches Abbild der Realität.

Stets gibt es verschiedene Wahrheiten und Wirklichkeiten, bei denen neue hinzukommen und andere verlorengehen.

Die Erfahrungsrealität und das Wissen haben nichts einander gemein. Dort, wo Wissen bei der Wahrnehmung der Wirklichkeit falsche Signale setzt, ist die Zukunft der Gesellschaft gefährdet.

Der Transfer von Wirklichkeitswissen muss zu einer vordringlichen und permanenten Aufgabe unserer Gesellschaft werden, um die Fortexistenz der Menschheit als Ganzes zu gewährleisten. Bereits das Aufblühen und Vergehen früherer Hochkulturen lässt sich auf den Mangel an Wirklichkeitswissen zurückführen.

Der Autor sieht die Gefahr, daß die Sinne bei der Wahrnehmung einer komplexer werdenden Umwelt getäuscht werden. Es besteht die Gefahr, daß die erworbenen Kognitionsmuster des Menschen in einer komplexer gewordenen Welt nicht ausreichen werden, um die Wirklichkeit angesichts der Gefährdugnen richtig wahrzunehmen, um den Fortsbestand der Spezies zu sichern.

Wissen existiert als bzw. basiert auf überlieferten, tradierten und empirischem Wissen. Die Inhalte verändern sich in Laufe der Zeit und passen sich immer wieder neu an bzw. müssen angepasst werden. In das Wissen hineingewoben sind jedoch auch Mythen und Erzählungen. Doch auch Mythen und Archtetypen sind in uns Menschen vorhanden und wirken in ihnen.

Letztlich ist nur dasjenige Wissen nützlich, das zum Überleben der Menschheit als Gattung taugt bzw. förderlich ist. So gesehen ist Wissen immer auch Information zum Überleben.

Moderne Wachstums-Mythen sind in der Wissensgesellschaft als Grundlage des Wissens für die Bewältigung der gegenwärtige Probleme und der Sicherung der Zukunft nicht hilfreich, verleiten sie doch dazu, die Kognition der Realität zu verkennen und falsches kognitives Wissen anzuwenden.

Mythen – symbolisch aufgeladene Erzählungen mit zweifelhafter realer Grundlage – sind kein Phänomen, das auf die graue Vorzeit beschränkt ist, sondern auch in der Moderne weit verbreitet sind. Nicht allen Mythen haftet Wahrhaftigkeit und Glückseligkeit an. Viele liefern eher falsche Abbilder der Wirklichkeit. Es sind die gerade falschen Mythen vom unbegrenzten Wachstum, mit denen aufgeräumt werden muss. Und so steht der Mensch bei den kognitiven Einflüssen heute zwischen Mythologie und Wirklichkeit.

Aufgrund der Hauptaufgabe der Kognition, eine das Überleben des Einzelnen und der Spezies sichernde zivilisatoriche Entwicklung zu verwirklichen, müsse beispielsweise ein Löusungsansatz verfolgt werden, der verhindert, dass Dinge geschehen, die aufgrund des Standes des Wirklichkeisswissens Schäden proaktiv verunmöglichen: Der unverfrorene Mythos Fortschritt durch Wachstum, der Verabsolutierung der Mythos Freiheit zur Verhinderung von Schutzmaßnahmen zur Überwindung der Pandemie und die Begründung des Krieges durch archaische mythologische Ansprüche wären aufzugeben.

Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedrohungen und Krisen der Welt ist richtige Kognition nötiger denn je. Je Misere bietet eine Chance, sich von alten Denkmustern zu lösen. Die Frage ist, ob die Kognition ausreicht, um die Welt und ihre Gefährdung so zu erkennen, wie es nötig ist, sie zu retten.


Jede Krise bietet die Möglichkeit, sich von alten Denkmustern zu lösen und zu befreien. Der Autor plädiert für eine stärkere Aneignung von Wirklichkeitswissen, um umweltfreundlichere Entscheidungen und Lebensweisen zu wählen. Dafür ist es nötig, althergebrachte Denkmuster sowie vermeintlich erstrebenswerte Ziele kritisch zu hinterfragen und eventuell über Bord zu werfen.

Es gibt also viele Gründe, die Muster der Kognition und Wahrnehmung zu überdenken. Das Buch zur Krisenhaftigkeit des Denkens ist eine Anleitung zur kognitiven Bewältigung von krisenhaften Situationen und liefert einen wichtigen und beachtenswerten Beitrag im Diskurs um die Rettung der Welt. Es gibt dem Leser Anstoß, anders über die Krisen der Welt und auch des Lebens nachzudenken.

Man kann das Buch auch als eine Anregung zur Änderung der gewohnten Denkmuster und Verhaltensweisen lesen. Das Buch gibt dem / der LeserIn Anstoß, anders über manche Dinge nachzudenken.

Literatur:

Der Mensch zwischen Mythologie und Wirklichkeit
Der Mensch zwischen Mythologie und Wirklichkeit
- von Othmar Käppeli