Samstag, 30. April 2016

Die Armen sind nicht sozial schwach

Wer so regiert wie die Regierungen in den westlichen Ländern, kommt ohne eine Verbiegung der grundlegenden Begrifflichkeiten nicht zurecht, wenn sie ihre Politik sozial rechtfertigen wollen.

„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche herrschende Gedanken, das heißt die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht“, heißt es in der »Deutschen Ideologie« von Marx und Engels. Sie hatten damals schon erkannt, daß die herrschende Klasse ein Interesse an der Verschleierung der herrschenden Gedanken hat.

Und so ist es auch heute noch: Der Neoliberalismus vergiftet mittels komplexer Indoktrinationsinstrumente und der Sprache durch eine gezielte Umwertung die Gedanken der Menschen und spielt sie gegeneinander aus. Er bringt die Schwachen dazu, gegen die noch Schwächeren anzugehen und veranlasst ganze Gesellschaften, Arme, Schwache und Kranke als „Schmarotzer“, „römisch dekadent“, „Neider“, „faul“, „parasitär“ oder anderes anzusehen, ja, zu verachten.

Die Würde der Unverwertbaren ist beständig bedroht. Nicht nur, aber auch von Linken, die meinen, im Kampf gegen Armut von „sozial Schwachen“ sprechen und hierdurch vermeintlich deren Interessen vertreten zu müssen. Die Armen sind nicht sozial schwach, sondern die Reichen, die auf Kosten anderer leben und ihren Reichtum nicht teilen wollen.

Das kommt davon, wenn Politiker nur noch als verlängerter Arm der Wirtschaft fungieren und nicht etwa das Wohl des Volkes mehren, sondern nur noch das Wohl der Wirtschaft. Die im eigentlichen Wortsinne sozial Schwachen sind aber gerade auf solche mutlosen Politiker als Erfüllungsgehilfen und kunstvolle Sprachwandler angewiesen.

Montaigne merkte bereits hierzu treffend an: „Da wir uns miteinander nur durch das Wort zu verständigen vermögen, verrät, wer es fälscht, die menschliche Gemeinschaft. Es ist das einzige Mittel, durch das wir unsern Willen und unsere Gedanken austauschen, es ist der Mittler unserer Seele. Wenn wir es verlieren, so haben wir keinen Zusammenhang und keine Kenntnis mehr voneinander. Wenn es uns betrügt, so zerstört es allen unseren Umgang und zerreißt alle Bande unserer Gesellschaft.“

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