Dienstag, 28. Oktober 2025

Vor 80 Jahren: Sartres neue Definition des Humanismus


Es war der 28. Oktober 1945, als Sartre im »Salle des Centraux« seinen legendären Vortrag über die Klarstellung des Existentialismus hielt. Eine gewaltige Menschenmenge strömte herbei, in der Erwartung, die herbeigesehnten Erklärungen wie allgemeingültige Gesetze verkündet zu bekommen. Die Kasse wurde überrannt, Stühle brachen und eine unvorstellbare Hitze erfüllte den Saal, als Sartre sich nach 15 Minuten den Weg zum Pult gebahnt hatte und mit den Händen in den Hosentaschen seinen Vortrag begann. Die Intention, die dieser Rede zugrunde lag, war die Frage nach dem Wert des Humanismus zu beantworten, dessen Bestimmung aufgrund der grauenhaften Geschehnisse, wie sie durch den zweiten Weltkrieg verursacht wurden, fraglich geworden war.

Jean-Paul Sartre

Sartre hielt es nach dem Krieg für angebracht, den zerbrechlichen Humanismus zu rehabilitieren bzw. neu zu definieren. Des Weiteren galt es umfangreiche Fehlinterpretationen, die über den Existentialismus in Umlauf gekommen waren, klarzustellen und seine negative Konnotation, die im Zusammenhang mit den Begriffen Pessimismus, Quietismus und Verzweiflung stand, zu korrigieren. Da sein erstes großes Hauptwerk »Das Sein und das Nichts«, in dem er auf 1.000 Seiten seine Philosophie formulierte, zu terminologisch und abstrakt für die Popularisierung seiner Existenzphilosophie war, schraubte er das Niveau in seinem Vortrag so weit herunter, das er einprägsame Sätze wie „Die Existenz geht der Essenz voraus“ oder „Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht“, salonfähig machen konnte. Später bezeichnete er diese Absicht als Fehler, da viele Aspekte, seiner Ansicht nach als zu vereinfacht dargestellt wurden.

Der geschichtliche Augenblick den Sartre wählte, um den Status humanistischer Werte zu bestimmen, da diese sich als äußerst zerbrechlich herausgestellt hatten, war zwar angebracht, jedoch rehabilitierte er diese nicht neu, sondern beseitigte gleich deren Existenz und verkündete, dass es sie nie gegeben habe. Wertvorstellungen wie Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit, stellen Sartre zufolge keine a priori feststehenden Bedingungen dar, sondern hängen von der subjektiven Realisierung ab, durch die wir sie in jeder Situation von neuem verwirklichen. Da Gott als Werteproduzent weggefallen ist, liege es am Menschen die Werte neu zu erfinden bzw. auch über deren Gültigkeit zu entscheiden, so Sartre. Moralische Normen bestehen nicht als kollektive Gegebenheiten, sondern obliegen dem einzelnen Menschen, der erst durch seine Handlungen erkennen lässt, welche Werte in der Welt bestehen sollen.

Der Mensch muss jedoch nicht nur die Werte erfinden, sondern auch sich und seinen Lebensentwurf. Als in die Welt geworfenes Lebewesen, muss der Mensch unentwegt darüber entscheiden, wer er sein möchte und sieht sich daher ständig in einer Situation, in der er über sich wählen muss. Der Mensch besitzt die Fähigkeit zur Transzendenz, also die Möglichkeit sich unablässig zu überschreiten und neu zu definieren. Sartre spricht auch von einem Riss im Sein, der es verhindert, dass wir eben nicht wie ein Stein von einer fertigen Wirklichkeit erfüllt werden, sondern immer wieder aus uns herausgetrieben werden, um uns zu bestimmen. Wir leben in einer ständigen Distanz zu uns selber, die es verhindert, unser Selbst gänzlich zu erreichen und stattdessen uns immer wieder von uns losreißt, wie es Sartre in dem Werk »Das Sein und das Nichts« aufgezeigt hat. Es gibt kein auffindbares „Sich“, das dem Menschen seinen Persönlichkeitskern aufzeigen und ihm ein Kellner-Sein, ein Arzt-Sein oder dergleichen offenbaren könnte. Wir können nur durch unsere Freiheit danach streben uns dieser sich kontinuierlich entfernenden Idealität immer wieder anzugleichen. Eine Übereinstimmung kann uns jedoch nie gelingen. Sartre spricht hierbei von „Unaufrichtigkeit“, um zu verdeutlichen, dass der Mensch ständig in der Verpflichtung ist, sich ein Sein zu verleihen, nur um es im nächsten Augenblick wieder zu verlieren.


Die Existenz geht also der Essenz voraus, eine Klarstellung, die lange Zeit in der Geschichte als unmöglich gehalten wurde. Was einstmals Gott festlegte, liegt nun in den „zur Freiheit verurteilten Menschen“, Doch verträgt der Mensch überhaupt so viel Macht und fühlt er sich nicht vielmehr hoffnungslos überfordert? Bedarf es eine Theorie, die den Menschen als Angst, Verlassenheit und Einsamkeit definiert? Nach Sartre verbleibt dem Menschen keine andere Wahl, da mit dem Ausschalten der Hypothese Gottes auch die hoffnungsverleihende Sinngebung beseitigt wurde. Gabriel Marcel, ein Vertreter des christlichen Existentialismus war diese Ansicht zu radikal und wollte der Autonomie des einzelnen Menschen, durch die Liebe und dem menschlichen Miteinander mehr Hoffnung verleihen.

Philosophisch betrachtet erfährt der Mensch dabei folgende Rechtfertigung:

"Der Mensch ist für sich, sein Tun und Lassen selber verantwortlich. Es gibt oder braucht keine Rechtfertigung ausserhalb des Menschen. Deshalb ist der Existenzialismus ein Humanismus."

Doch warum ist der Existentialismus ein Humanismus? Sartre geht es um den Umstand, das das menschliche Sein etwas fortlaufend zu erschaffendes sei. Als alleiniger Gesetzgeber kann der Mensch sich nur dadurch zur Existenz erheben, indem er sich durch die Verwirklichung von Handlungen realisiert. Der Mensch kann demnach nicht als ein Endzweck betrachtet werden, da er sich durch zweckorientiertes Handeln in jeder Situation wieder hervorbringen muss. Weiterhin trägt der Mensch nicht nur für seine Handlungen die Verantwortung, sondern darüberhinaus muss er sich bewusst sein, dass er durch seine getroffene Wahl die Menschheit mitengagiert.

Neu waren Sartres Ansichten nicht. Schon Sören Kierkegaard machte die Angst als eine Grundbefindlichkeit des Menschen aus und auch Martin Heidegger stellte den Menschen als ein kontingentes Lebewesen dar, das sich der Angst geschickt zu verbergen gelernt hat, indem er sich an die Strukturen der Welt verliert. Auch sollte Heidegger mit seinem berühmten »Brief über den Humanismus« sich indirekt wenige Jahre später auf Sartre und seine Ansichten beziehen. Faszinierend wird Sartres Konzept des Existentialismus auch weiterhin bleiben und auch die vielen Missverständnisse werden wohl weiterhin präsent bleiben, da sich der Universitätsbetrieb mittlerweile von den existentiellen Grundfragen weitestgehend verabschiedet hat.

Literatur:

Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943 - 1948
Der Existentialismus ist ein Humanismus
von Jean-Paul Sartre

Weblink:

Jean-Paul Sartre - www.jean-paul-sartre.de

Samstag, 25. Oktober 2025

Gottfried Wilhelm von Leibniz - der Universalgelehrte

Gottfried Wilhelm von Leibniz


Gottfried Wilhelm von Leibniz war ein bedeutender Philosoph und Gelehrter des 17. Jahrhunderts und der universellste Denker seiner Zeit. Der adelige Wissenschaftler Leibniz gilt als der letzte grosse Universalgelehrte, als markantester Vertreter der deutschen Frühaufklärung und als eine große Schöpfergestalt deutschen Geistes. Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz versuchte zeitlebens, Theorie und Praxis zu verbinden. Der 200.000 Seiten umfassende Nachlass des grossen Denkers birgt bis heute Überraschendes.

Gottfried Wilhelm von Leibniz

Gottfried Wilhelm Leibniz, der am 14. November 1716 im Alter von 70 Jahren starb, gilt als das letzte Universalgenie. Zeitlebens trieb ihn ein unerschütterlicher Optimismus an. Der Philosoph, Mathematiker und Fürstenberater war bis zu seinem Tod überzeugt davon, die Welt verbessern zu können. Er wollte die Spaltung der Kirche überwinden und entwickelte eine Universalsprache, um Missverständnisse zwischen den Völkern zu beenden.

Als Quell der Inspiration hilft Gottfried Wilhelm Leibniz auch 300 Jahre nach seinem Tod der Wissenschaft von heute. "Seine Visionen auf unterschiedlichsten Gebieten inspirieren Wissenschaftler bis heute", sagt der Leiter des Leibniz-Archivs in Hannover, Michael Kempe. So sei ein Software-Entwickler aus den USA angereist, um in Leibniz' Schriften Anregungen für neue Algorithmen zu finden.

In der Mathematik war er seiner Zeit weit voraus. Ohne das von Leibniz beschriebene Dualsystem gäbe es keine Computer. Seine Überlegung, dass Raum nichts Absolutes ist, verweist bereits auf Einsteins Relativitätstheorie.

Leibniz hat wichtige Beiträge zur Mathematik geleistet, gilt als einer der Erfinder der Differential- und Integralrechnung und des binären Zahlensystems, auf dem die heutige Digitalisierung beruht. Aber er beschäftigte sich auch mit Logik, Erkenntnis- und Zeichentheorie, verfasste juristische und politische Denkschriften, betrieb sprachwissenschaftliche Studien, wurde von seinem Herzog beauftragt, die Geschichte der Welfen-Dynastie zu schreiben.

Leibniz war Gründer der »Preußischen Akademie der Wissenschaften« in Berlin und engagierte sich in Projekten, die zu einer Wiedervereinigung der getrennten christlichen Konfessionen führen sollten. Damit verkörperte er den Typus des Universalgelehrten, der im Zeitalter des Barock als erstrebenswertes Ideal galt.

Der Grundgedanke, der das leisten soll, ist die Idee von der Harmonie der Welt. „Harmonie ist Einheit in der Vielfalt“, lautet ein zentraler Satz von Leibniz. Oder: „Harmonie ist Ähnlichkeit in der Mannigfaltigkeit oder durch Identität ausgeglichene Verschiedenheit“. Harmonie herrscht zwischen Körper und Geist (die nicht wie Descartes durch eine schwer überbrückbare Kluft voneinander getrennt sind), Harmonie zwischen den Einzelwesen (Leibniz nennt sie „Monaden“) und der Welt als Ganzer. Garantiert wird diese Harmonie durch die mathematisch-logischen Grundprinzipien, die in der Natur, in den Monaden und in Gott ein und dieselben sind: „Gott schuf alles gemäß der größtmöglichen Harmonie und Schönheit“. Deshalb kann Leibniz sagen, diese Welt sei „die beste aller möglichen Welten“.

Wie das Barock-Zeitalter zeigt das Werk von Leibniz ein Janusgesicht. Es hält fest am platonisch-christlichen Gedanken einer die ganze Schöpfung durchwaltenden sinnvollen Ordnung. Aber ist sein Gott noch der christliche, oder nicht vielmehr ein abstraktes logisches Prinzip, ein Algorithmus, ein Computerprogramm? Dann wäre Leibniz nicht der letzte dogmatische Metaphysiker, sondern der erste Systemtheoretiker. Kein Wunder, dass er bei den Nerds des Cyberspace ein hohes Ansehen genießt.

Die niedersächsische Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek verwahrt den Nachlass des großen Denkers. Die 200.000 handschriftlich beschriebene Seiten lagern dort, darunter der zum Unesco-Welterbe gehörende Briefwechsel mit 1300 Briefpartnern rund um den Erdball. Leibniz dachte global und suchte die Nähe zu Russland und China, um von anderen Kulturen zu lernen.

Leibniz beschränkte sich nicht auf die Theorie, er war ein Forscher mit Hang zum Abenteuer. Der Hofrat kraxelte durch die Bergwerke des Harzes und konstruierte Windmühlen zum Antrieb von Pumpen. Weil ihm das Schreiben in der wackligen Postkutsche schwerfiel, entwarf er bequeme Reisesitze und Kabinen. Stets hatte der Frühaufklärer das große Ganze im Blick: Seine nie vollendete Geschichte der Welfen im Auftrag des Hofes begann Leibniz mit einer Abhandlung über die Entstehung der Erde. Grundlage waren auch eigene Fossilien wie ein versteinerter Mammutzahn.

Weblinks:

Gottfried Wilhelm Leibniz - www.hannover.de

Gottfried Wilhelm Leibniz - Das letzte Universalgenie - www.nano.de

Hegel und das Problem der Überproduktion (E)

Der Philosoph Georg W. F. Hegel erkannte schon das Problem der Überproduktion (Überreichtum), als Quelle der Armut und der Produktion des Pöbels.

Hegels Ursatz aller negativen Auswüchse des Reichtums in der bürgerlichen Gesellschaft . Hegel erkannte noch vor Marx die negativen Folgen der Überproduktion.

“Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, wenn die Produktion das Bedürfnis der Konsumtion übersteigt.“

G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Die bürgerliche Gesellschaft, § 246


§ 245
Wird der reicheren Klasse die direkte Last aufgelegt, oder es wären in anderem öffentlichen Eigentum (reichen Hospitälern, Stiftungen, Klöstern) die direkten Mittel vorhanden, die der Armut zugehende Masse auf dem Stande ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten, so würde die Subsistenz der Bedürftigen gesichert,
ohne durch die Arbeit vermittelt zu sein, was gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbständigkeit und Ehre wäre; oder sie würde durch Arbeit (durch Gelegenheit dazu) vermittelt,
so würde die Menge der Produktionen vermehrt, in deren Überfluß und dem Mangel der verhältnismäßigen selbst produktiven Konsumenten gerade das Übel besteht, das auf beide Weisen sich nur vergrößert. Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern. “
(G.W.F.Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Die bürgerliche Gesellschaft / ... Die Polizei) >KONTEXT>








Wenn man hier noch so verstehen könnte, dass dem großen Reichtume der industriellen Produktion zum trotz, es noch immer nicht ausreiche (“nicht reich genug”) dem Übermaße der Armut zu steuern, so wird hier, was Hegels Standpunkt betrifft die Sache klar ausgesprochen:                                (M.H.)






§ 248
Dieser erweiterte Zusammenhang bietet auch das Mittel der Kolonisation, zu welcher - einer sporadischen oder systematischen - die ausgebildete bürgerliche Gesellschaft getrieben wird und wodurch sie teils einem Teil ihrer Bevölkerung in einem neuen Boden die Rückkehr zum Familienprinzip, teils sich selbst damit einen neuen Bedarf und Feld ihres Arbeitsfleißes verschafft.
Zusatz. Die bürgerliche Gesellschaft wird dazu getrieben, Kolonien anzulegen.
Die Zunahme der Bevölkerung hat schon für sich diese Wirkung; besonders aber entsteht eine Menge, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht durch ihre Arbeit gewinnen kann, wenn die Produktion das Bedürfnis der Konsumtion übersteigt. Sporadische Kolonisation findet besonders in Deutschland statt.
Die Kolonisten ziehen nach Amerika, Rußland, bleiben ohne Zusammenhang mit ihrem Vaterlande und gewähren so diesem keinen Nutzen.
Die zweite und ganz von der ersten verschiedene Kolonisation ist die systematische.
Sie wird von dem Staate veranlaßt, mit dem Bewußtsein und der Regulierung der gehörigen Weise der Ausführung.
Diese Art der Kolonisation ist vielfältig bei den Alten und namentlich bei den Griechen vorgekommen, bei denen harte Arbeit nicht die Sache des Bürgers war, dessen Tätigkeit vielmehr den öffentlichen Dingen sich zuwendete.
Wenn nun die Bevölkerung so anwuchs, daß Not entstehen konnte, für sie zu sorgen, dann wurde die Jugend in eine neue Gegend geschickt, die teils besonders gewählt, teils dem Zufall des Findens überlassen war. In den neueren Zeiten hat man den Kolonien nicht solche Rechte wie den Bewohnern des Mutterlandes zugestanden, und es sind Kriege und endlich Emanzipationen aus diesem Zustande hervorgegangen, wie die Geschichte der englischen und spanischen Kolonien zeigt.
Die Befreiung der Kolonien erweist sich selbst als der größte Vorteil für den Mutterstaat, so wie die Freilassung der Sklaven als der größte Vorteil für den Herrn.

(G.W.F.Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Die bürgerliche Gesellschaft / ... Die Polizei)                   >KONTEXT>




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Die Armut an sich macht keinen zum Pöbel




“Was Geld ist, kann nur verstanden werden, wenn man weiß, was Wert ist.”
G. W. F. Hegel

http://www.abcphil.de/html/hegel-_uberproduktion.html

Zarathustra und das Böse


»Der Mensch ist böse« – so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. Ach, wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen beste Kraft. »Der Mensch muss besser und böser werden« – so lehre ich. Das Böseste ist nöthig zu des Übermenschen Bestem.

Zarathustra läßt keinen Zweifel, denn er sagt, die Erkenntnis der Guten, der Besten gerade sei es gewesen, was ihm Grausen vor dem Menschen überhaupt gemacht habe; aus diesem Widerwillen seien ihm die Flügel gewachsen, »fortzuschweben in ferne Zukünfte« – er verbirgt es nicht, daß sein Typus Mensch, ein relativ übermenschlicher Typus, gerade im Verhältnis zu den Guten übermenschlich ist, daß die Guten und Gerechten seinen Übermenschen Teufel nennen würden.


Ihr höchsten Menschen, denen mein Auge begegnete, das ist mein Zweifel an euch und mein heimliches Lachen: ich rate, ihr würdet meinen Übermenschen – Teufel heißen!

So fremd seid ihr dem Großen mit eurer Seele, daß euch der Übermensch furchtbar sein würde in seiner Güte.

An dieser Stelle und nirgendswo anders muß man den Ansatz machen, um zu begreifen, was Zarathustra will: diese Art Mensch, die er konzipiert, konzipiert die Realität, wie sie ist: sie ist stark genug dazu –, sie ist ihr nicht entfremdet, entrückt, sie ist sie selbst, sie hat all deren Furchtbares und Fragwürdiges auch noch in sich, damit erst kann der Mensch Größe haben.“" aus ecce homo. was liest man da?!

Sonntag, 19. Oktober 2025

Vor 225 Jahren: Jena als Republik der freien Geister

Jena 1800



Jena war vor 225 Jahren um 1800 das Zentrum der Geistesgeschichte in Europa, denn führende Köpfe und Denker hatten sich zu der Zeit in der thüringischen Universitätsstadt niedergelassen.

Peter Neumann, geboren 1987, lebt als freier Schriftsteller in Weimar und lehrt Philosophie mit Schwerpunkt Deutscher Idealismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Der Autor entwirft ein äußerst lebendiges Bild von Jena - von jenem Jena, welches in Aufbruchstimmung ist.

Jena ist um 1800 eine kleine Studentenstadt in Thüringen mit der höchsten Geniedichte in Deutschland. Im November 1799 ist Jena so etwas wie der geistig-kulturelle Mittelpunkt Deutschlands. Es ist die Zeit der Frühromantik.

Die ersten "freien Geister" sind längst da. Johann Gottlieb Fiche kam schon 1794. Der Autor bezeichnet Fichte als Kants Messias in Jena, er ist ein glühender Anhänger der neuen, kritischen Philoosophie. Noch vor Fichte war Schiller bereits in Jena. Schelling ist aus Richtung Dresden im Anmarsch.

Mit den Ideen der Französischen Revolution geraten nicht nur die politischen Verhältnisse in Europa ins Wanken. Eine ganze Generation von jungen Dichtern und Philosophen beschließt, die Welt neu zu denken. Die führenden Köpfe – darunter die Brüder Schlegel mit ihren Frauen, der Philosoph Schelling und der Dichter Novalis – treffen sich in der thüringischen Universitätsstadt an der Saale, um eine „Republik der freien Geister“ zu errichten.

Die in Jena um die Jahrhundertwende versammelten freien Geister betreiben in ihrem Denken einen Bruch mit der Konvention, denn sie stellen nicht nur gesellschaftliche Traditionen in Frage, sie revolutionieren mit ihrem Blick auf das Individuum und die Natur zugleich auch unser Verständnis von Freiheit und Wirklichkeit – bis heute. Farbig und leidenschaftlich erzählt Peter Neumann von dieser ungewöhnlichen Denkerkommune, die nicht weniger vorbereitete als den geistigen Aufbruch in die Moderne.





Am Ende zerstreuten sich die freien Geister in alle Winde. Es waren nicht mehr viele, die in Jena verblieben waren. Tieck hatte sich längst nach Dresden verabschiedt, Wilhelm Schlegel war im Winter endgültig nach Paris gegangen, um dort Vorlessungen über schöne Literatur und Künste zu halten, Frieddrich Schlegel und sein Frau Dorothea zog es ebenfalls nach Paris. Novalis ruhte bereits unter der Erde. Die Reihen hatten sich gelichtet, der Traum war ausgeträumt. Der schöne Traum der »Republik der freien Geister«, den alle erträumt hatten, er lag in Trümmern.

Literatur:

Jena 1800
Jena 1800: Die Republik der freien Geister
von Peter Neumann

Weblink:

Frühromantik

Samstag, 18. Oktober 2025

Nietzsches »Philosophie der Zukunft« (E)

Nietzsche steht immer unter der Perspektive einer Philosophie der Zukunft und einer Zeit, welche erst noch kommen wird.

Nietzsche stellt die Umwertung der prähistorischen »Herren-Moral« zur Moral der »christlichen Nächstenliebe«, die säkularisiert als natürliche Mitleids-Moral in Erscheinung tritt, um seine »Philosophie der Zukunft«, so der Unterteil von »Jenseits von Gut und Böse«, jenseits der christlichen und säkularisierten, aufkläerischen Morallehren, zu entwerfen.

Das Gegenstück dazu, seine »Philosophie der Vergangenheit« bildet sein Werk »Genealogie der Moral« - eine historische Betrachtung der Entwicklungsgeschichte der Moral.

Nietzsche über freie Geister und Philosophen der Zukunft


Ein Philosoph (griechisch φιλόσοφος philósophos „Freund der Weisheit“) oder sinngemäß Denker ist ein Mensch, der danach strebt, Antworten auf grundlegende (Sinn-)Fragen über die Welt, über den Menschen und dessen Verhältnis zu seiner Umwelt zu finden.

"Brauche ich nach alledem noch eigens zu sagen, daß auch sie freie, sehr freie Geister sein werden, diese Philosophen der Zukunft – so gewiß sie auch nicht bloß freie Geister sein werden, sondern etwas Mehreres, Höheres, Größeres und Gründlich-Anderes, das nicht verkannt und verwechselt werden will? Aber, indem ich dies sage, fühle ich fast ebensosehr gegen sie selbst, als gegen uns, die wir ihre Herolde und Vorläufer sind, wir freien Geister! – die Schuldigkeit, ein altes dummes Vorurteil und Mißverständnis von uns gemeinsam fortzublasen, welches allzulange wie ein Nebel den Begriff »freier Geist« undurchsichtig gemacht hat. In allen Ländern Europas und ebenso in Amerika gibt es jetzt etwas, das Mißbrauch mit diesem Namen treibt, eine sehr enge, eingefangene, an Ketten gelegte Art von Geistern, welche ungefähr das Gegenteil von dem wollen, was in unsern Absichten und Instinkten liegt – nicht zu reden davon, daß sie in Hinsicht auf jene herauskommenden neuen Philosophen erst recht zugemachte Fenster und verriegelte Türen sein müssen. Sie gehören, kurz und schlimm, unter die Nivellierer, diese fälschlich genannten »freien Geister« – als beredte und schreibfingrige Sklaven des demokratischen Geschmacks und seiner »modernen Ideen«; allesamt Menschen ohne Einsamkeit, ohne eigne Einsamkeit, plumpe brave Burschen, welchen weder Mut noch achtbare Sitte abgesprochen werden soll, nur daß sie eben unfrei und zum Lachen oberflächlich sind, vor allem mit ihrem Grundhange, in den Formen der bisherigen alten Gesellschaft ungefähr die Ursache für alles menschliche Elend und Mißraten zu sehn: wobei die Wahrheit glücklich auf den Kopf zu stehn kommt! Was sie mit allen Kräften erstreben möchten, ist das allgemeine grüne Weide-Glück der Herde, mit Sicherheit, Ungefährlichkeit, Behagen, Erleichterung des Lebens für jedermann; ihre beiden am reichlichsten abgesungnen Lieder und Lehren heißen »Gleichheit der Rechte« und »Mitgefühl für alles Leidende« – und das Leiden selbst wird von ihnen als etwas genommen, das man abschaffen muß. Wir Umgekehrten, die wir uns ein Auge und ein Gewissen für die Frage aufgemacht haben, wo und wie bisher die Pflanze »Mensch« am kräftigsten in die Höhe gewachsen ist, vermeinen, daß dies jedesmal unter den umgekehrten Bedingungen geschehn ist, daß dazu die Gefährlichkeit seiner Lage erst ins Ungeheure wachsen, seine Erfindungs- und Verstellungskraft (sein »Geist« –) unter langem Druck und Zwang sich ins Feine und Verwegne entwickeln, sein Lebens-Wille bis zum unbedingten Macht-Willen gesteigert werden mußte – wir vermeinen, daß Härte, Gewalt samkeit, Sklaverei, Gefahr auf der Gasse und im Herzen, Verborgenheit, Stoizismus, Versucherkunst und Teufelei jeder Art, daß alles Böse,[606] Furchtbare, Tyrannische, Raubtier- und Schlangenhafte am Menschen so gut zur Erhöhung der Spezies »Mensch« dient, als sein Gegensatz – wir sagen sogar nicht einmal genug, wenn wir nur so viel sagen, und befinden uns jedenfalls, mit unserm Reden und Schweigen an dieser Stelle, am andern Ende aller modernen Ideologie und Herden-Wünschbarkeit: als deren Antipoden vielleicht? Was Wunder, daß wir »freien Geister« nicht gerade die mitteilsamsten Geister sind? daß wir nicht in jedem Betrachte zu verraten wünschen, wovon ein Geist sich freimachen kann und wohin er dann vielleicht getrieben wird? Und was es mit der gefährlichen Formel »jenseits von Gut und Böse« auf sich hat, mit der wir uns zum mindesten vor Verwechslung behüten: wir sind etwas andres als »libres-penseurs«, »liberi pensatori«, »Freidenker« und wie alle diese braven Fürsprecher der »modernen Ideen« sich zu benennen lieben. In vielen Ländern des Geistes zu Hause, mindestens zu Gaste gewesen; den dumpfen angenehmen Winkeln immer wieder entschlüpft, in die uns Vorliebe und Vorhaß, Jugend, Abkunft, der Zufall von Menschen und Büchern, oder selbst die Ermüdungen der Wanderschaft zu bannen schienen; voller Bosheit gegen die Lockmittel der Abhängigkeit, welche in Ehren, oder Geld, oder Ämtern, oder Begeisterungen der Sinne versteckt liegen; dankbar sogar gegen Not und wechselreiche Krankheit, weil sie uns immer von irgendeiner Regel und ihrem »Vorurteil« losmachte, dankbar gegen Gott, Teufel, Schaf und Wurm in uns, neugierig bis zum Laster, Forscher bis zur Grausamkeit, mit unbedenklichen Fingern für Unfaßbares, mit Zähnen und Mägen für das Unverdaulichste, bereit zu jedem Handwerk, das Scharfsinn und scharfe Sinne verlangt, bereit zu jedem Wagnis, dank einem Überschusse von »freiem Willen«, .... "

Jenseits von Gut und Böse, Kapitel 44

Weblink:

Nietzsche über freie Geister und Philosophen der Zukunft