Samstag, 13. September 2025

»Ideen zu einem Versuch, die Wirksamkeit des Staates zu bestimmen« von Wilhelm von Humboldt



Wilhelm von Humboldts staatsphilosophisches Hauptwerk »Ideen zu einem Versuch, die Wirksamkeit des Staates zu bestimmen« erschien erst 15 Jahre nach Humboldts Tod im Jahr 1851.

Seine Schrift hat die Aufgabe, Mensch und Staat in den jeweiligen Aufgaben zu erfassen und die Wirksamkeit des Staates in den Grenzen der Freiheit des Einzelnen im Verhältnis zur Notwendigkeit im Ganzen darzustellen. Humboldts Gedanke wird geleitet von der Grundsätzlichkeit menschlicher Freiheit. Der Mensch und sein Endzweck sind eingefasst in die wahre Vernunft, die dem Menschen keinen anderen Zustand als die ungebundene Freiheit zugesteht, in der er selbst sich entwickeln kann, nur beschränkt durch seine Kraft und des zugestandenen Rechts. Jede Politik sollte sich diesem Primat unterwerfen.

Daraus abgeleitet tritt die Sorgfalt des Staates für das Wohl der Bürger ein. Der Staat wird sich jedoch ausschließlich um die Sicherstellung der Menschen im Staatsgefüge wie gegen auswärtige Feinde positionieren dürfen. Zu keinem anderen Endzweck als eben diesen kann die Freiheit beschränkt werden.

Und so obliegen dem Staat diverse Sorgfaltspflichten, die für die innere Sicherheit, gegen auswärtige Feinde gelten. Zur Ausgestaltung der inneren Sicherheit dient eine öffentliche Erziehung (Charakter, Geist), die in ihrer Bedeutung abnehmend ist, wenn zugleich die Selbstwirksamkeit der Bürger steigt. In der Tradition Lockes bestimmt Humboldt die Aufgabe des Staates darin, die Freiheit des Individuums und die Herausbildung seiner Persönlichkeit zu sichern. Der Staat ist für Humboldt kein Selbstzweck, sondern ein Schutzrahmen und eine Sicherheitsgarantie für den Bürger.

Humboldt setzt den Menschen, den Bürger in eine gehobene und selbsttätige Stellung, in die der Staat ihn befördern allerdings auch wieder in Freiheit entlassen muss. Ziel ist, die Ausbildung an höchster Mannigfaltigkeit auszurichten zugunsten größtmöglicher Freiheit in Verantwortung.

Zur Wahrung der Sicherheit werden Gesetze (Polizei, Zivil, Gerichtsbarkeit) erlassen als Regel für die Begegnung untereinander. Für Unmündige aus Altersgründen oder sonstigen gelten gesonderte Betrachtungen.
Bei aller Theorie fehlt es Humboldt nicht an praktischen Empfehlungen. Insbesondere verweist er darauf, dass die Neigungen nicht gegen Überzeugung und Vernunft überhand gewinnen dürfen. Dass das für sich selbst Nützliche nicht das Maß des Einzelnen sein darf, ist offensichtlich. Bei aller Schwierigkeit bleibt der Blick auf das Notwendige der Weisheit letzter Schluss.
Auch bei Schopenhauer hatte der Staat keinen positiven Eigenwert und war auch kein Selbstzweck, er war keinesfalls wie bei seinem Gegenspieler Hegel die VOllendung der Sittlichkeit. Nichts lag Schopenhauer ferner als die Staatsvergötterung.

Literatur:


»Ideen zu einem Versuch, die Wirksamkeit des Staates zu bestimmen«
von Wilhelm von Humboldt

Die Vorsokratiker - Von Thales bis Demokrit


Demokrit

Mit den Vorsokratikern beginnt im sechsten und fünften Jahrhundert v. Chr. die griechische Philosophie. Die Griechen feierten Schönheit und Natur. Diese Vorsokratiker waren griechische Naturphilosophen. Nicht mehr der Mythos, sondern der Logos, die Vernunft gibt nun Antworten auf die immer tiefgründigeren Fragen nach dem Sein der Welt.

Die großen vorsokratischen Philosophen des 7. bis 5. Jahrhunderts v. Chr. waren Thales, Pythagoras und Heraklit bis Parmenides, Zenon und Demokrit, wobei letzterer bereits nach Sokrates starb, um 380 v. Chr. Die einzelnen vorsokratischen Philosophen, fast immer nur fragmentarisch und überdies indirekt überliefert.

Später entwickelten Platon und Aristoteles viele ihrer Lehren in Auseinandersetzung mit dem vorsokratischen Denken. Vor allem auf diesem Umweg erlangen die Ideen der Vorsokratiker einen wichtigen Platz in der abendländischen Philosophie.

Einzigartig in der Geschichte der Menschheit und die Voraussetzung des rational-wissenschaftlichen Weltbilds war freilich das um 600 v.Chr. beginnende Nachdenken der griechischen Naturophilosophen. Diese Vorsokratiker - so genannt, weil sie größtenteils in der Zeit vor Sokrates lebten - fragten nach den Prinzipien der Wirklichkeit, einer Einheit hinter der Vielfalt, dem Verhältnis von Sein und Werden, Wahrheit und Täuschung, sie waren die ersten Aufklärer, die die Mythen und Glaubenssysteme ihrer Zeit radikal hinterfragten, und sie setzten sich mit der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens auseinander.

Literatur:

Die Vorsokratiker - Von Thales bis Demokrit
Die Vorsokratiker - Von Thales bis Demokrit
von Matthias

Vorsokratiker
Vorsokratiker
von Christof Rapp

Weblinks:

Demokrit-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Jean-Jacques Rousseau - der Mensch als Schauspiel der Natur

"Es ist ein großes und würdiges Schauspiel, den Menschen zu sehen, wie er durch eigene Kräfte gewissermaßen aus dem Nichts hervorgeht; wie er die Finsternisse, mit welchen er von Natur umgeben, durch das Licht seiner Vernunft zerteilt; wie er sich über sich selbst erhabt; sich mit dem Geiste bis in die Himmelsgegenden schwingt und gleich der Sonne mit Riesenschritten den unermesslichen Raum des Weltalls durchwandert und, was noch größer und schwerer ist, in sich zurückkehrt, um daselbest den Menschen kennen zu lernen und seine Natur, seine Pflichten und seine Bestimmung zu untersuchen."

Jean-Jacques Rousseau (1712-78), französischsprachiger Genfer Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist der Aufklärung.

Samstag, 6. September 2025

Gramsci und die dynamische Linke


Der Italiener Antonio Gramsci war der Gründer der Kommunistischen Partei Italiens und stand für eine dynamische, stets in der Entwicklung befindliche Linke. Gramsci war der Vordenker einer dialektischen, dynamischen Linken, die das Gegenteil von dogmatisch und festgefahren war.

Die Linke war für ihn keine ideale, reine Form, sondern eine plastische, stets im Werden begriffene Kraft. Sein dialektischer Materialismus war weniger dem formalistischen Hegelianismus verpflichtet, als dem Energiefluss des Lebens selbst.

Gramsci entwickelte seine Theorie der Hegemonie. Gramsci formulierte sein Konzept von Hegemonie zunächst anhand von Entwicklungen in der italienischen Geschichte, insbesondere des Risorgimento.

Gramsci bemerkte, dass im Westen die kulturellen Werte der Bourgeoisie mit dem Christentum verknüpft sind. Deshalb richtet sich ein Teil seiner Kritik an der vorherrschenden Kultur auch gegen religiöse Normen und Werte. Er war beeindruckt von der Macht, die die Katholische Kirche über die Gläubigen hat, und er sah, mit welcher Sorgfalt die Kirche verhinderte, dass die Religion der Intellektuellen sich zu stark von der Religion der Ungebildeten entfernen konnte.

Gramsci glaubte, dass es die Aufgabe des Marxismus sei, die in der Renaissance durch den Humanismus geübte Kritik an der Religion mit den wichtigsten Elementen der Reformation zu vereinen. Nach Gramsci kann der Marxismus erst dann die Religion ablösen, wenn er die spirituellen Bedürfnisse der Menschen befriedigen kann, und damit dies der Fall ist, müssen sie ihn als einen Ausdruck ihrer eigenen Erfahrungen wahrnehmen.

Freitag, 5. September 2025

Ein Lob auf den Spaziergang

Rousseau spaziergangJean-Jaques Rousseau



»Ich kann nur beim Gehen nachdenken. Bleibe ich stehen, tun dies auch meine Gedanken«, hat der Philosoph Jean-Jacques Rousseau einst als Lob der Bewegung im Freien geschrieben. Spazieren gehen geht zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter. Das ziellose, abschweifende Spazieren fördert den Gedankenfluß und kann ein enormes Geflecht von Gedanken begünstigen.

Spazierengehen - eine bevorzugte Beschäftigung vieler Denker wie Nietzsche und Heidegger - lässt Raum zum freien Denken. Zum Spazierengehen braucht es nicht mehr als den Entschluss dazu. Der Wanderer zieht seine Schuhe an, macht die Tür auf, läuft die Treppen runter und tritt ins Freie. Raus aus den geschlossenen Räumen.
Draußen ist eine andere Luft, ein Wind, vielleicht der Duft von Linden oder Abgase. Und ein anderes Licht, greller Sonnenschein oder schnell vorüberziehende Wolken. Er überquert ohne groß nachzudenken eine Strasse und ehe er sich versieht, ist er schon abgebogen und ins Freie gelangt. Das Tempo entscheided er ganz allein; mal geht er zügig, mal schlendert er, bleibt stehen, schlägt Haken, schaut sich im Vorübergehen alles an: Straßen, Bäume, Menschen.

Die Ziellosigkeit ist das Prinzip eines jeden Spaziergangs. Wohin der Spaziergänger geht und wie lange, steht ihm völlig offen. Um die volle Freiheit zu haben, spaziert er allein. Nur allein kann er ganz seinen eigenen Impulsen folgen. Ein Gefühl der Leichtigkeit überkommt ihn, ähnlich wie wenn man im Frühling das erste Mal ohne Jacke auf die Straße geht. Er kann jetzt jederzeit tun und lassen, wonach ihm ist.

»Wanderer, gehest du nach draußen, vergiß das gute Wandern nicht.« - Gerade das Spazierengehen an der frischen Luft scheint die für das Denken notwendigen Impulse anzuregen und neue Denkanstöße zu liefern.

Der Wanderer Friedrich Nietzsche unternahm vor 140 Jahren einen Spaziergang, der zu dem wichtigsten Ereignis und Inspiration seines Lebens werden sollte. Nietzsche ging als Wanderer los und kehrte als Erleuchteter nach Hause.

Am Silvaplana See im Oberengadin in der Schweiz ereilte ihn eine Erleuchtung wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Für Nietzsche war dies in einschneidendes Erlebnis. Verzückt von seinem Gedanken erklärte er den mächtigen Felsen am Seeufer, vor dem er stand, zu seinem "Erleuchtungsfelsen".

Surlej-Felsen bei Sils Maria



Mit großem Pathos beschrieb der damals 36-jährige Friedrich Nietzsche den besonderen Moment, den der erleuchtete Philosoph heute vor genau 140 Jahren im schweizerischen Engadin erlebte: "Man muss Jahrtausende zurückgehen, um eine ähnliche Inspiration zu entdecken".


Blog-Artikel:

Friedrich Nietzsches Wanderung, die zur Offenbarung wurde

Samstag, 30. August 2025

Utilitarismus als Begründung der Demokratie



Der Utilitarismus begründet und fundiert gedanklich das Wesen der Demokratie besser als die abstrakte Vertragstheorie. Die Demokratie folgt unterschwellig dem utilaristischen Prinzip, "das Glück der grössten Zahl" und sichert somit das Wohlergehen einer großen Zahl der Menschen. Der Utilitarismus ist eine breite philosophische Strömung, deren Quellen unter anderem im englischen Empirismus (Francis Bacon) und im französischen Materialismus (Helvetius und Holbach)zu suchen sind.

William Godwin, ein Zeitgenosse von Jeremy Bentham und der Autor der politischen Schrift "Enquiry Concerning Political Justice" von 1793, vertrat die Auffassung daß die Demokratie monarchischen und aristokratischen Regierungsformen überlegen ist, obwohl die Gefahr besteht, dass durch das Prinzip der demokratischen Gleichheit die Weisen den Nicht-Weisen zahlenmäßig unterlegen sein könnten. Allerdings glaubte Godwin an eine erzieherische Wirkung der Demokratie: "Demokratie stellt im Menschen wieder ein Bewusstsein seines Wertes her, sie lehrt ihn, durch die Beseitigung von Autorität und Unterdrückung, nur den Ratschlägen der Vernunft zu folgen. Nichts wäre unvernünftiger als von den Menschen, wie wir sie jetzt vorfinden, auf die Menschen zu schließen, wie sie in Zukunft beschaffen sein können."

Damit kommt Godwin - allerdings auf einem anderen Begründungsweg - so wie der Vertragstheoretiker Rousseau zur Forderung nach Teilnahme aller Bürger an der Gesetzgebung und nach gleichem Stimmrecht.



Gegenüber der Theorie des Gesellschaftsvertrages, die nach Ansicht Benthams auf einer unzulässigen Fiktion beruht , und gegenüber Naturrechtstheorien, von denen jede Variante andere Rechte als "natürlich" behauptet, will Bentham die normative Theorie von Politik und Recht auf eine tragfähige und, wie er meint, letztlich empirische Grundlage stellen, denn er hält 'Glück' für eine im Prinzip empirisch-psychologisch messbare Größe, die sich aus Lust- und Schmerzempfindungen zusammensetzt.

Insofern hat Bentham eine hedonistische Auffassung des Guten (von griechisch "hedone" = "Lust" ). "Schlechtes ist Schmerz oder die Ursache von Schmerz. Gutes ist Lust oder die Ursache von Lust." Nach Benthams Auffassung ist derjenige ein Anhänger des Utilitarismus, der seine "Billigung oder Missbilligung einer öffentlichen oder privaten Handlung an ihrer Tendenz bemisst, Lust oder Schmerz hervorzubringen."

Dieser ethische Hedonismus, der fordert, dass die Menschen im Sinne des größten Glücks (d. h. des größten Übergewichts von Lust über Schmerz) handeln sollen, verbindet sich bei den älteren Utilitaristen gewöhnlich mit der Annahme eines psychologischen Hedonismus, der besagt, dass jeder Mensch tatsächlich sein eigenes Glück anstrebt: "Die Natur hat die Menschheit unter die Herrschaft von Lust und Schmerz gestellt. Ihnen schulden wir all unsere Vorstellungen, wir beziehen auf sie all unsere Urteile und alle Bestimmungen unseres Lebens. ... Das Nutzenprinzip unterwirft alles diesen zwei Motiven"

Weiterhin nimmt Bentham an, dass in der Regel jedes Individuum selber am besten erkennen kann, was seinem eigenen Glück förderlich ist: "Der größte mögliche Spielraum sollte den Individuen in all jenen Fällen gelassen werden, in denen sie niemandem als sich selbst schaden können, denn sie sind die besten Richter ihrer eigenen Interessen. Wenn sie sich täuschen, kann angenommen werden, dass sie ihr Verhalten sofort ändern werden, wenn sie ihren Irrtum erkennen. "

Samstag, 23. August 2025

Hegel Freiheit des Einzelnen

Hegel war als Apologet der Freiheit überzeugt, dass die Freiheit des Einzelnen sich niemals losgelöst oder gar in Konkurrenz zur Gesellschaft verstehen lässt. Wirklich frei, so versuchte er zu zeigen, werden wir erst mit und durch die anderen. „Bei-sich-selbst-Sein im Anderen“ lautete in seinen Worten das ambitionierte Ansinnen seiner Philosophie.

Bei den heute auftretenden Problemen ist Hegel mit seiner erklärenden analytischen Denkungsart nicht weit. Folgt man dem Philosophen in diesem Gedanken, dann eröffnen sich neue Perspektiven auf heutige Probleme, für die eine Politik, die vom Einzelnen ausgeht, keine Antwort zu bieten scheint. Anstatt eine starke Klimapolitik, Umverteilung oder Coronamaßnahmen primär als Bedrohung der individuellen Freiheit zu sehen, könnte man – ausgehend von der Annahme, dass Freiheit unweigerlich sozial ist – fragen: Welche Institutionen bräuchte es, um Selbstbestimmung und Entfaltung auch in Zukunft zu garantieren? Welche sozialen Beziehungen würden es uns ermöglichen, bei uns selbst zu sein?

Ebenso wie wir lebte Hegel in Zeiten großer Umbrüche. Als Jugendlicher verfolgte er begeistert die Französische Revolution. Die Philosophie seiner Tage war ebenfalls im Wandel begriffen, die Religion hatte ihre unhinterfragte Vormachtstellung verloren, das Verhältnis von Ich und Welt, Individuum und Gesellschaft wollte neu gedacht werden. Kein Wunder also, dass sein Anspruch an die Philosophie war, „ihre Zeit in Gedanken“ zu fassen.

Anders als oft angenommen, liefert Hegel dabei keine Prognosen, die uns erlauben zu sagen, wie wir von der Gegenwart in die Zukunft schreiten. Aber seine Hinwendung zu Momenten der Krise als Chance – um Neues zu schaffen und Ideale voranzutreiben – könnte heute, da die Zukunft zunehmend düster erscheint, als Inspiration dienen.

Hegel lieferte keine leichten Antworten. Anstatt eines »Entweder-Oder« wie bei Kierkegaard ging es dem Philosophen der Dialektik darum, Widersprüche zusammenzudenken und aufzuheben – freilich ohne jemals alle Spannung einzuebnen. Das Denken bleibt also immer in Bewegung. Gerade in dieser Komplexität und Dynamik liegt der Reiz seiner Philosophie.